3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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liefern kongeniale Stimmungen zwischen düster-aggressiv und wispernd-sakral. Von 15 Stücken sind nur zwei nicht neu. Aber wer wollte ausgerechnet Nick Caves „Red right Hand“ oder Screamin’ Jay Hawkins’ „Frenzy“ den Zutritt zur Schattenwelt verwehren?

      Virgin Steele

      „The Marriage of Heaven & Hell Part 2” (1996)

      Der Heavy Metal kocht in der eigenen Suppe, und außer Kuttenträgern interessiert sich kein Schwein mehr für Poser, Gitarrenonanisten und Schreihälse mit meterlangen Matten. Neue Impulse? Nirgends. Allenfalls die intelligente Verwendung erprobter Elemente ist interessant. Wie bei Virgin Steele, die sich alte, sehr alte Deep-Purple-Platten angehört haben und erkannten, wie gut Orchester und Streicher zu knalligen Rockriffs passen. Vor allem im epischen Zehnminüter „Emalaith“ zeigen sie, wie Bombast heute klingen muss, damit wir ihn ernst nehmen können: hart, hymnisch, vollfett – und so klug durcharrangiert, dass sogar Keith Emerson mit der Braue zucken würde. All das lässt manchen Textschwulst ertragen. Und mittendrin perlt natürlich auch mal die Akustische. Das Album bildet den Abschluss einer Doublette zum seit jeher metalrelevanten Themenkreis Himmel und Hölle.

      Visit Venus

      „Magic Fly Variations” (1996)

      Schon die 95er-CD „Music for Space Tourism Vol. 1“ erschien weniger innovativ als beispielhaft dafür, wie schnell ein neues Genre – TripHop – heutzutage in Ablaufroutinen erstarren kann. Wenigstens aber war dem deutschen DJ-Duo ein Marketinggag gelungen: das Ausgangsmaterial für ihre Mixe hatten sie als Nasa-Kompositionen aus den 70ern ausgegeben. Auf der mehr als halbstündigen Maxi „Magic Fly …” bremsen sie nun (u. a.) den legendären Discohit auf Schneckentempo ab und reichern ihn mit Easy-Listening-Orgeln an. Krampfhaft auf Höhe der Zeit sein, jüngste Trends im Eiltempo integrieren: So wirkt das. Visit Venus sollten mit ein paar Tricky- und Leftfield-Platten in Klausur gehen.

      Waltari

      „Yeah! Yeah! Die! Die! Death Metal Symphony in Deep C” (1996)

      „Für mich“, sagt Kärtsy Hatakka, „ist Death Metal nicht purer Krach, sondern ein Stil, der mit klassischer Musik einiges gemeinsam hat.“ Ergo schrieb er mit dem Dirigenten Riku Niemi die erste Deathmetaloper der Welt und inszenierte sie mit seiner Finnencombo Waltari und dem Sinfonieorchester Avanti. Da rettet ein Engel John Doe (= Otto Normalverbraucher) aus den Fängen eines diktatorischen Computers, ehe sie alle vom Technotrommelfeuer ins Nirwana der 90er geprügelt werden: das Internet. Das ist humorvoll und musikalisch präzise, aber wenig homogen. Doch mit rasenden Übergängen zwischen Trash und Sinfonik nutzen Waltari die Trägheit der Masse, um zu überbrücken, was eigentlich unüberbrückbar ist. Denn wir funktionieren wie unsere Augen: Das letzte Bild klebt noch auf der Netzhaut, wenn das nächste schon ankommt; das Gehirn denkt beide zusammen, und am Ende entsteht SINN.

      Whipping Boy

      „Heartworm” (1996)

      Im mitreißenden Dreamrock der irischen Whipping Boy sind sämtliche britischen Essenzen aufgehoben: von James das Andächtige, von Suede die Melancholie, von House Of Love die große Gitarrengeste, von den frühen U2 die Riffs und von den Tindersticks der Mut, ein Streichorchester mit der Illustration von Gefühlen zu betrauen. Woher aber haben sie die weder vererb- noch klaubare Fähigkeit, ein komplettes Album mit Ohrwürmern zu schreiben? Stücke wie „When we were young“, „Blinded“ oder „We don’t need nobody else“ sind nach dem ersten Hören so vertraut, als wären sie bereits ins kollektive Gedächtnis des Rock’n’Roll eingesunken. Und zugleich ist man sich völlig sicher, ihrer niemals überdrüssig zu werden. Wie machen sie das? Magie? Ein großes (zweites) Album, eine frühvollendete Band. Hier die Namen der vier Dubliner, damit ihr von nun an wisst, wo ihr sie das erste Mal gelesen habt: Ferghal McKee (voc), Myles McDonnell (b, voc), Colm Hassett (dr) und Paul Page (g). „Es gibt eine Zeit, in der man alles sein kann und eine Zeit, in der man nichts ist“, sagt McKee. Eine von beiden ist vorbei.

      Willy DeVille

      „Big easy Fantasy” (1996)

      Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass der Punkverweigerer und ludenhafte Berufsdandy je den Status einer unantastbaren Rockgröße mit Legendenpotenzial erränge? Heute ist seine Credibility so groß, dass sich gar TV-Ereignisse („Der Schattenmann“) mit seinen Songs schmücken, und live ist Willy eh ein Muss. Auch auf Platte. Sein Live/Studio-Mix „Big Easy Fantasy“ weist die Großstadtpflanze neuerlich als Meister des ländlichen Mariachistils aus. Doch ob er locker köchelnde Texmexversionen von „Who shot the Lala“ oder „Hey Joe“ schon als Altersruhesitz auserkoren hat, ist ungewiss. Willy ist alles zuzutrauen – auch dass er schlohweiß endlich doch noch den Punk entdeckt.

      Wolfgang Mielitz

      „Pieces of Mind” (1996)

      So hochkarätig wie (dem breiten Publikum) unbekannt sind Wolfgang Mielitz’ Mitmusiker. Mit Sidemen und -women von Antolini oder Dennerlein barbluest sich der schwäbische Gitarrist und Sänger durch die leichte Muse des Popjazz – sehr sanft und locker, weil unbeschwert von den Zwängen des Profitums. Amateurhaft klingt das dennoch nicht. Das Latinflair, der Funktouch, die luftige Ruhe, der entspannte Ton: All das will nachts im Auto gehört werden, wenn keiner sonst unterwegs ist und man sich mit einer Spur Wehmut verflossener Freuden entsinnt. Musik zwischen Michael Franks, George Benson und Horst Jankowski. Und natürlich spätnachts eingespielt.

      Wolfsheim

      „Dreaming Apes” (1996)

      Füher packten Wolfsheim ihre Schwermut in geraden Elektropop in Moll. Heute, unterm Einfluss von Carlos Peron (Yello), streben sie nicht mehr zuvörderst nach Straightness. Am Wolfsheim-Himmel hängen schwere Synthiewolken, Pianotropfen fallen heraus wie pechschwarzer Regen, und einmal, ein einziges Mal, streift eine Harmonika durch diese elektronische Novemberwelt. Sänger Peter Heppener, die schönste Stimme des Genres (immer mit einem Anflug von Schnupfen in den Nebenhöhlen), singt dieser Welt Geschichten von Spuren im Schnee, tanzenden Schatten und wunden Herzen. Ein Album, das deutscher Empfindsamkeit von Hölderlin bis Trakl nachspürt – und immer Gefahr läuft, sich zu verheben.

      1997

      „Wenn Musik und ihr Erfolg wirklich etwas sagen über eine Kultur, was bedeutet dieses Album dann für unser Leben – the lunatics have taken over the asylum???“

      aus der Rezension zu „The Fat of the Land“ von The Prodigy

      Adventures In Stereo

      „Adventures In Stereo” (1997)

      Achtung, wir reisen. In ein Niemandsland zwischen Beach Boys, Paul Simon und Bongwater. In die Falte einer Zwischenzeit, die entstand, als sich die 90er durch einen Schluckauf des Raum-Zeit-Kontinuums über die 60er stülpten und plötzlich Beatgitarren auf Gesänge schlafender Engel stießen – und auf verlorene Knackser, die zu hören sind, wenn diamantene Nadeln über ein längst vergessenes Material schaben, das „Winül“ geheißen haben soll. Steuermann bei dieser Raumreise ist Jim Beattie, der früher bei Primal Scream war und haarscharf scheiterte am ganz großen Ruhm. Den wird’s für sein neues Projekt auch nicht geben, aber selige Seufzer von Zeitreisenden

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