Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani
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Etwas von dieser Widerborstigkeit war in der alten Dame erhalten geblieben, bei der ich am späten Nachmittag meine Bed-and-Breakfast Unterkunft anmietete. Normalerweise ist die Kombination von „Bed-and-Breakfast“ und „alter Dame“ recht vielversprechend, nicht jedoch in Swellendam bei Madame Marie, wie sie genannt werden wollte. Sie war groß und knochig, mit schmalem Mund und abweisendem Gebaren. Misstrauisch beäugte sie mich, als ich mich in den Aufenthaltsraum setzte und schrieb. Ich hätte gerne mit ihr einen Tee getrunken, ein wenig geplaudert und einiges über ihre Herkunft erfahren, aber alle Versuche ein Gespräch anzufangen, scheiterten entweder an ihrem Desinteresse oder an ihrer Schwerhörigkeit.
*
Am nächsten Morgen brach ich früh auf und fuhr weiter nach Osten. Ich durchfuhr kleine Ortschaften mit so illustren Namen wie Heidelberg, Riversdale und Albertina, die sich glichen wie ein Hollandei dem nächsten. Kurz vor Mittag stieß ich auf der schnurgeraden Nationalstraße wieder auf das Meer und die Stadt Mossel Bay. Die Hafenfront wurde durch eine Raffinerie verunstaltet, und in der Innenstadt sah es noch gesichtsloser aus als in Swellendam. Eine wahre Wohltat dagegen war der Anblick des Meeres, das sich ruhig und blau bis zum Horizont erstreckte. Der Wind hatte nachgelassen, der Zone der Stürme war ich entronnen.
Trotz der ansprechenden Küste würde sich allerdings kein Tourist nach Mossel Bay verirren, wäre nicht das Scheinwerferlicht der Weltgeschichte vor fünfhundert Jahren völlig unplanmäßig auf den Ort gefallen. Die örtlichen Khoisan, die in der Mossel Bay ihr Vieh weideten, werden nicht schlecht gestaunt haben, als am 3. Februar 1488 fremdartige Gestalten auf einem kaum noch seetüchtigen Schiff in der Bucht landeten. Die abgerissenen Figuren, die ihnen über den Strand entgegenkamen, waren Portugiesen, denen nach einer lebensbedrohlichen Sturmfahrt endlich die Kap Umrundung geglückt war. Auch bei den Portugiesen dauerte es eine Weile, ehe sie sich orientieren konnten. Dann aber gab es keinen Zweifel mehr. Die Südspitze Afrikas war endlich umrundet, und der Weg nach Indien war frei. Der portugiesische Kapitän Bartholomeo Diaz, der dieses nautische Meisterstück vollbracht hatte, war gerade Ende Dreißig Jahre alt, ihm winkten Weltruhm und Reichtum ohnegleichen, ganz abgesehen davon, dass sich die Weltgeschichte möglicherweise ganz anders entwickelt hätte, wenn Diaz von der Mossel Bay nach Indien weitergesegelt wäre. Denn hätte Diaz 1488 Indien erreicht, und wäre er noch vor 1492 mit den Schätzen des Orients beladen nach Portugal zurückgekehrt, hätten die spanischen Könige Kolumbus möglicherweise gar nicht mehr nach Westen geschickt.
Doch die Reise wurde nicht fortgesetzt. Die portugiesischen Seeleute weigerten sich, weiter nach Osten zu segeln und drohten mit offener Meuterei. Warum Diaz sich diesen Drohungen beugte, ist bis heute nicht geklärt. Auch Kolumbus, da Gama und Magellan hatten sich Meutereien gegenübergesehen, doch sie hatten sich durchgesetzt und ihre Fahrten fortgesetzt. Diaz jedoch gab nach und kehrte im Frühjahr 1488 unverrichteter Dinge nach Lissabon zurück. Vielleicht war das der Grund gewesen, dass er sofort nach seiner Rückkehr aus der ersten Reihe der portugiesischen Entdecker verschwand. Die nächste und entscheidende Expedition, die Indien tatsächlich erreichte, stand unter dem Kommando Vasco da Gamas, und selbst an der großen Cabral Expedition des Jahres 1500, die Brasilien entdeckte, durfte Diaz nur noch als Unterführer teilnehmen. Bei dieser Expedition fand Bartholomeo Diaz noch im gleichen Jahr während eines Sturmes am Kap der guten Hoffnung den Tod.
Erst die Nachwelt hatte den unglückliche Seefahrer wieder rehabilitiert und ihm seinen Platz unter den großen Entdeckern zugewiesen. Aus Anlass der 500 jährigen Wiederkehr seiner epochalen Kap-Umrundung war im Jahre 1986/7 eine Jubiläumsfahrt organisiert worden. So genau nachgebaut, wie es nach der Quellenlage überhaupt möglich war, allerdings ausgestattet mit den neusten navigatorischen Instrumenten, war die Karavelle „Bartholomeo Diaz“ am 8.11. 1987 unter dem Kommando von Kapitän Emilio de Sousa und 17 Mann Besatzung in See gestochen. Ohne besondere Vorkommnisse und ohne die heftigen Stürme, über die der Entdecker so geklagt hatte, hatte die kleine Fregatte den Ozean durchsegelt, um pünktlich am 3.2.1988 die Mossel Bay zu erreichen. Kurz darauf war rund um die Karavelle ein Bartholomeo Diaz Maritim Museum errichtet worden, das die Geschichte der portugiesischen Afrikareisen dokumentierte.
Dieses Bartholomeo Diaz Maritime Museum befand sich neben einem einladenden Sandstrand an der Uferstraße von Mossel Bay. Als hätte er einen Besen verschluckt, stand der Entdecker höchst selbst als steinerne Skulptur aufrecht auf einer Empore und blickte mit überraschter Miene geradeaus, als könne er es immer noch nicht glauben, dass er damals nicht nach Indien weiter gesegelt war.
Betrat man das Museum, begegnete man zuerst den Helden der portugiesischen Entdeckungsreisen des 15. Jahrhunderts. Heinrich der Seefahrer, der wackere Prinz, der nie wirklich zur See gefahren, aber die portugiesischen Afrikaexpeditionen in Gang gebracht hatte, war ebenso mit von der Partie wie Gil de Eanes, der Mitte des 15. Jahrhunderts die Kongomündung erkundete - und last not least Diego Cao, der zehn Jahre vor Diaz 1477 Cape Cross in Namibia erreicht hatte. Das alles gehörte zur Vorgeschichte der Diaz-Expedition, deren Leistung man nur richtig würdigen konnte, wenn man sich die besonderen Windverhältnisse im afrikanischen Süden vergegenwärtigte. Denn die gesamte Südwestküste Afrikas wird vom kalten Benguela Strom beherrscht, der mit großer Kraft nach Norden fließt. so dass alle Schiffe, die nach Süden steuerten, einen hohen Bogen um Afrika herum segeln mussten, wobei sie leicht im Nirgendwo enden konnten. Unter diesen Umständen war der Anblick der Karavelle „Bartolomeo Diaz“ im Innenraum des Museums wahrlich frappierend – und zwar im Hinblick auf ihre Winzigkeit. Welch ein Missverhältnis zwischen der geringen Ausdehnung des Schiffes und der weltumspannenden Reiseroute, die sie zurücklegen mussten, und welch ein Stress, in dieser Enge monatelang unter Lebensgefahr unterwegs zu sein.
So winzig die Karavelle auch war, so beachtlich war der Besucherandrang, der an diesem Tag über das Schiff hinwegbrauste. Mitglieder einer chinesischen Reisegruppe hatten das Schiff praktisch in Beschlag genommen, standen an der Reling, als blickten sie über die Weiten des Ozeans, krochen durch alle Kombüsen und konnten sich vor lauter Fotografierwut gar nicht fassen. Der chinesische Reiseleiter, der dem Treiben seiner Landsleute mit milder Nachsicht von der Brüstung aus zusah, sprach ein ausgezeichnetes Englisch und erzählte mir, dass sich chinesische Seefahrer schon drei Generationen vor Bartholomeo Diaz von Osten her der Südspitze Afrikas genähert hätten. Ob ich das wüsste? Ein in China allseits bekannter und hochgerühmter Admiral namens Cheng-ho hätte auf seiner letzten Expedition im Jahre 1432 (nach der europäischen Zeitrechnung) mit einer großen Flotte sogar die Küste von Mosambik erreicht. Dann aber hatten die Kaiser der Ming Dynastie der Hochseeschifffahrt abgeschworen und alle Häfen verfallen lassen. Sehr schade, schloss der Reiseleiter, denn sonst hätten vielleicht nicht die Europäer China sondern die Chinesen Europa „entdeckt“.
Inzwischen hatten die Chinesen die Besichtigung der Bartholomeo Diaz abgeschlossen und sammelten sich wieder um ihren Reiseleiter. Dieser wies auf mich, sagte einige Worte auf Chinesisch, wobei ein allgemeines Kopfnicken einsetzte, ehe die Reisegruppe wieder verschwand. Ich blieb noch etwas im Museum, studierte die Exponate über die schmackhaften Muscheln, denen die Bucht ihren Namen verdankte, betrachtete den Postbaum vor dem Museum, an dem die Seefahrer ihre Nachrichten hinterlassen hatten und legte mich anschließend auf die Museumswiese aufs Ohr.
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Die Stadt Oudtshoorn lag eine gute Fahrtstunde nördlich von Mossel Bay und befand sich in einer Klimazone, die etwas missverständlich als „kleine Karoo“ bezeichnet wurde. Missverständlich war diese Kennzeichnung, weil „Karoo“ an sich „Trockenzone“ bedeutete, was für die „große Karoo“ zwischen Worchester und Johannesburg auch ganzjährig zutraf. In der kleinen Karoo von Oudtshoorn, einer von Bergen umschlossenen Ebene, aber gab es reichlich Regen, vor allem im Winter, so dass Gemüse- Obst und Weinanbau betrieben werden konnte. Landesweit bekannt aber war