Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani
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Welche lange und wechselvolle Geschichte diese französische Enklave im Süden Afrikas besitzt, wurde im Hugenottenmuseum von Franshoek dargestellt. Mit einem Federstrich hatte der französische König Ludwig XIV im Jahre 1685 das von seinem Großvater Heinrich IV erlassene Toleranzedikt von Nantes aufgehoben und den Katholizismus zur alleinigen Staatsreligion erhoben. Wer von den etwa 750.000 französischen Protestanten, den Hugenotten, nicht konvertieren wollte, wurde ausgewiesen. Etwa 200.000 Menschen, meist Angehörige gehobener Berufe, zum Teil auch Adlige, verließen daraufhin das Land. Ein gewaltiger Aderlass setzte ein, der Frankreich langfristig mehr schwächen sollte als alle Eroberungskriege Ludwigs XIV zusammengenommen. Die meisten Hugenotten fanden Zuflucht in der Schweiz, Brandenburg-Preußen, Großbritannien und skandinavischen Ländern. Nur eine verschwindende Minderheit, gerade mal 187 Familien, entschloss sich, das Angebot der holländischen Ostindienkompanie anzunehmen und zum Kap der Guten Hoffnung auszuwandern. Auf langen Listen waren im Hugenottenmuseum von Franshoek die Namen der ersten Siedler vermerkt, die auf insgesamt vier Schiffen 1688 Kapstadt erreicht hatten. Sie stammten überwiegend aus Flandern, aber auch aus den Weinregionen des Languedoc, der Provence und der Dauphine. Die Arbeitsverpflichtung, die mit der Passage verbunden war, umfasste einen Zeitraum von fünf Jahren, nach denen man auf eigene Kosten, nach Europa zurückkehren konnte. Tatsächlich erhielten die Hugenotten von Gouverneur Simon van der Stel im sogenannten Elefantental („Oliphantstrek“) hinreichend Land zur Bearbeitung, wenngleich die versprochene Unterstützung an Werkzeugen und Baustoffen zu wünschen übrig ließ. Doch die Hugenotten, im Unterschied zu den meisten Bewohnern der Kapkolonie, landwirtschaftlich kompetente Fachkräfte, kamen zurecht und wussten das günstige Mikroklima von Franshoek für den Weinanbau zu nutzen.
Allerdings gab es bald Ärger, weil die Franzosen auf die Pflege ihrer Traditionen bestanden und nicht im Holländertum der Kolonie aufgehen wollten. Erst nachdem ab 1713 jede weitere Einwanderung von Franzosen gekappt worden war, begann ein langsamer Prozess der Afrikanisierung, in deren Verlauf viele Hugenotten ihre Namen änderten. So entstammte zum Beispiel der südafrikanische Friedensnobelpreisträger de Klerk, der mit Nelson Mandela das Ende der Apartheid ausgehandelt hatte, aus der Hugenottenfamilie der Leclerc.
Der Weinanbau von Franshoek vollzog sich zunächst in einem bescheidenen Rahmen. Der südafrikanische Wein wurde entweder im Land getrunken oder den Schiffen der holländischen Ostindienkompanie als Handelsware für Asien mitgegeben. International bekannt wurden die Weinbauern vom Kap erst, als infolge der napoleonischen Kolonialsperre in Europa der französische Wein knapp wurde und man auf die Konkurrenz vom Kap aufmerksam wurde. Aber das waren alles nur Peanuts im Vergleich zu dem rasanten Aufstieg, den die südafrikanische Weinindustrie, namentlich die Erzeugnisse von Franshoek, nach dem Ende der Apartheid nahmen. Nachdem man jahrzehntelang die Produkte des Apartheidstaates mit gutem Gewissen boykottiert hatte, griff man nun im Westen gerne zum guten Tropfen aus Franshoek oder Stellenbosch und bemerkte, dass sie genauso gut schmeckten wie die Qualitätsweine aus Frankreich oder Italien, aber erheblich preiswerter waren. Auch die Befürchtungen, die neue ANC-Regierung würde der südafrikanischen Weinindustrie mit Verstaatlichungen und Regulierungen zu Leibe rücken, entpuppten sich als unbegründet - im Gegenteil: der südafrikanische Weinanbau gehört inzwischen als exportintensive Erfolgsgeschichte neben dem Rohstoffsektor und dem Tourismus zu den staatlich gehätschelten Devisenbringern des Landes.
Aus Anlass der zweihundertfünfzigsten Wiederkehr der Ansiedlung der Hugenotten in Franshoek war im Jahre 1938 das sogenannte Hugenottenmonument errichte worden. Es befand sich am Ortsausgang von Franshoek vor der imposanten Kulisse eines steil abstürzenden Berghangs inmitten eines verschwenderisch begrünten Gartens. Vor einer sichelförmig gebogenen überdachten Arkade und vier stilisierten Säulen stand eine Art protestantische Maria auf einer Weltkugel, auf der undeutlich zu erkennen war, wie Schiffe Europa verließen, um nach Süden zu segeln. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Bibel, in der linken ein Stück gesprengter Ketten zum Zeichen dafür, dass die Hugenotten ihre Heimat um der Glaubensfreiheit willen verlassen hatten.
Diese Glaubensfreiheit hatten sie in ihrer neuen Heimat Südafrika gefunden, wenngleich es inzwischen mit der Sicherheit nicht mehr zum Besten stand. Als ich am nächsten Morgen in der Bank von Franshoek Geld wechselte, kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die mich fragte, woher ich käme. Sie hatte ein gut geschnittenes Gesicht, sah aber erschöpft aus. Ohne dass ich sie danach gefragt hätte, teilte sie mir mit, dass sie das Land bald verlassen würde. Inzwischen sei die Kriminalität auch in der Weinprovinz angekommen. Nachts durchstreiften Banden die Felder und Weingüter und raubten, was nicht niet- und nagelfelst sei. Wer das Pech hatte, ihnen dabei zu nahe zu kommen, würde einfach umgebracht. Die Polizei sei völlig überfordert, und die Gebühren für die privaten Wachtdienste seien inzwischen so teuer geworden, dass sich die meisten Menschen diesen Schutz nicht mehr leisten könnten. „Be careful“, gab sie mir mit auf den Weg, als sie sich verabschiedete und in einer Seitengasse verschwand.
Paarl, die dritte bedeutende Weinstadt Südafrikas, war vom Städtebaulichen her wenig einladend - eine Kirche, einige Museen, einige ansehnliche alte Häuser, aber auch viel Zersiedlung und Industrie an den Rändern. Allerdings war die Lage der Stadt attraktiv, sie lag im Schatten der rostroten Paarl Mountains, einem Gebirgszug, von dem es hieß, seine Felsen würden nach dem Regen wie große Perlen („Paarl“) leuchten. An diesem Tag aber gab es keinen Regen, die Sonne knallte von einem wolkenlosen Himmel, und die Vegetation in den Hügeln rund um Paarl zeigte Zeichen von Verdorrung. Die trockene Karo des Binnenlandes deutete sich an.
Ich fand ein Zimmer im Privathaus einer Lady, die mich mit wallenden Gewändern und lila lackierten Fingernägeln empfing. Ihre Haare waren rot gefärbt, auf ihren Wangen bildete das Rouge klar umrissene Inseln. Das Zimmer, das sie mir anbot, besaß einen Gartenzugang, war aber zur Hälfte mit Schondecken über Möbelstücken verhüllt, von denen mir eingeschärft wurde, dass ich sie auf keinen Fall lupfen durfte. Nur das Bett, ein Stuhl und der Tisch waren frei, doch der Preis stimmte, und den Besuch des Hausdackels gab es gratis. Leider litt der Dackel an einem Einsamkeitskoller, er folgte mir auf Schritt und Tritt und jammerte vor der Türe, wenn ich im Bad war. Das Frauchen saß die meiste Zeit im Garten, trank Weißwein und rauchte. Wie sie erzählte, war sie seit einigen Jahren verwitwet, lebte nun allein in den Hügeln von Paarl und besserte ihr Einkommen durch gelegentliche Vermietungen etwas auf. Ein Bild ihres verstorbenen Mannes konnte ich im ganzen Haus nicht entdecken, dafür trug sie um den Hals eine Schnur, an deren Ende eine Pfeife befestigt war. Diese Pfeife, hatte ich schon verschiedentlich in Stellenbosch und Franshoek gesehen. Nun erfuhr ich, dass sie als Notfallpfeifen dazu dienten, im Falle eines Überfalles Hilfe zu rufen. Leider machten sich die Kinder von Paarl inzwischen einen Jux daraus, sich solche Pfeifen zu besorgen und grundlos auf ihnen herumzupfeifen, so dass es immer wieder blinden Alarm gäbe.
Die meisten Besucher kamen nach Paarl, um das Afrikaanermonument zu besichtigen, ein futuristisch anmutendes Denkmal, das sich auf einem Höhenzug oberhalb der Stadt befand und an die Entstehung der Sprache Afrikaans erinnerte. Das Afrikaans war eine Abart des Niederländischen, entstanden auf einsamen Farmen im Grenzbereich der Kapprovinz, wo die Bewohner mit der Zeit den Kontakt zum Niederländischen verloren und zahlreiche Lehnworte aus der Khoisan- und der Xhosa-Sprache sowie dem Malaiischen aufgenommen hatten. Als die Briten die Herrschaft am Kap übernahmen, entwickelte sich Afrikaans zur burischen Konkurrenzsprache gegenüber dem Englischen. Im Jahre 1925 wurde Afrikaans im Zuge der „kleinen Apartheid“ sogar zur zweiten Landessprache neben dem Englischen erhoben. Dass von da an auch die Schwarzafrikaner Afrikaans, die Sprache der Buren, in