Spannt die Pferde vor den Wagen!. Hermine Stampa-Rabe
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An diesem Tag war Oma Blücher auch zu uns in den Garten gekommen. Sie war eine resolute alte Dame und fing einen Maulwurf, der in unserem Garten seinen Maulwurfshügel aufgeworfen hatte. Kurz entschlossen tötete sie ihn und befestigte ihn auf einer Stange, die sie in dem Garten aufstellte.
„Warum machst du das denn, Oma?" fragte ich sie.
Sie antwortete mir mit felsenfester Überzeugung: „Wenn andere Maulwürfe diesen toten Maulwurf sehen und merken, dass er nicht mehr lebt, dann kommt keiner mehr in unseren Garten, um ihn umzuwühlen."
Und dann nach einer kleinen Pause erzählte sie mir: "Früher habe ich alle gefangenen Maulwürfe auch noch abgezogen und die kleinen Felle gegerbt. Zum Trocknen heftete ich sie an die innere Kellertür. Daraus ließ ich mir dann eine Pelzjacke anfertigen."
Das imponierte mir sehr.
Gegen Abend gingen wir wieder langsam nach Hause. Nach dem Abendessen und vor dem Abendgebet sangen wir noch mit Vater und Mutter dieses Lied:
Weißt du, wie viel Sternlein stehen
an dem blauen Himmelszelt?
Weißt Du, wie viel Wölkchen ziehen
weit hinüber alle Welt.
Gott, der Herr, hat sie gezählet,
dass ihm auch nicht eines fehlet
an der ganzen großen Zahl,
an der ganzen großen Zahl.
Weißt Du, wie viel Mücklein spielen
in der heißen Sonnenglut?
Wie viel Fischlein auch sich kühlen
in der hellen Wasserflut?
Gott, der Herr, rief sie mit Namen,
dass sie alle ins Leben kamen,
dass sie nun so fröhlich sind,
dass sie nun so fröhlich sind.
Weißt Du, wie viel Kinder frühe
stehen aus ihrem Bettlein auf?
Dass sie ohne Sorg und Mühe
fröhlich sind im Tageslauf?
Gott im Himmel hat an allen
seine Lust und Wohlgefallen,
kennt auch dich und hat dich lieb,
kennt auch dich und hat dich lieb.
Bald waren wir in einen tiefen und gesunden Schlaf gefallen.
Das Haus Blücherstraße 12A beherbergte noch mehr Familien. Über uns wohnte der Studienrat Krockow, darüber der Staatsanwalt Weiß und ganz oben Frau Puttlich. Uns gegenüber in der Blücherstraße wohnte eine sehr dicke Frau. Sie hieß Frau Hackelberg. Wenn bei uns mal der Strom ausfiel, sagte Vater immer: „Frau Hackelberg sitzt auf der Leitung."
Darüber musste ich immer sehr lachen.
Schräg gegenüber in der Blücherstraße Nr. 7 wohnte Tante Rave. Bevor meine kleine Schwester Bärbel geboren wurde, hatten wir dort unter ihr gewohnt. Tante Rave war eine von Mutters besten Freundinnen. Sie hatte uns Kinder immer sehr geliebt.
Einmal habe ich sie ganz allein besucht. Zu ihr musste ich Treppen steigen. Es war vormittags. Sie hatte gerade zwei für meine Verhältnisse große Fische gekauft.
„Komm mit mir in die Küche", sagte sie, nahm mich mit dorthin und nahm die Fische aus. So etwas hatte ich vorher noch nie gesehen. Bei uns wurde nämlich nie Fisch gegessen.
Sie trennte die Schwimmblasen aus den Fischkörpern, zeigte sie mir und sagte:
„Sieh mal, Herminchen, in diesen beiden Blasen befindet sich Luft. Nur dadurch können die Fische im Wasser beim Schwimmen in der richtigen Lage schweben. Platzt einmal aus irgendeinem Grund eine Blase, muss der Fisch elend sterben."
Tante Rave nahm mich gern auf ihre Knie und spielte mit mir Hoppe Reiter. Dazu sagte sie zwei verschiedene Verse auf. Der erste lautete so:
Hoppe, hoppe Reiter.
Wenn er fällt, dann schreit er.
Fällt er in den Graben,
fressen ihn die Raben.
Fällt er in das grüne Gras,
macht er sich die Höschen nass.
Fällt er in den Sumpf,
macht der Reiter plumps!
Aber der zweite Vers ging ganz anders. Den kannte sie von ihrer Großmutter, bei der sie aufgewachsen war. Tante Rave war über vierzig Jahre älter als ich. Wenn wir dann das Alter von ihrer Großmutter dazuzählen, kommen wir ungefähr auf die Zeit, in der dieser Vers immer gesprochen wurde:
So reiten die Herren
mit blanken Gewehren,
mit blanken Pistolen.
Sie reiten nach Polen
und wollen unserer kleinen Hermine
eine neue Puppe holen.
Und die dummen Bauern hinterdrein
auf ihren Zuckelpferdchen.
Backappel, Backappel, Backappel runter gefallen!
Jedes meiner Geschwister und ich besaßen einen kleinen Porzellanvogel, der mit einer Spange an der Wohnstuben-Übergardine befestigt war. Meiner war ein ganz bunter und hübscher kleiner Zeisig.
Und irgendwie bin ich mal zu einer brennenden Kerze gekommen. Ich erfreute mich an der kleinen flackernden Flamme und stand im Elternschlafzimmer am Fenster dicht bei der Gardine. Diese fing Feuer. Zum Glück war Mutter in meiner Nähe und konnte es, bevor es zu großen Schaden anrichten konnte, wieder löschen. Das wäre beinahe ein sehr großes Unglück geworden.
Und eines Tages brachte Vater aus Großborn, wo er jetzt als Soldat diente, einen Schuhkarton mit. Er stellte ihn auf den Tisch und sagte zu uns:
„Ratet doch mal, was in dem Karton ist."
Der Deckel des Kartons hatte kleine Luftlöcher. Aber hineinschauen durften wir natürlich nicht. Aus dem Innern kamen komische und schabende Geräusche. Das konnte kein Vogel sein, wie wir zuerst annahmen. Keiner von uns konnte es erraten. Da nahm Vater lächelnd den Deckel ab und holte eine kleine Landschildkröte hervor. Weil sie sich mit einem so zackigen und rhythmischen Schritt vorwärts bewegte, wurde sie auf den Namen „Napoleon" getauft. Napoleon durfte während unserer Mahlzeiten auf dem Tisch sein Salatblatt auffressen. Drollig sah es aus, wenn er mit seinem Maul Dreiecke in das Salatblatt biss.