3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
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Verschiedene Künstler
„Pulp Fiction” (1995)
Quentin Tarrantino verbringt 16 Stunden täglich im Kino, die restlichen 16 unterm Kopfhörer. Wir haben das nachgerechnet! Klar also, dass „Pulp Fiction“ erst dank des geschickten Zusammenspiels aus Songs und Szenen zum Gesamtkunstwerk wurde. Rare Juwelen („Bustin’ Tornadoes“), reine Klassiker („Preacher Man“) und diamantene Novitäten (Urge Overkills „Girl you’ll be a Woman soon“) fügen sich zum Kopffilm für daheim – zumal die schönsten Dialoge gleich mit drauf sind auf dem Soundtrackalbum. Gut so, denn „Pulp Fiction“ wird zum Kultfilm werden, und da heißt es rechtzeitig entscheidende Bibelstellen (etwa Hezekiel 25, 17!) rezitieren zu können. Sonst seid ihr nicht cool, Leute.
Verschiedene Künstler
„Techno Trance Music Vol. 1“ (1995)
Dancefloorkids, die’s auch zu Hause tun wollen, werden wenig Freude an dieser CD-ROM haben – es sei denn, sie sind so anspruchslos, wie die Macher meinen. Das vollmundig offerierte „Techno Lexikon“ entpuppt sich als Sammlung binsenweiser Ein-Satz-Definitionen, die Videoclips kommen verruckelt daher und bieten statt psychedelischer Farbreisen nur schlechtgefilmte Blicke ins Herz der Disco – auf tanzende Massen plus DJ. Erfolgversprechend dagegen die Zusammenstellung der Technoacts, darunter etwa das strunzdumme, aber emsig sich verkaufende „Hyper Hyper“. Die Option, selbst ein paar Technosamples zusammenzumixen, rettet diese Scheibe nicht.
Vic Chesnutt
„Is the Actor happy?” (1995)
… natürlich ist er nicht glücklich, sofern Vic sich selber meint –und das tut er. Wer glücklich ist, schreibt keine Lieder, die zum Heulen witzig sind, zum Grinsen zynisch oder zum Schweigen wahr. Wenn Chesnutt „I am no Victim“ giftet, dann denkt man an den Rollstuhl, in dem er sitzt, an das Auto, an das eine Glas zu viel. Und daran, dass Mitleid fehl am Platze ist bei einem wie ihm, der den Unfall als künstlerischen Wendepunkt seines Lebens betrachtete. Seine vierte Platte ist nun ein erneuter Wendepunkt, einer, der dem Mann aus Georgia mehr Fans bescheren dürfte. Denn so eingängig, so wenig spröde, so zugänglich, so behutsam die Melodien umschmeichelnd war der langsamste Songwriter der Welt noch nie. Aus dem blutenden Kojoten ist ein silberfelliger Wolf geworden. Mit im Rudel: sein Fan und Förderer Michael Stipe (R.E.M.) als Backgroundsänger.
War
„The World is a Ghetto” (1995)
Dieses Album von 1972 war einer der größten Geniestreiche in der Geschichte der schwarzen Musik. Schmeichelmelodien zu Black-Power-Texten, afrikanische Rhythmusekstasen unter Soulexkursionen, psychedelischer langer Atem gepaart mit urbaner Gelassenheit: so schön, so tragisch, so ekstatisch war der jazzige Soulfunk nie mehr, nachdem War die Regentschaft abgegeben hatte. Ihre Musik klingt 1995 noch so frisch wie damals; am Mix war eh nix zu verbessern. Bei BMG erscheinen jetzt fünf der besten Alben noch einmal auf CD: neben „Ghetto“ noch „All Day Music“, „Deliver the World“, „Why can’t we be Friends“ und das grandiose, einst als Doppel-LP veröffentlichte und später verramschte „Platinum Jazz“.
1996
„Allmacht und Ohnmacht trennen manchmal nur ein paar Gramm Blei.“
aus der Rezension zu „The Doggfather“ von Snoop Doggy Dogg
2Pac alias Makaveli
„The Don Killuminati: The 7 Day Theory” (1996)
Dass man Kunst und Leben nicht in eins setzen kann, gilt für den HipHop weniger als für andere Genres; Snoop Doggy Dogg und 2Pac sind dafür die denkbar besten Beispiele, im Schlechten natürlich. Snoop Doggy Dogg schaltet seinem zweiten Album Ausschnitte aus einem Prozess vor, der gegen ihn wegen Mordverdachts geführt wurde. Nun, wieder frei, kommt er zu zwei Schlüssen: Gangstarap ist nicht tot. Und: Ich bin der Doggfather, der Pate des Rap. Jedenfalls der König des G-Funk. Seine Arrangements sind fein zusammengefügt aus Klangstakkati zwischen Samplebeats und Flötenpartikeln, seine Raps und Melodien sind unterkühlt und weich – ein Hitalbum mit Ansage. Vielleicht schafft Snoop wirklich, was er sich vornahm: der erste Rapper in der Rock’n’Roll Hall of Fame zu werden. Nicht so 2Pac – einer, bei dem sich Kunst und Leben so verknoteten, dass er am Ende tot war. Unter dem Pseudonym „Makaveli“ spielte er die letzten, großartigen Aufnahmen ein. Das Album wird durchpeitscht von Schüssen – realen oder erzählten – und 2Pacs atemlosen Sprechsalven; darunter schleift oft eine ferne, tragische Tonspur, manchmal orgelähnlich, manchmal verloren wie eine einsame Trompete beim Kehraus, manchmal als tropfender Kirchenglockenklang. Und auf dem Cover prangt kein Pate, sondern ein schwarzer Christus am Kreuz. Allmacht und Ohnmacht trennen manchmal nur ein paar Gramm Blei.
4 Non Blondes
„Bigger, better, faster, more!” (1996)
Mein Gott, wo war diese Stimme die ganze Zeit? Wie konnten wir leben ohne sie? Für „What’s up“ verdichtet Linda Perry, die Sängerin der 4 Non Blondes, alle Stile, Chiffren und Genres aus 40 Jahren Rock’n’Roll zu einer furiosen Fünfminutenballade, wie es nur wenige gibt. Sie weint, krächzt, schnurrt, schimpft, flüstert, zetert und fügt all das so nahtlos über-, auf- und aneinander, als gäbe es nichts Leichteres auf der Welt, als so herzerweichend begnadet zu singen. „What’s up“ wird ein Klassiker, ohne Frage. Aber auch der Rest hat’s in sich: Country, Rock, Gefühl, Passion, viel Melodie – und eben die fabulöse Linda Perry. Wo war sie – sagen wir – 1990? Ist sie ein Alien? Eine kosmische Loreley? Eine marsianische Sirene? Ist sie wirklich nicht blond???
Apocalyptica
„Plays Metallica by four Cellos” (1996)
Einem Land, das die Kaurismäkis hervorgebracht hat, ist alles zuzutrauen. Auch dass vier junge Cellisten sich abends nach der Musikhochschule hinsetzen, um Songs der Speedmetalband Metallica zu Celloquartetten umzuarrangieren – auf Instrumenten, die bis zu 250 Jahren alt sind. Das Ergebnis ist unglaublich aggressiv, aufregend und hochmelodiös. Denn manch schöne Melodie und feinkomponierte Wendung, die im Metallica-Gewitter unterging, erstrahlt hier in glitzernder Pracht – die Finnen haben Rohdiamanten feingeschliffen. So viel Kraft und Explosivität entlockte dem Cello noch niemand. Tschaikowski würde tanzen. Und Lars Ulrich wird baff sein.
Beth Orton
„Trailer Park” (1996)
Seit Pentangles „Basket of Light“ hat niemand mehr die Formensprache des englischen Folk so radikal, so traumhaft sicher erweitert