Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani
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Doch den Vogel Strauß fasste das alles nicht an, zumindest nicht in Oudtshoorn. Wie ein selbstzufriedener König blickte er aus seiner stattlichen Kopfhöhe von mehr als zwei Metern auf die Menschen herab, die aus allen Teilen der Welt anreisten, nur um ihn zu besuchen. An den Straßenecken wurden Straußenwedel angeboten, in den Restaurants aß man Straußensteaks, und in den Buchhandlungen lagen Straußenbücher aus. Während man andernorts an den zentralen Plätzen einer Stadt gerne an berühmte Männer und Frauen erinnerte, befand sich an eben dieser Stelle mitten in Oudtshoorn ein überdimensionales Straußenei. Als der beliebteste lokale Wettbewerb galt das Straußeneier-Wettessen, und das mit Abstand bekannteste Museum der Stadt war natürlich das Straußenmuseum.
Dass einem Geschöpf mit einem solch winzigen Gehirn ein ganzes Museum gewidmet wurde, war allerdings nur die eine Hälfte der Wahrheit. Denn mindestens genauso intensiv wie mit dem Vogel beschäftigte sich das Straußenmuseum von Oudtshoorn mit dem Menschen und seiner Eitelkeit, von der Kant behauptet hat, sie sei nur eine Variante der menschlichen Dummheit. So trafen sich im Straußenmuseum von Oudtshoorn gewissermaßen der dumme Vogel und der dumme Mensch – und zwar am Detail des Federschmucks. Diese Kulturgeschichte des Federschmucks war in zwei Abteilungen eingeteilt, in eine allgemein-kulturgeschichtliche und eine regionale Darstellung. Gleich im Eingangsbereich des Straußenmuseums befand sich eine Nachbildung der berühmten Straußenfedern aztekischer Kriegsgefangener, die am Hofe Karls V. dereinst so großes Erstaunen hervorgerufen hatten. Aus dem Erstaunen der Höflinge erwuchs die Nachahmung, und bald schmückten Straußenfedern die Köpfe so bedeutender Damen wie Maria de' Medici, Mary Stuart und Marie Antoinette. Da wollte das aufstrebende Bürgertum natürlich nicht zurückstehen. Boas, Stolen und überdimensionale Federhüte kamen in Mode, lauter Accessoires, die im Fin de Siècle zur Standardkostümierung der gepflegten Frau gehörten, ohne die sie sich nicht auf die Straße traute.
Die Brücke zum weltweiten Straußenfederexport der Stadt Oudtshoorn aber schlug erst der Farmer und Tüftler Arthur Wingfield Douglas, der um 1860 seine Zeitgenossen mit einer epochalen Erfindung überraschte: dem Straußeneier-Inkubator. Dieser Apparat, ein mit Schubladen versehenes und beheizbares Möbelstück, dessen Urmodell einem altertümlichen Sideboard glich, ermöglichte eine bis dahin ungeahnte Ausweitung der Straußenzucht und den Aufstieg Oudtshoorns zur wohlhabendsten Stadt am Kap. Eine Kaste der so genannter „Federbarone“ entstand, deren Angehörige sich herrschaftliche Villen errichten und mit jedem nur denkbaren Komfort ausstatten ließen. Wer wollte, konnte einige dieser Häuser in Oudtshoorn besuchen und im Angesicht von holzbeschlagenen Bibeln, kostbarem Porzellan und einer deprimierenden Menge von Kitsch und Nippes darüber nachgrübeln, wie aus den Federn eines dummen Vogels und der Eitelkeit der Menschen eine reiche Stadt entstehen konnte.
Doch nichts ist von Dauer in der Welt, schon gar nicht im unberechenbaren Reich der Mode. Ein Überangebot
qualitativ minderwertiger Straußenfedern ließ schon vor dem ersten Weltkrieg die Weltmarktpreise einbrechen. Mit dem Siegeszug des Automobils kam dann auch das praktische Aus für den raumgreifenden Federschmuck. Denn in den anfangs noch recht kleinen Fahrzeugkabinen waren überdimensionale Straußenfederhüte, meterlange Boas und voluminöse Stolen einfach fehl am Platz. Sie zerknautschen jämmerlich, und wenn man das Verdeck lüftete und im Cabrio durch die Gegend brauste, flogen sie einfach davon. Eine Zeitlang experimentierte man noch mit miniaturisierten Hüten und Boas, doch die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre und der weltweite Zollprotektionismus machten dem Straußenfederngeschäft von Oudtshoorn endgültig den Garaus.
Doch die Stadt hatte Glück, denn der Strauß erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg eine wundersame Renaissance - diesmal nicht als Feder-, sondern als Fleischlieferant. Das Straußensteak avancierte zum festen Bestandteil einer nahrhaften und mitunter sogar raffinierten Küche, die sich zuerst im Süden Afrikas und schließlich auch in Übersee durchsetzte. Mit diesem Wandel vom Federschmuck zum Steak war das Verwertungspotenzial des Vogels aber immer noch nicht ausgereizt. Fast alle Farmen rund um Oudtshoorn boten inzwischen Führungen an, die wissensdurstige Besucher über die Feinheiten der Straußenzucht informierten.
Ein agiler Schwarzafrikaner, der im Blaumann auftrat und sich als Bill vorstellte, führte unsere Gruppe über eine Straußenfarm, erläuterte Größe, Bewirtschaftung und Klimaverhältnisse und zeigte uns die großen Inkubatoren, in deren Fächern Hunderte von Straußeneiern bebrütet wurden. Nach nur sechs Wochen Bebrütung sei es dann soweit, die Straußenbabys krochen aus dem Ei, und wuchsen in separaten Gehegen auf. Allgemeines Erstaunen machte sich breit, als wir zu einem solchen Gehege geführt wurden und wenige Tage alte Straußenbabys erblickten, an denen noch nichts auf ihre spätere Größe hindeutete. Ich notierte: Der Baby-Strauß gleicht einer Ente. Sein Hals wächst erst später. War der Hals erst mal gewachsen und hatten die Strauße ihre stattliche Normalgröße erreicht, war ihr Leben aber auch schon zu Ende, berichtete Bill, denn schon im Alter von vierzehn Monaten würden die Tiere geschlachtet. Für die Straußensteak-Herstellung käme nur der unter den Federn verborgene Oberschenkel in Frage, fügte er hinzu. Die Haut wiederum werde zu Leder für Schuhe und Jacken gegerbt, von denen man sich einige im Souvenirshop der Farm ansehe könne.
Ein längeres Leben war den Tieren auf den Straußenfarmen nur vergönnt, wenn sie sich zur touristischen Präsentation eigneten, etwa als pittoreskes Fotomodell, das zur Freude der Gäste unter einem malerischen Sonnenschutz Eier ausbrütete - oder als besonders angepasstes Exemplar, das seinen Hals herumschwenken ließ, als wäre er ein Gartenschlauch. Besonders zahme Vögel wurden dazu ausersehen, jubelnde Touristen ein wenig durch die Gegend zu tragen, was in Wahrheit eine Gaudi für die Zuschauer war, weil die Reiter/innen immer wieder vom runden Rücken des Tieres mit großem Karacho herunterfielen.
Konnte man solche Darbietungen noch unter Selbstironie abbuchen, wurde es beim finalen Straußenderby ein wenig schräg. Begleitet vom Gejohle der Touristen rannten einige Straußenvögel im Rahmen eins sogenannten „Straußenrennens“ mitsamt ihren "Jockeys" auf den Rücken, einen Imaginären Parcours entlang, während ihre „Reiter“ alle Hände voll zu tun hatten, sich auf dem abschüssigen Rücken der Tiere festzuhalten. Dieses Erlebnis war weder besonders spannend noch lustig, sondern allenfalls lehrreich: Der Strauß mochte zu den dümmsten Tieren des Planeten gehören. Der Mensch aber entpuppte sich in solchen Augenblicken als das Wesen, das im Reich des Lebens zweifellos zur größten Peinlichkeit befähigt war.
***
Die Natur ist der genialste Künstler, welcher Liebhaber der Welt wüsste das nicht? Doch sie benötigt Zeit, jede Menge Zeit, für einen winzigen Kubikzentimeter Form einige Jahrhunderte Witterung und Wind. Wie lange hatte es gedauert, ehe die Swartberg-Höhen und die Outeniqua-Berge entstanden waren, die die kleine Karoo von der Gartenroute trennten? Millionen Jahre war unterirdisches Wasser durch den Fels gedrungen und hatte im Zusammenspiel mit tektonischem Druck und Gesteinshärte die riesigen Cango Caves in der Nähe von Oudtshoorn geschaffen, ein System großer unterirdischer Höhlen mit jahrhunderttausende Jahre alten Stalagmiten und Stalagtiten. Mit 2,7 Millionen Jahren war die sogenannte „Trauerweide“, die älteste Steinstruktur der Cango Caves, älter als die gesamte menschliche Gattung.
Eine Stimmung der Zeitlosigkeit lag über den Outeniqua Mountains, die ich auf meinem Rückweg zur Küste durchfuhr. Die Erde brachte ihre Früchte und Formen hervor und schien sich nicht um das Gewusel auf ihrer