Vom höchsten Gut und vom größten Übel. Cicero

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Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero

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und wenn ihre Erwerbung schwer fällt, so darf man doch der Erforschung der Wahrheit, bevor man sie erreicht hat, keine Schranke ziehen; auch bleibt die Ermüdung im Suchen da tadelnswerth, wo der gesuchte Gegenstand der schönste ist. Wenn ich aber an meiner Arbeit mich ergötze, so kann doch nur der Neid mich davon abziehen wollen, und wenn ich mich dabei anstrenge, so darf doch ein Dritter fremdem Fleisse keine Grenze ziehen wollen. Wie der gutmüthige Chremes bei Terenz nicht will, dass sein neuer Nachbar

      »grabe oder pflüge oder sonst so etwas thue«

      (womit er ihn nicht von der Arbeit, sondern nur von der gemeinen Körperarbeit abhalten will), so machen sich Manche übertriebene Sorge, wenn sie an einer Arbeit Anstoss nehmen, welche mir keineswegs unangenehm ist.

      Kapitel II.

      § 4. Schwerer sind Die zufrieden zu stellen, welche die lateinischen Bücher verächtlich von sich weisen; nur wundert es mich bei diesen vor Allem, dass sie in den wichtigsten Dingen an ihrer Muttersprache keine Freude finden und doch die kleinen aus dem Griechischen wörtlich in das Lateinische übersetzten Geschichtchen nicht ungern lesen. Wer könnte wohl Allem, was den römischen Namen trägt, so feind sein, dass er des Ennius Medea und des Pacuvius Antiopa gering schätzte und zurückwiese, während er sich an denselben Stücken von Euripides geständlich ergötzt und nur die lateinischen Schriften hasst? Soll ich denn, höre ich ihn sagen, des Cäcilius Jugendgenossen und des Terenz Andria lesen und nicht lieber des Menander gleichnamige Stücke?

      § 5. Allein ich kann dem durchaus nicht beistimmen. Wenn auch Sophokles seine Electra noch so schön verfasst hat, so meine ich doch auch die schlechte Uebersetzung des Attilius lesen zu sollen, den Licinius »einen Schriftsteller von Eisen, aber doch immer einen Schriftsteller« nennt, der also gelesen werden soll. Mit unsern Dichtern ganz unbekannt zu sein, ist das Zeichen grosser Trägheit oder verzärtelter Vornehmthuerei, und ich kann Niemand für einen ganzen Gelehrten anerkennen, der unsre Schriften gar nicht kennt. Oder soll man zwar das lateinische Stück:

      »O! dass nicht im Haine....«

      lesen, obgleich es auch griechisch vorhanden ist, aber soll es nicht gestattet sein, des Plato Ausführungen über das gute und glückliche Leben lateinisch wiederzugeben?

      § 6. Wenn ich nicht blos den Dolmetscher mache, sondern das von Andern Gesagte, so weit ich es billige, vertheidige, mein eigenes Urtheil und meine Darstellungsweise dazu gebe, weshalb sollen da solche Arbeiten von guter Schreibart, die keine blossen Uebersetzungen aus dem Griechischen sind, dennoch den griechischen Schriften nachstehn? Wendet man ein, dass die Griechen dies schon Alles behandelt hätten, so darf man dann auch nicht so viel griechische Bücher lesen, als doch geschehen muss. Denn was hätte wohl Chrysipp bei den Stoikern übergangen? und trotzdem liest man den Diogenes, Antipater, Mnesarchus, Panätius und viele Andere, insbesondere unsern Freund Posidonius. Und ergötzt etwa Theophrast weniger, weil er das behandelt, was schon Aristoteles vor ihm behandelt hat? Stehen etwa die Epikureer davon ab, in ihren Schriften Gegenstände, über die sowohl Epikur wie die Alten geschrieben haben, nach ihrem Gutdünken zu behandeln? Und wenn die Griechen von den Griechen gelesen werden, sobald sie dieselben Gegenstände in anderer Weise behandeln, weshalb sollten da meine Schriften nicht von den Unsrigen gelesen werden?

      Kapitel III.

      § 7. Wenn ich auch den Plato oder Aristoteles nur einfach so übersetzte, wie unsre Dichter die Fabeln übersetzt haben, so würde ich mich um meine Mitbürger nicht wenig verdient machen, indem ich sie mit jenen göttlichen Männern bekannt machte. Ich habe es bis jetzt nicht gethan, glaube aber wohl, dass auch dies mir gestattet sein wird. Einzelne Stellen werde ich allerdings, wenn es mir passend scheint, übersetzen; insbesondere bei jenen genannten Männern, wenn es sich trifft, dass es passend geschehen kann. Auch Ennius hat dies mit dem Homer, Afranius mit dem Menander so gemacht. Ich werde aber nicht, wie unser Lucilius, gewisse Leser zurückweisen. Lebte doch nur jener Persius noch und vor Allem Scipio und Rutilius, deren Urtheil Lucilius scheute und der deshalb nur von den Tarentinern, Consentiern und Sicilianern gelesen sein wollte. Dies war ein zierlicher Ausspruch, wie wir deren auch anderwärts bei ihm finden; allein so gelehrt waren diese Leute, um deren Urtheil er sich bemühte, damals noch nicht, und seine Schriften gehören zu den leichtern, die zwar durch grosse Feinheit, aber weniger durch Gelehrsamkeit sich auszeichnen.

      § 8. Welchen Leser sollte ich aber fürchten, da ich es wage, diese meine Schrift an Dich zu richten, der Du selbst den Griechen in der Philosophie nichts nachgiebst? Allerdings hast Du mir den Anlass durch Dein mir so werthes Buch über die Tugend gegeben, was ich von Dir erhalten habe. Vielleicht haben auch Manche einen Widerwillen gegen lateinische Schriften bekommen, weil sie auf gemeine und widerwärtige Sachen gerathen sind, die aus schlechtem Griechisch in noch schlechteres Latein übertragen worden sind; hier stimme ich ganz bei, sofern man nur auch griechische Schriften über dergleichen nicht lesen mag. Wer wollte dagegen nicht Schriften lesen, die über gute Gegenstände in gewählter Sprache ernst und schön abgefasst sind? Er müsste denn durchaus als Grieche gelten wollen, wie Albucius, der vom Prätor Scävola zu Athen so begrüsst wurde.

      § 9. Lucilius hat auch dies sehr schön und durchaus witzig dargestellt, indem er den Scävola vortrefflich sagen lässt:

      »Lieber ein Grieche willst Du, Albucius, heissen und nicht ein Römer oder Sabiner, oder ein Fahnenträger und Landsmann der Centurionen Pontius und Tritanus, jener wackern und ausgezeichneten Männer? Also begrüsse ich, der Prätor, Dich in Athen bei Deinem Nahen mit griechischen Worten, wie Du es wünschst. chaire! mein Titus! sage ich, und ihr, die Lictoren, die Cohorten und die Menge rufet: chaire Titus! – Seitdem hasst mich Albucius und ist mir feindlich gesinnt.«

      § 10. Aber Scävola hat Recht; ich kann nicht begreifen, woher diese übermüthige Verachtung des Vaterländischen kommt? Allerdings ist hier nicht der Ort, dies weitläufig auszuführen, aber ich meine und habe es oft dargelegt, dass die lateinische Sprache keineswegs so arm ist, wie man immer sagt, sondern dass sie sogar reicher als die Griechische ist. Denn wann hat wohl je mir oder vielmehr den guten Rednern und Dichtern, wenigstens seit der Zeit, wo gute Muster zur Nachahmung vorhanden waren, irgend ein Schmuck der Rede zu deren Fülle und Zierlichkeit gefehlt?

      Kapitel IV.

      Wenn ich nun in den gerichtlichen Verhandlungen, Mühen und Gefahren den Posten, auf den das römische Volk mich gestellt hatte, nicht glaube verlassen zu haben, so liegt mir fürwahr auch ob, nach Möglichkeit dahin zu wirken, dass meine Mitbürger durch meine Thätigkeit, Fleiss und Anstrengungen kenntnissreicher werden, und ich mag mich nicht mit Denen herumstreiten, welche griechische Bücher vorziehen – sofern sie sie nur wirklich lesen und es nicht blos vorgeben – vielmehr lieber Denen beistehen, welche die Schriften aus beiden Sprachen benutzen wollen, oder die, wenn sie die Schriften in ihrer eigenen Sprache besitzen, die in der andern nicht sehr vermissen.

      § 11. Wenn man aber meint, ich sollte lieber über Anderes schreiben, so möge man billig bedenken, dass dies bereits vielfach geschehen ist, und zwar in grösserem Maasse, als von irgend einem der Unsrigen, und dass, wenn ich am Leben bleibe, noch Mehreres nachfolgen wird. Auch wird jeder aufmerksame Leser meiner philosophischen Schriften finden, dass sie mehr als andere des Lesens werth sind. Denn was verdient wohl im Leben grössere Anstrengung als die Philosophie im Allgemeinen und insbesondere die in dieser Schrift enthaltenen Untersuchungen über die höchsten und letzten Ziele, auf die alle Entschlüsse überglückliches Leben und rechtes Handeln zu beziehen sind, so wie über das Höchste, was die Natur unter dem Begehrenswerthen verfolgt und unter dem Ueblen flieht? Ueber diese Fragen herrscht unter den einsichtigsten Männern grosse Uneinigkeit; weshalb sollte es deshalb meiner, von Allen anerkannten Würde zuwider sein, wenn ich untersuche, was bei allen Aufgaben des Lebens

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