Ein undurchsichtiger Gentleman.. Catherine St.John
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Читать онлайн книгу Ein undurchsichtiger Gentleman. - Catherine St.John страница 4
Eine halbe Stunde später stand sie mit Mary in der Hotelhalle, während ihre Mutter einem der Hotelboten ihren Auftrag erteilte.
Gäste traten ein und eilten hinaus, Pagen liefen, um Gepäck zu tragen und Getränke zu servieren – und am Fenster zur Seitenstraße saßen einige Herren, die abwechselnd das Treiben auf der Straße beobachteten und dann wieder die Damen in der Halle beäugten – sogar mit Lorgnon!
Annabelle drehte ihnen entrüstet den Rücken zu und ihre Mutter zischte, als sie die Gentlemen – Gentlemen? – bemerkte: „Unerhört! Komm, mein Kind! Mary!“
Sie folgten Lady Norton, die aus jeder Pore Missbilligung verströmte, nach draußen auf die Jermyn Street. „Sind wir gut zu Fuß?“, fragte ihre Mutter draußen. „Wir könnten den Wagen nehmen oder die Regent Street nach Norden gehen und dabei nach schönen Geschäften Ausschau halten.“
Das gefiel Annabelle nun wieder besser: „Modistinnen?“
„Unter anderem“, hielt ihre Mutter sich etwas bedeckt. „Dann wollen wir doch mal sehen, was wir alles ausfindig machen können!“
Sie marschierte munter vorneweg, so zügig, dass Annabelle kaum mehr als einen Blick in die verlockenden Schaufenster am Wegesrand werfen konnte. Immerhin konnte sie sich einen Laden merken: Mademoiselle Rosalie´s Paradise, alles in rosa dekoriert und mit einigen wunderhübschen kleinen Täschchen und Schals geschmückt. Hier musste sie morgen unbedingt noch einmal hin! Notfalls nur mit Mary, falls ihre Mutter immer noch mit Handtüchern beschäftigt sein sollte…
Handtücher waren öde!
„Annabelle, trödle nicht so! Du bist doch kein kleines Kind mehr – und es geht um deinen künftigen Hausstand!“
„Das ist doch immer noch Lady Nortons Hausstand! Oder glaubst du, sie und Stephens Vater ziehen ins Dower House und überlassen uns das Herrenhaus?“
„Nein, natürlich nicht. Das wäre ja auch albern. Aber sie könnten es umgekehrt arrangieren, nicht wahr? Möchtest du dann nicht eigene Handtücher und Haushaltswäsche haben?“
Annabelle zuckte die Achseln. „Alte Handtücher würden mich nicht stören, solange ich hübsche Nachtwäsche habe. Und sauber wird ja in Norton House wohl alles sein!“
„Das, meine naive Tochter, wird davon abhängen, wie gut du dein Personal im Griff haben wirst. Ich fürchte, du hast in den nächsten Wochen noch einiges zu lernen!“
Das wurde mit einem unwilligen Laut quittiert: Musste sie jetzt etwa ihrer Mutter auf Schritt und Tritt durch alle Obliegenheiten des Haushalts folgen? Sie wusste doch schon, wie man einen Haushalt führte und die Dienstboten richtig behandelte!
Andere Passanten wurden schon aufmerksam auf die diskutierenden Damen. Nur Mary stand stumm dabei, aber einige junge Männer schenkten Annabelle anerkennende Blicke und zogen zum Teil sogar den Hut. Ein strenger Blick Lady Horburys brachte die meisten zur Raison, aber einer, ein wirklich recht gut aussehender junger Mann mit blonden Locken, grünen Augen und einer aufregend bunt gestreiften Weste, zwinkerte ihr doch tatsächlich unverschämt zu, bevor er seinen Biberhut noch einmal schwenkte.
Annabelle reckte die Nase etwas höher und folgte eilig ihrer Mutter, Mary im Gefolge, die sich noch einmal neugierig nach dem frechen Kavalier umsah.
Hatte sie ihm so gut gefallen? Annabelle eilte so in Gedanken versunken weiter, dass sie beinahe in ihre Mutter hineingeprallt wäre, die an der Ecke auf sie gewartet hatte.
„Also bitte, Annabelle! Nun nimm dich doch endlich einmal zusammen und zeig wenigstens ein notdürftiges Interesse an deinem künftigen Hausstand. Was bitte soll Stephen von dir denken? Du bist zwar noch recht jung, aber du kommst schließlich nicht gerade aus dem Schulzimmer. Benimm dich also deinem Alter angemessen!“
Annabelle ließ den Kopf sinken. „Ja, Mama.“ Sie schämte sich tatsächlich, denn sie liebte doch Stephen – und dennoch dachte sie über einen hübschen, aber unverschämten Fremden nach?
Aber wenn Mama aus dieser Verlobung auch etwas so Langweiliges wie den Erwerb von Handtüchern machte!
Sie folgte Lady Horbury entsprechend lustlos in einen Laden zu Beginn der Oxford Street, wo sie aber die Auswahl an den feinsten Leinentüchern schließlich doch fesselte – ein wenig zumindest. Als ihre Mutter zwölf Dutzend der besten Qualität orderte und zugleich darum bat, sie alle mit AH zu besticken, wurde es sogar ausgesprochen interessant, denn es gab eine große Auswahl an Stickvorlagen und Annabelle stürzte sich enthusiastisch in eine Diskussion über die eleganteste Monogrammgestaltung. Sie entschied sich schließlich für eine schlichte, aber schwungvolle Buchstabenform und wählte die gleiche Form auch für die sechs Dutzend Küchenhandtücher, die mit einem hübschen blauen Rand angeboten wurden. Allerdings gab es diesen Rand auch in Rot…
Annabelle versank in Gedanken und entschied sich dann doch für Blau: „Immerhin ist es Stephens Lieblingsfarbe!“
„Du meinst, falls er sich tatsächlich einmal in die Küche verirren sollte?“ Lady Horbury tauschte mit der Leinenhändlerin einen erheiterten Blick.
„Das kann man doch nie wissen“, verteidigte Annabelle sich sofort. „Ich liebe Blau übrigens auch – und du kannst nicht bestreiten, dass ich mich von Zeit zu Zeit in der Küche sehen lassen muss, oder?“
„So lange ihr keine zuverlässige Haushälterin habt und einen entsprechenden Butler, gewiss. Nun, immerhin verstehst du etwas von der feinen Küche, wenn auch noch nicht vom Leinenbedarf eines vornehmen Haushalts. Gut, Mrs. Barclay, dann nehmen wir die zwölf Dutzend Waschhandtücher und sechs Dutzend Küchentücher mit blauem Rand. Sie schicken alles, mit Monogrammen versehen, bitte nach Beech House in Kent. Ich schreibe Ihnen die genaue Adresse auf…“
Annabelle, schon wieder gelangweilt, sah sich im Laden um. Gab es hier nichts wirklich Interessantes? Schöne Nachtwäsche zum Beispiel? Aber aus kratzigem Leinen wollte sie auch keine Nachthemden mehr tragen – einer jungen Ehefrau sollte Seide zukommen, fand sie. Mama sah das leider bestimmt wieder anders…
Lady Horbury hatte ihre Verhandlungen beendet und sah sich nach ihrer Tochter um. „Wir kehren zum Hotel zurück – und morgen besuchen wir vielleicht den Pantheon Bazaar, dort finden wir bestimmt einige nette Kleinigkeiten für dich, mein Kind.“
Das munterte Annabelle wieder beträchtlich auf, aber sie hatte auch selbst einen Vorschlag zu machen, nämlich Mademoiselle Rosalie´s Paradise. „Daran kommen wir auf dem Rückweg doch ohnehin vorbei! Oh bitte, Mama! Das Schaufenster sah wirklich verlockend aus!“
„Nun, meinetwegen. Sollte es nicht zu unpassend sein, können wir ja wohl einen kurzen Blick riskieren.“
Annabelle war drauf und dran, ihrer Mutter mitten in der Oxford Street um den Hals zu fallen – Lady Horbury konnte sie gerade noch bremsen: „Kind, wie alt bist du eigentlich? Sieh dich um, wir erregen schon wieder die Aufmerksamkeit der Menschen! Nun benimm dich so gesittet, wie wir es dir beigebracht haben – oder wir werden an diesem Paradise einfach vorbeimarschieren!“
Annabelle sah sich, mäßig geknickt, um und blickte in aufmerksame Gesichter. Die meisten Leute wandten sich rasch ab, als sie sich ertappt sahen, aber da war schon wieder ein junger Gentleman, der seinen Hut zog: Gab es in London so viele von diesen gleich aussehenden Männern? Alle in blauem Gehrock und sandfarbenen Pantalons? Alle eher