Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad

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kurzem Rock als einziger Bekleidung, gafften mit großen Augen unter den Ponyfransen hervor, die ihnen in die Stirne fielen; das laute Brutzeln des Fettes erstarb allmählich, die Rauchschwaden verwehten im Sonnenschein, der scharfe Geruch verbrannter Zwiebeln hing in der brütenden Hitze rings um das Haus; und das Auge verlor sich in der Weite der grasigen Ebene nach Westen zu, als wäre die Ebene zwischen der Sulaco überragenden Sierra und der Küstenlinie gegen Esmeralda zu groß wie die halbe Welt.

      Nach einer kleinen Pause fuhr Signora Teresa vorwurfsvoll fort:

      »Eh, Giorgio! Laß Cavour in Frieden und paß auf dich selbst auf, da wir nun doch ganz allein mit zwei Kindern in dieses Land verschlagen sind – weil du unter einem König nicht leben kannst!«

      Und während sie ihn ansah, griff sie sich wohl manchmal an die Seite, mit einem kurzen Zucken ihrer feinen Lippen und einem Runzeln der schwarzen, geraden Augenbrauen, das wie das Flackern eines ärgerlichen Schmerzes oder Gedankens ihre schönen, regelmäßigen Züge überflog.

      Es war Schmerz: sie unterdrückte die Qual. Es hatte sie zuerst befallen, wenige Jahre, nachdem sie Italien verlassen hatte, um nach Amerika auszuwandern und sich schließlich in Sulaco niederzulassen – nach Irrfahrten von Stadt zu Stadt, wobei sie da und dort versucht hatten, einen kleinen Laden zu führen; einmal auch ein regelrechtes Fischereiunternehmen in Maldonado; denn Giorgio war, wie der Große Garibaldi, seinerzeit Seemann gewesen.

      Manchmal brachte sie keine Geduld für die Schmerzen auf. Durch lange Jahre hatte diese nagende Pein mit zu der Landschaft gehört, die das Glitzern des Hafenbeckens unterhalb der bewaldeten Ausläufer der Bergkette umfaßte; und sogar der Sonnenschein selbst war schwer und dumpf – geladen mit Schmerz –, nicht wie der Sonnenschein ihrer Mädchenzeit, da Giorgio, in mittleren Jahren, ernst und leidenschaftlich an den Ufern des Golfs von Spezia um sie geworben hatte.

      »Komm sofort ins Haus, Giorgio«, befahl sie. »Man könnte meinen, daß du gar kein Mitleid mit mir haben willst – wo wir doch vier Signori Inglesi im Hause haben.«

      »Va bene, va bene«, murmelte Giorgio dann.

      Er gehorchte. Die Signori Inglesi würden wohl schleunigst ihr Mittagsmahl haben wollen. Er war einer aus der unsterblichen und unbesieglichen Schar von Befreiern gewesen, die die Söldlinge der Tyrannei in alle Winde zerstreut hatte, wie ein Orkan, »an'uragano terribile«, die Spreu. Doch das war, bevor er geheiratet und Kinder gehabt und bevor die Tyrannei wieder ihr Haupt erhoben hatte, unter Verrätern, die Garibaldi, seinen Helden, eingekerkert hatten.

      Die Stirnseite des Hauses wies drei Türen auf, und jeden Nachmittag konnte man den Garibaldiner in der einen oder ändern sehen, mit seinem mächtigen weißen Haarbusch, die Arme gekreuzt, ein Bein übergeschlagen, sein Löwenhaupt gegen den Pfosten gelehnt, den Blick über die waldigen Hänge der Hügel hinweg auf den eisigen Dom des Higuerota gerichtet. Die Stirnseite seines Hauses warf einen langgestreckten, rechteckigen Schatten, der langsam über den staubigen Ochsenweg hinkroch; durch die Lücke in den Oleanderhecken liefen die zeitweilig über die Ebene gelegten Stahlbänder der Hafenzweigbahn inmitten eines Gürtels versengten und vergilbten Grases etwa fünfzig Meter von der Hausecke vorbei. Abends umfuhren die leeren Materialzüge in weitem Bogen den dunkelgrünen Hain von Sulaco und liefen unter weißen Dampfwolken, leise schwankend, auf ihrem Wege zu dem Lagerbahnhof am Hafen bei der Casa Viola vorbei. Die italienischen Maschinisten grüßten den Alten von der Plattform aus mit erhobener Hand, während die schwarzen Bremser unbekümmert in ihren Häuschen saßen und unter den breiten Krempen ihrer Hüte hervor, die im Winde flatterten, starr geradeaus blickten. Giorgio pflegte mit einem leichten seitlichen Kopfnicken zu danken, ohne die verschränkten Arme zu lösen.

      An diesem denkwürdigen Tage des Aufruhrs waren seine Arme nicht über der Brust verschränkt. Seine Hände umklammerten den Lauf des Gewehrs, dessen Kolben er auf die Schwelle gestützt hielt. Er sah nicht einmal zu dem weißen Dom des Higuerota auf, dessen kühle Reinheit sich der heißen Erde fernzuhalten schien. Seine Augen durchspähten eifrig die Ebene. Da und dort standen noch kleine Staubwirbel in der Luft, am makellosen Himmel hing klar und blendend die Sonne. Kleine Gruppen von Menschen liefen aus Leibeskräften; andere hielten stand; und das unregelmäßige Knattern von Schüssen drang durch die trockene, heiße Luft. Einzelne Fußgänger rannten Hals über Kopf dahin; Reiter galoppierten aufeinander zu, warfen gleichzeitig die Pferde herum und trennten sich im Galopp. Giorgio sah einen stürzen, wobei Roß und Reiter verschwanden, als wären sie in einen Abgrund galoppiert. Die Bewegungen des belebten Bildes wirkten wie die Wechselfälle eines wilden Spiels, auf der Ebene von Zwergen zu Pferd und zu Fuß gespielt, die aus schwachen Kehlen schrien, unter der Bergkette, die wie eine Burg des Schweigens dalag. Nie zuvor hatte Giorgio diesen Teil der Ebene so voll wilden Lebens gesehen; sein Blick konnte nicht alle Einzelheiten zugleich aufnehmen; er beschattete die Augen mit der Hand, bis ihn auf einmal das Donnern vieler Hufe nahebei erschreckte.

      Eine Koppel Pferde war aus der nahe gelegenen Umzäunung der Bahngesellschaft ausgebrochen, kam nun wie ein Wirbelwind daher und sauste über die Bahnlinie weg, schnaubend, stampfend, wiehernd, in einer gedrängt wogenden Masse fuchsiger, brauner, grauer Rücken: Augen blitzten auf, Hälse streckten sich, Nüstern leuchteten rot, und Langschweife wehten. Sobald sie auf die Straße gelangt waren, wirbelte der dicke Staub unter ihren Hufen empor, und fünf Meter von Giorgio weg verschwamm alles zu einer dunklen Wolke, aus der undeutlich die Formen von Hälsen und Kruppen hervorragten und die vorbeitrieb und den Boden erzittern ließ. Viola hustete, wandte das Gesicht vom Staub weg und schüttelte leicht den Kopf.

      »Da wird es heute abend noch eine Pferdejagd geben«, murmelte er.

      In dem breiten Sonnenfleck, der durch die Türe drang, war Signora Teresa vor ihrem Stuhl niedergekniet und hatte ihr Haupt mit der wirren Masse ebenholzschwarzen, von Silbersträhnen durchzogenen Haares in den Händen geborgen. Der schwarze Spitzenschal, den sie um ihr Gesicht zu winden pflegte, war neben ihr zu Boden gesunken. Die beiden Mädchen hatten sich erhoben und standen nun Hand in Hand, in kurzen Kleidern, mit zerzaust niederfallendem, losem Haar. Die jüngere hatte den Arm vor die Augen gelegt, als fürchtete sie das Licht. Linda, die Hand auf der Schwester Schulter, blickte furchtlos vor sich hin. Viola sah seine Kinder an. Die Sonne enthüllte die tiefen Falten in seinem Gesicht, das, energisch im Ausdruck, unbeweglich wie ein Schnitzwerk schien; es war unmöglich, zu entdecken, was er dachte. Buschige weiße Augenbrauen überschatteten seinen dunklen Blick.

      »Nun? Ihr betet nicht, wie eure Mutter?«

      Linda schob schmollend die Lippen vor, die fast zu rot schienen; doch sie hatte wundervolle Augen, braun, mit einem goldigen Schimmer in der Iris, blitzgescheit, ausdrucksfähig und so leuchtend, daß sie einen Glanz über ihr schmales, farbloses Gesicht zu werfen schienen. Bronzelichter glänzten in den dunklen Haarwellen auf, und die langen, kohlschwarzen Wimpern vertieften noch die Blässe des Gesichts.

      »Die Mutter wird wieder ein Bündel Kerzen in der Kirche opfern. Das tut sie immer, wenn Nostromo in einem Kampf fort war. Ich werde ein paar in die Kapelle der Madonna in der Kathedrale tragen müssen.«

      All das sagte sie rasch, mit großer Selbstsicherheit und mit lebhafter, durchdringender Stimme. Dann fügte sie mit einem leisen Ruck an der Schwester Schulter hinzu:

      »Und sie wird auch eine tragen müssen!«

      »Warum müssen?« forschte Giorgio ernst. »Will sie es denn nicht tun?«

      »Sie ist schüchtern«, sagte Linda mit leisem Lachen. »Die Leute bemerken ihr blondes Haar, wenn sie mit uns geht. Sie rufen ihr nach: ›Seht die Rubia! Seht die Rubiacita!‹ So rufen sie in den Straßen. Sie ist schüchtern.«

      »Und du? Du bist nicht schüchtern, wie?« meinte der Vater langsam. Sie warf ihr schwarzes Haar zurück. »Niemand ruft mir nach.«

      Der

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