Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani
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Vexierbild der Welten
Am Kap der Guten Hoffnung
und in der südafrikanischen Weinprovinz
Das Ende der Welt hat viele Gesichter. In der Realität und noch mehr in der Geschichte. Im Mittelalter verstand man unter dem Ende der Welt einen Rand, über den die allzu Wagemutigen ins Nichts stürzten. Deswegen blieben die meisten lieber auf festem Grund und wagten sich allenfalls vor bis an die Ränder der Kontinente, bis an die letzten Küsten, jenseits derer alles im Nebel verschwand. So jedenfalls sah es am Capo finisterre aus, dem Urbild aller Kaps im Nordwesten Spaniens. Hier lag für den mittelalterlichen Menschen über dem Ende der Welt ein Vorhang des Schreckens. Der Nebel und die Stürme am Capo finisterre waren deswegen kein Ärgernis sondern ein gnädiger Sichtschutz von den Monstrositäten des Unbekannten.
Das änderte sich mit dem Zeitalter der Entdeckungen. Nun waren die großen Landmarken der Kontinente nur noch Grenzen, die es bei der Erkundung der Welt zu überwinden galt. Fast einhundert Jahre tasteten sich die portugiesischen Seefahrer die Südküste Afrikas entlang - auf das Kap Bojador folgte das Kap Verde, auf das Kap Mount das Kap Cross, bis im Jahre 1488 endlich das letzte Kap erreicht war, eine Region wilder Orkane, jenseits derer der ersehnte Weg nach Indien frei lag. „Kap der Stürme“ nannte der portugiesische Entdecker Bartholomeo Diaz das letzte Kap, das später sein Schicksal werden sollte. Sein König änderte den Namen in „Kap der Guten Hoffnung“. Unter diesem Namen wurde es zu einem Meilenstein der Entdeckungsgeschichte.
Ich begann meine Reise zum Kap der Guten Hoffnung am frühen Morgen in Kapstadt. Es war ein Bilderbuchtag, auch wenn die Morgensonne lauter eingeschlagene Fensterscheiben in der direkten Nachbarschaft des Hotels beschien. Ich lenkte den Wagen über die Küstenstraße nordwestlich um den Signal Hill und erreichte Camps Bay, einen der Nobelvororte Kapstadts, in dem die Reichen und die Schönen noch immer ihren Urlaub verlebten, als hätte es den Wandel am Kap nie gegeben. Malerisch gezackte Berge, die sogenannten „Zwölf Apostel“ zur Rechten, der glitzernde Atlantische Ozean zur Linken, durchfuhr ich eine Landschaft, so harmonisch schön wie es Europa vor der Industrialisierung gewesen sein mochte. Idyllische Orte am Wegesrand, blitzsaubere Straßen und Fassaden in knallbunten Farben bildeten die Kulisse für eine Bilderbuchwelt weit abseits von Townships und Cape-Flats. Kaum Farbige auf den Straßen, lauter wohlhabende dicke Weiße, die am Sonntag in die Kirche gingen. Hoppla, man musste aufpassen, dass einem die Vorurteile nicht die Wahrnehmung trübten. Denn natürlich waren auch Farbige anwesend, allerdings vorwiegend als Polizisten, Kellner, Parkwächter oder Straßenhändler. Sie standen an den Ausfallstraßen, bedienten in den Restaurants und verkauften Schnitzereien, Steine oder Modeschmuck an vorbeireisende Touristen.
Hinter Houts Bay wählte ich den Umweg nach Constantia. Constantia lag im Rücken des Tafelbergmassivs in einem von Bergen umgebenen Tal, durchgrünt, leicht hügelig und üppig bepflanzt, ein Burgund im Bonsai-Format, nur mit einem angenehmeren Klima. Wie eine Armee von Zinnsoldaten standen die Rebstöcke links und rechts der Straße und kontrastierten in ihrer akkuraten Geometrie mit dem unordentlichen Schwung der Palmenblätter. Constantia hielt sich viel darauf zugute, der Ursprungsort des südafrikanischen Weinanbaus zu sein, denn seine Anbautradition reichte bis in die Anfangstage der Kolonie zurück. Simon van der Stel, der zweite Gouverneur und eigentliche Vater der Kapprovinz, hatte hier am Ende des 17. Jahrhunderts mit dem ersten zaghaft betriebenen Weinanbau begonnen.
Als befände man sich in den amerikanischen Südstaaten führte eine mächtige Eichengalerie zum Eingangstor von „Groot Constantia“, dem bekanntesten Weingut der Stadt. Es bestand aus Anbauflächen, Kellereien und Lagerhäusern, sein Schmuckstück jedoch war das Manor, der alte Herrensitz des Gouverneurs. Es war ein Gebäude, so wuchtig und solide, dass es das Ende des holländischen und britischen Imperiums locker überstanden hatte und nun frisch restauriert zur Besichtigung bereitstand. Sein Außenanstrich war in strahlendem Weiß gehalten, seine Reetdächer fielen steil ab, und die Vorderfront wurde von einem zweistöckigen Portal geschmückt. Hinter dem Eingangsberiech befand sich der Cloete Wine Cellar, eine Mischung aus Shop und Museum, in dem sich die Besucher an einer Weinverköstigung laben oder sich über die Geschichte des südafrikanischen Weinanbaus informieren konnten. Die Kurzfassung dieser Geschichte lautete, dass der Sohn Gouverneurs Simon van der Stels mit seinem Weingut bankrott gegangen war und dass sich aus der Vermögensmaße Alt-Constantias fünf Weingüter gebildet hatten (Groot Constantia, Klein Constantia, Buitenverwachting, Constantia Uitsig und Steenberg), deren Weine inzwischen in die ganze Welt exportiert wurden. Eine deutsche Reisegruppe, die mit mir das Weinmuseum besuchte, sprach den Weinproben kräftig zu, ich musste verzichten, denn ich wollte heute noch das Kap erreichen.
Ich verließ Constantia und erreichte bald wieder die Durchgangsstraße zum Kap. Die üppige Begrünung von Camps Bay oder Constantia verschwand, ich hatte das Reich von Protea und Fynbosgewächsen erreicht. Ausgedehnte Flächen von Eiskrautgewächsen schmückten wie ein violetter Teppich die Bergabhänge. Es folgten vom Wind flachgefräste Felsen, ehe die ersten Sanddünen erschienen. Manche Anblicke erinnerten an die marokkanische Kabylei - Afrika, der Kontinent, der im Norden und Süden gleich aussah und in seiner Mitte Schwüle und Tod beherbergte. Immer weiter nach Süden zog sich die Straße, ein langer steinerner Finger aus Geröll und Felsen, an dessen Ende der Wind eine orkanartige Stärke gewann.
Das eigentliche Kap bestand aus einem etwa 250 Meter hohen Berg mit Besuchertribüne und Leuchtturm auf einem flachen Plateau. Kaum hatte ich den Wagen verlassen, ergriff mich der Wind mit solcher Kraft, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. „Kap der Stürme“ wäre vielleicht doch der passendere Name gewesen. Selbst die Kabinen der Kabelbahn gerieten durch den Wind in beängstigende Schwingung. Noch schlimmer war es auf dem Besucherplateau, einem Ort, an dem sich keine Frisur und keine Kappe auf dem Kopf behaupten konnten. Karten und Schals flogen durch die Gegend, Kinder stellten sich quer gegen den Wind, ohne umzufallen, der Wind der südlichen Meere schockierte durch seine immense Kraft. Er peitschte die Brecher des Ozeans in immer neuen Wellen gegen die Felsen tief unter uns, es toste und donnerte, und die Gischt leckte wie eine Nebelzunge an den Abhängen des Kap Felsens. Wie viele Schiffe waren hier am Kap der Stürme gescheitert, wie viele Matrosen waren in Sichtweite der Küste ertrunken, wie viele Schätze lagen ungehoben auf dem Meeresgrund? Alles Vergangenheit. Gegenwärtig war nur das tosende Meer, das sich wie ein doppelköpfiges Ungeheuer gebärdete - doppelköpfig, weil hier der Atlantische Ozean und der Indische Ozean aufeinanderstießen, unterschiedlich warm ein jeder und vom Heulen permanenter Windböen begleitet, die vor der gesamten Küste gegeneinanderstießen. Es war ein Hexensabbat der Elemente, der den Betrachter glatt vergessen ließ, dass er überhaupt noch nicht am südlichsten Punkt Afrikas angekommen war. Denn das wirkliche Südkap Afrikas befand sich zweihundert Kilometer weiter südöstlich am unscheinbaren Kap Agulhas, dem Nadelkap.
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Vom Kap aus führte