Ein undurchsichtiger Gentleman.. Catherine St.John

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Ein undurchsichtiger Gentleman. - Catherine St.John

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„Das wird wohl kaum nötig sein, unser Wagen steht gleich hier – und auf unseren Kutscher ist stets Verlass. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sir Ernest!“

      Sie stieg, von Annabelle dicht gefolgt, rasch in den offenen Wagen und setzte sich zurecht, dem jungen Mann noch einmal zunickend, der Annabelle mit verzehrendem Blick betrachtete.

      „Ein doch etwas seltsamer junger Mann“, erklärte diese, sobald der Wagen außer Hörweite gerollt war. „Ein so übertriebenes Gebaren! Meinst du, das ist in London so üblich, Mama?“

      „Das denke ich nicht. Außerdem glaube ich gar nicht, dass dieser so schwungvolle junge Mann überhaupt aus London stammt. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn wir ihn nicht noch einmal treffen.“

      „Ach ja, hat John nicht erzählt, er stamme aus dem Norden? Der Sohn eines Fabrikbesitzers?“

      „Du hast Recht. Nun, heute Abend im Theater wird er hoffentlich nicht schon wieder in Erscheinung treten!“

      Kapitel 5

      Annabelle sah sich fasziniert um, als John seine Damen in eine Loge mit gutem Blick auf die Bühne geleitet hatte. „Wie riesig das alles ist! Und so viele Menschen! Und die Damen gegenüber, schaut doch nur!“

      „Annabelle!“, zischte Lady Horbury. „Wehe, du zeigst noch mit dem Finger auf die Damen! Setz dich und kommentiere ihr Aussehen leise hinter deinem Fächer, wie es sich gehört!“

      Ihre Tochter gehorchte und John klärte sie freundlicherweise auf: „Die Dame in Purpur ist eine Mrs. Templeton. Sie hat vor einigen Jahren ihren Gemahl verloren und ist nun eine recht wohlhabende Witwe.“

      „Woher weißt du das alles?“, wollte Annabelle wissen.

      „Auch im Club blühen Klatsch und Tratsch. Es dürfte einige Herren geben, die sich da Hoffnungen machen…“

      Lady Horbury linste betont diskret über den Rand ihres Fächers. „Der Geschmack der Dame lässt allerdings zu wünschen übrig – und wie kann man zu so zarten Farben einen Purpurton wählen? Das macht doch totenblass!“

      Annabelle warf ebenfalls einen vorsichtigen Blick auf die Dame, die sich mit einer silbergrau gekleideten Begleiterin unterhielt: goldblonde Locken, helle Augen, ein klassisch englischer Teint. Sie musste ihrer Mutter Recht geben.

      „Ein nicht zu kräftiges Saphirblau wäre eine bessere Wahl gewesen“, schlug sie also vor und erntete ein Handtätscheln. „Meine Tochter! Du hast meinen unfehlbaren Blick für Farben geerbt.“

      Annabelle kicherte. „Außer in diesem Paradies-Geschäft, nicht wahr?“

      „Dieses unsägliche Rosa? Nun gut, das kann auch an den wirklich schmutzigen Fenstern gelegen haben…“

      Dass ihre Mutter heute so großzügig war? Kein Tadel, keine hochgezogenen Augenbrauen – außer beim Betreten der Loge?

      Die Saaldiener löschten langsam die Beleuchtung und Annabelle fixierte erwartungsvoll den Vorhang, ohne dass der Lärm im Parkett wesentlich leiser geworden wäre.

      Dennoch waren die turbulenten Ereignisse auf der Bühne verständlich genug, um Annabelle gänzlich zu fesseln. Lady Horbury und ihr Sohn betrachteten ihr niedliches Profil mit dem aufgeregt geöffneten Mund gerührt und lächelten, als der Vorhang zur Pause fiel und Annabelle sich ihnen zuwandte: „Ob der Prinz erkennen wird, dass diese Frau böse ist? Ich bin ja schon so gespannt, wie es weitergeht!“

      „Ich verrate es dir nicht“, schmunzelte ihre Mutter.

      „Ja, weißt du es denn?“

      „Natürlich – ich habe dieses Drama schon einmal gesehen. Komm, wir lassen uns Erfrischungen bringen!“

      John stand schon in der Tür, um einen Lakaien herbeizurufen – zwei Gläser Champagner und ein Glas Mandelmilch.

      Annabelle war kurz davor, zu schmollen, weil sie keinen Champagner bekam, aber als John sie breit angrinste, beschloss sie, es doch zu lassen. Wer wollte schon immer als Küken abgetan werden? Aber Stephen würde ihr sicher Champagner gestatten, wenn sie erst einmal verheiratet waren! Stephen würde ihr überhaupt alles gestatten, da war sie ganz sicher!

      Nur noch wenige Wochen…

      „Da ist dieser Mensch doch schon wieder!“, stellte ihre Mutter ohne Begeisterung fest.

      „Welcher Mensch?“, fragte John mit mäßigem Interesse.

      „Der junge Mann, den wir gestern Abend im Speisesaal kennengelernt haben. Heute ist er uns übrigens schon wieder in den Weg getreten.“

      „Vielleicht verfolgt er uns“, schlug Annabelle vor und nahm ihr Glas Mandelmilch entgegen.

      John lachte. „Und warum sollte er das tun? Aber vielleicht gefällst du ihm ja…“

      „Wir haben doch gestern schon verkündet, dass wir wegen Belles Trousseau hier sind“, wandte Lady Horbury ein. „Ich denke, es war nur Zufall. Vielleicht wollte er sich auch nur bei Gunter´s erfrischen. Das hatten wir schließlich auch gerade getan.“

      „Möglich“, murmelte John und trank einen Schluck Champagner. „Ich wüsste auch nicht, warum er euch verfolgen sollte, wenn Annabelle praktisch schon unter der Haube ist und er nicht versucht hat, euch zu berauben. Oh, es scheint weiter zu gehen!“

      Tatsächlich wurden die Kerzen wieder gelöscht und Annabelle beugte sich wieder vor, um auch nichts zu verpassen. Atemlos verfolgte sie die turbulenten Aktionen auf der Bühne und erschrak bei jeder Verwicklung, die die Liebenden zu trennen drohte, bis sie schließlich glücklich aufseufzte, als sich die beiden in den Armen lagen, während der Vorhang langsam fiel.

      „Jetzt ist alles gut!“, murmelte sie zufrieden. „Ein herrliches Stück!“

      „Ja, aber eben nur ein Stück!“, kommentierte John, dem es an Empfindsamkeit doch sehr mangelte. „Vergieß keine Tränen über Leute, die es nur auf dem Papier gibt!“

      „Aber das ist doch ein so schönes Gefühl“, wandte Lady Horbury ein. „Und ein Drama, das so zu rühren versteht, ist auf jeden Fall sehr gut geschrieben!“

      John brummte und spähte ins Parkett. „Tatsächlich, da unten steht er, dieser Sir Ernest. Nun, das kann auch Zufall sein, schließlich ist das Theater heute sehr gut besucht. Warum sollte er nicht ebenfalls hier sein? Immerhin besser als eine Spielhölle aufzusuchen – auch wenn er es sich wohl leisten könnte, sein Vater soll ausgesprochen reich sein.“

      „Wir werden ja sehen, ob wir ihn im Foyer treffen, wenn wir auf unseren Wagen warten“, meinte Lady Horbury friedlich.

      Im Foyer unterhielten sie sich halblaut über Belanglosigkeiten und Annabelle hielt tatsächlich so diskret, wie sie vermochte, nach diesem Sir Ernest Ausschau. Schließlich entdeckte sie ihn, er kehrte ihr halb den Rücken zu, so dass sie sein wirklich hübsches Profil bewundern konnte, und unterhielt sich mit zwei anderen jungen Herren – Gentlemen? Der Kleidung nach gewiss. Hastig studierte sie die Besucher auf der anderen Seite – oh! Die Dame in Purpur, die im Licht der Lüster ganz besonders blass wirkte, aber wirklich wunderbar zarte Gesichtszüge hatte. Sie musste noch recht jung sein! Und die Dame in Silbergrau war wohl ihre Gesellschafterin?

      Der

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