3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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      „Monster” (1994)

      Mandoline und Akustikklampfe? Ab damit ins Exil. Um zu beweisen: Wir, R.E.M, sind keine Weicheier. Also lässt es die größte US-Band wohldosiert krachen und wimmern, und Michael Stipes Stimme verkriecht sich fast im rohen Rock, der nur selten von besänftigender Orgel oder kontrapunktischen Frauenstimmen („Bang & blame“) aufgeweicht wird. Die atemberaubende Melodik der letzten Alben ist perdu, Sound und Energie sind ihnen (diesmal) wichtiger. So bekommen die jungen R.E.M-Fans, was sie niemals wollten: den Verweis auf die wilden frühen Jahre der Band. Dennoch ist „Monster“ allenfalls Grunge light; ganz und gar wollen die Vier aus Athens/Georgia ihr Poppublikum halt doch nicht verprellen.

      Robert Forster

      „I had a New York Girlfriend” (1994)

      Wie waren ihre Tage und Nächte im Central Park? Wo liebten sie, worüber weinten sie? Und woran zerbrach ihre Liebe? Mit einer schlichten Zeile, dem Albumtitel „I had a New York girlfriend“, schickt der Australier Robert Forster unsere melancholische Fantasie auf Reisen, ahnt Wehmut und Nostalgie herbei – ein kleines Kunststück an atmosphärischer Verdichtung vorab, das bittersüße Erinnerungen in uns allen weckt. Und durchweg ist es da, dieses mühelos beschworene Fluidum, in all den zerbrechlichen und sehr melodiösen Songs, die andere dem sanften Sänger schrieben. Und für die Songs von Bob Dylan oder Keith Richards bedankt er sich auf seine Weise: mit zarten Interpretationen, hingetupft wie blasse Aquarelle auf New Yorker Bürgersteige – in der Hoffnung vielleicht, die Liebe von einst möge vorüberkommen, innehalten und sich lächelnd seiner entsinnen: „I had an Australian Boyfriend“.

      Skyclad

      „Prime of the Poverty Line” (1994)

      Wer auf Rubrizierungen aus ist, mag es Folkmetal nennen. Eine quirlige Geige übernimmt Aufgaben, die traditionell der E-Gitarre vorbehalten waren, oder sie begleitet die laute Schwester synchron. Dennoch ist die Musik von Skyclad kompromisslos hart (obgleich sogar die von Metallern oft verpönten Keyboards eingesetzt werden) – was vor allem dem Furor aus Schlagwerk und überkandideltem Gesang zu verdanken ist. Es klingt, als hätte man englischen Jigs & Reels eine Edelstahlglasur verpasst. Überraschende Orgelsounds, klangmalerische Perkussion und ein akustischer Gitarrenpart machen die Fusion dann völlig wasserdicht.

      Souled American

      „Frozen” (1994)

      Der Drummer von Vic Chesnutt, schrieb die ZEIT, sei der langsamste der Welt. Irrtum. Es ist Scott Lucas, auf „Frozen“ Gast beim somnambulen Trio Souled American. Er setzt die Schläge so, dass man den letzten vergessen hat, ehe der nächste kommt. Manchmal ist er so langsam, dass er das ganze Stück verpasst. Dann zupfen Chris Grigoroff, Scott Tuma und Joe Adducci eben ohne ihn Saite für Saite, tupfen Ton für Ton, patschen Orgeltaste für Orgeltaste. Ihre Gitarren konnten sie nicht zu Ende stimmen, dafür war die Zeit – unsere Zeit – zu kurz. Gegenüber dem Valiumfolk der letzten Platte, deren sedativer Stil Maßstäbe setzte, bedeutet „Frozen“ eine Vollbremsung. Schräg und träg kriechen neun Songs durch die Membrane und schauen sich antriebslos nach Ohren um, die lange genug stillhalten – Schneckencountry mit Schönberg-Touch. Ploingg. Schrabch. Eine Platte, die in 30 Jahren als skurrile Rarität ein Vermögen kosten wird.

      The Cruel Sea

      „This is not the Way home” (1994)

      Nachdem Anfang des Jahres nur eine Handvoll Importexemplare der australischen Ausgabe in Deutschland auftauchten, ist das Debüt von The Cruel Sea nun regulär zu haben – leider in der üblichen Plastikbox, nicht mehr im hübschen Digipak. Das Konzept: Eine auf Gitarrenbasis agierende Instrumentalcombo tut sich mit einem Shouter zusammen. In den besten Momenten klingt das nach Shadows meets Tom Waits. Oder nach Spotnicks vs. Tony Joe White. The Cruel Sea aber haben sich Tex Perkins geschnappt, den Sänger der Beasts Of Bourbon. Weil die komplette Truppe im popmusikalischen Schmelztiegel Australien zu Hause ist, haben wir Highwaysongs, haben Sumpfrockslides, Mississippi-R’n’B, verschrobenen Reggae, haben dahingleitende 50er-Hommagen im augenzwinkernd-traurigen Stil Chris Isaaks. Und einen Sänger, der alle möglichen Assoziationen mit des Bellens und Brummens fähigen Säugetieren auslöst. Das alles ist ein Vergnügen, dem man sich dank der kristallinen, räumlichen Produktion von Tony Cohen gänzlich ungetrübt hingeben darf. Ein Album ohne die geringste Schwäche. Das reinste Wunder.

      The Moon Seven Times

      „The Moon Seven Times” (1994)

      Gut, wir wollen uns ergeben. Wir wollen widerstandslos auf Reisen gehen. Weil eine flüsternde Fee namens Lynn uns inständig bittet, weil eine elektrische Gitarre uns lockt mit hallendem Sirenenton, weil selbstvergessene Trommeln uns sachte den Takt vorgeben. Mühelos halten wir Schritt, unser Atem bleibt ruhig. Wir nicken im Vorübergehen den Cocteau Twins zu. Es ist noch Winter, doch die Stürme sind verebbt. Alles wird gut. Und so lange der Mond nicht sieben Mal den nächtlichen Himmel abgeschritten hat, werden wir nicht aufhören zu wandern durch den silbrigen Zauberwald. Doch was wird danach sein? WAS?

      The Rolling Stones

      „Voodoo Lounge” (1994)

      Gut, man sollte 50-jährigen Männern, die seit 1960 Songs schreiben, von denen viele für immer einsanken ins kollektive Gedächtnis des Rock, diesen Männern sollte man das Recht zugestehen, allmählich auszubrennen. Aber sie tun es nicht. Zwar höhepunktarm aufs erste Hören, aber mit sanfter Durchschlagskraft servieren sie die Essenz eines 30-jährigen Schaffens. Alle Stones-Phasen klingen an: von Rock’n’Roll bis Country. Und Jagger singt das Wort „Raaaainbough“ wie einst in den wilden Jahren, als solche Balladen das Bad-Boys-Image kräftig beschädigten. Dank Don Was’ straffer Produktion hat „Voodoo Lounge“ sogar einige Minuten, die irgendwann auf dem „Ultimative Best of“-Sampler auftauchen werden – etwa „Sparks will fly“. Saubere, ehrliche Routine zwischen knackigem Rhythm’n’Blues, haufenweise Edelschnulzen und einem lahmen Langweiler („Thru and thru“).

      Thin White Rope

      „When Worlds collide” (1994)

      Eine Zeitmaschine schickte die Byrds durchs Punk- und Wavefegefeuer. Als sie ankamen, trugen sie einen neuen Namen: Thin White Rope. Sie hörten sich manchmal an, als spülten sie Countrysongs durchs Klo. Mitten im Krach, den sie entfesselten, prangten Hooklines von unvergesslicher Reinheit; den abgespeckten Kohlenkellerklang durchzuckten urplötzlich surrealistische Bläserblitze. Die hohe Kunst des rohen Riffs ist erst dann wirklich groß, wenn sie in Lumpen gehüllt daherkommt, und Thin White Rope verstanden es wie keine andere Band der 80er-Jahre, eine großartige Klarheit des Ausdrucks mit dreckigen Akkorden zu erreichen. Dieser posthume Sampler ist randvoll mit den besten Beweisen.

      Townes Van Zandt

      „No deeper Blue” (1994)

      Ein Titel wie dieser verheißt beim geübten Trauerkloß Van Zandt alles erdenklich Gute, will sagen: Depressionen, Tränen, Trauer. Die Abgründe der menschlichen Leidensfähigkeit auszuloten, gelingt keinem anderen Songwriter so ergreifend. Und allenfalls manch zu glattes Arrangement hat in der Vergangenheit die Wirkung seiner traurigen Balladen gedämpft. Auf „No deeper Blue“, seinem 15. Album seit 1969, gibt er seinem Stil nun mit ungewohnter Instrumentierung einen neuen Dreh. Seine flexible Band ist gut auf des Texaners

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