3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
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David Sylvian
„Dead Bees on a Cake” (1999)
Fehlenden Humor haben wir David Sylvian nie vorgeworfen. Bei seiner ersten Band Japan ab Ende der 70er war die ernste Verknüpfung von Wave mit nach Osten schielendem Kunstrock so bestechend, dass man Witz nicht vermisste. Und als Sylvian dann zum Großmeister und Schamanen eines zeit- und ortlosen Ambientartrocks wurde und zwei der besten Alben der 80er, vielleicht der Popgeschichte vorlegte („Secrets of the Beehive“ und „Brilliant Trees“), waren Soundtiefe, kompositorische Raffinesse und Wagemut wichtig. Bis heute wird man Sylvian musikalisch nicht lustig erleben. Sein neues Album – der Titel eine nostalgische Referenz ans „Beehive“-Album – vereint all seine Stärken. Das, was wir beim ersten Hören als Schwäche wahrnehmen, muss sich – wie im Verlauf klar wird – einfach nur entwickeln. Über fast 70 Minuten erleben wir wundersame, schier statische Ethnojazzballaden aus einem parallelen Universum, in dem sich nichts mehr richtig feind ist: Tablas vertragen sich mit schroffen E-Gitarren, der Takt des Blues mit jenem des Raga. Und am Ende dieses langen Weges bleibt jene geradezu weise Aura haften, die Sylvian verströmt wie kaum ein anderer. Ein großer Künstler. Aber vielleicht auch einer, der sich manchmal zu sehr quält mit seiner Kunst. Kein Witz.
Days Of The New
„Days Of The New” (1999)
Nein, das ist nicht Nick Cave, der da singt im Eröffnungsstück. Und nicht Jim Morrison auf „Enemy“, dem dritten Song. Es ist Travis Meeks, das 19-jährige Wunderkind aus Kentucky, das 1997 den Akustikgrunge erfand und ihn hier fortführt zu einem energetischen, komplexen Kunstrock, der ebenso sinnlich ist wie intelligent und den er – keine Ahnung, wie dieser Bubi das schafft – auch noch selbst produziert hat. Klanglich steht das Album, das irritierenderweise genau so heißt wie das Debüt, dennoch dem von Scott Litt gemischten düsteren Erstling nicht nach. Im Gegenteil. Der atmosphärische Einsatz von Vibrafon, Chören und Streichern gibt ihm lichteres Flair – ein epischer Aufstieg aus dem Dunkel. Und auf ganz andere Art ein weiterer Geniestreich.
Death In Vegas
„The Contino Sessions” (1999)
Innerhalb der Songs entwickelt sich diese Musik kaum, und doch ist das Spektrum des Albums enorm. Meist tasten sich DIV mit schroffen Gitarren, Schweineorgeln und 4/4-Beats in die Stücke und bimsen sie uns so beharrlich ein, dass alle Zweifel an der Substanz dahinschmelzen – zugunsten eines tranceartigen Zustands. Die „Contino Sessions“ gebärden sich spröder als der 97er-Vorgänger „Dead Elvis“ und überraschen mit ex- und ewigguten Gästen wie Bobby Gillespie und Iggy Pop, doch der Gesang ist wahrlich nicht das Wichtigste. Sondern die Fusionsarbeit: Garage, Rock und Groove bekommen im Rahmen des Dance eine gemeinsame Biosphäre.
dEUS
„The ideal Crash” (1999)
Mon dEUS! Die Holländer, bisher gefangen im Kittchen selbstgewählter Avantgarde, haben eine Aluleiter mit der Aufschrift „Pop“ entdeckt und mit ihr die dicke Mauer überwunden. dEUS poppen, rocken, schmeicheln, sie singen! Schöne Melodien! Und dazu plinkert manchmal ein Banjo, dazu jubelt manchmal eine satte Rhythmusgitarre, die sich strikt an den Lichtern der Hauptstraße orientiert und nicht mehr durch dunkle Seitengassen stolpert. Selbst ein Song wie „Everybody’s weird“ steckt jetzt in einem straffen Arrangement, das die nur noch im Untergrund grummelnde Kakofonie zähmt. Es scheint, als hätten dEUS das wirre Irren durch die Stile satt. Klar ist es toll, sich von Captain Beefheart genauso beeinflusst zu fühlen wie von John Coltrane oder 60er-Jahre-Soundtracks. Aber was ist das alles gegen ein Monsterriff? Gegen Dampfwalzendrums, mit denen dEUS ihr bislang zugänglichstes Album ausklingen lassen? Nichts, mögen die wenigen alten Fans protestieren. Viel, sage ich.
Dot Allison
„Afterglow” (1999)
„Colour me“ klingt wie Portishead auf Prozac. Die Welt ist schmutzig, aber man kann sauber bleiben – als Engel. Beim ätherischen „Tomorrow never comes“ bringt die Schottin Dot Allison eine Steelgitarre ins Spiel, als trüge dieses Instrument keine Klangklischeelast mit sich herum, die so schwer ist wie sämtliche goldenen Schallplatten Nashvilles. Allison, früher bei One Dove, schreibt und arrangiert verwunschene Songs zwischen Nico, Psychedelia und TripRock, die in den besten Momenten wie gute Mantras sind und in den schlechtesten (gegen Ende des Albums) wenigstens noch als Wiegenlieder taugen. Von diesem Joint sollten Portishead mal eine Prise schnupfen: Sie sähen mit ganz anderen Augen in die Welt.
Doug Wimbish
„Trippy Notes for Bass” (1999)
Für Mr. Wimbish ist sein Bass ein fliegender Teppich, und er flog damit viele Trips: nach Osten und Westen, durch die Canyons der Elektronik und die weiten Länder des Dub und Jazz. Beim Mitreisen wundern wir uns wieder einmal über die schillernde Biografie dieses Mannes. Einst rührte er die Ursuppe des Rap mit an in der Sugarhill Gang, brachte später den Funkrock von Living Colour zum Kochen, ehe er beim On-U-Label zum elektronischen Dub-Alchemisten wurde – und daran knüpft er an, wenn er introvertierte Soundscapes malt, die Ost und West, Elektronik, Dub und die Klagegesänge des Orients an einem Ort der Welt versammeln. Ganz schön klasse für einen Bass.
Edsilia
„Edsilia” (1999)
Manchen ist schon eine Janet Jackson zu viel. Andere können von diesem Sound gar nicht genug bekommen – und mal ehrlich: Er bildet auch die Messlatte im R’n’B-Genre. Für die holländische Debütantin Edsilia liegt sie vokal nicht zu hoch. Erstaunlich abgeklärt für ihre 21 Jahre groovt sie mittelschnell durch butterweiche Arangements, die lieber mal was weglassen, als nach einem (eh nicht vorhandenem) Millionenbudget klingen zu wollen. Der Textschwulst – „I believe in destiny/in you and me“ – gehört aber natürlich genauso dazu wie kleine Vibrati an den richtigen Stellen. Janet Jackson hat’s ja vorgemacht, da muss man mit.
Elektro Star
„The Future was yesterday” (1999)
Nicht jeder, da hat ein Kollege völlig recht, kann Japaner sein. Doch selbst der Hesse vermag sich bisweilen wie einer zu fühlen … Es ist schon kurios: Da haben japanische Popbands wie Pizzicato Five in den letzten Jahren die komplette westliche Popkultur seit den 50ern im Eiltempo verschlungen, als gäbe es sie morgen schon nicht mehr, und sie im Studiolabor zum latinesken Mickymauspop vermischt, der seither in den Loungeclubs zwischen Lüneburg und Las Vegas für Lebensfreude sorgt. Und Elektro Star aus Frankfurt finden dieses japanische Modell klasse genug, um es kurzerhand nachzuahmen. Wo Anfang und Ende dieses unendlich verknoteten Eklektizismus ist, weiß längst niemand mehr. Wichtig ist ja auch nur, wie es klingt. Unterm programmatischen Titel „The Future was yesterday“ revitalisieren die Frankfurter die Zukunftsvorstellungen der 50er und 60er, wandeln die naiven Glücksvisionen des Spaceage in niedliches Elektrolistening, das auch mal mit Drum & Bass im Hier und Heute festgezurrt wird.