3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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der Erde verhieß. Was daraus geworden ist, wissen wir ja. Aber die verstaubten Visionen von gestern rühren uns doch.

      Ensemble Avantgarde

      „Steve Reich” (1999)

      Pünktlich zur Reich-Renaissance erinnert das Ensemble Avantgarde an vier Originalmusiken wie „Phase Patterns“ für vier Orgeln oder „Piano Phase“ für zwei Klaviere. Die Berliner inszenieren ihren Minimal-Music-Helden klassisch – dazu gehört auch, dass an mancher Schnittstelle sich anvisierender Muster nicht sicher ist, ob es gerade partiturgenau holpert oder nur versehentlich. Fürs Erstere hatte Steve Reich ja die Mathematik. Der Mehrwert dieser Musik entsteht allerdings erst, wenn ein so unmathematisches Wesen wie der Mensch sich ihrer annimmt. Roboter könnten Reich problemlos aufführen, aber zu welchem Zweck? Erst das Lauern und Lauschen auf die kleinen „Fehler“ bahnt den wundersamen Weg zur Faszination.

      Esbjörn Svensson Trio

      „From Gagarin’s Point of View” (1999)

      In Schweden verkauft das Trio etwa dreimal so viele Alben wie vergleichbare Jazzacts – dabei kokettiert es weder mit Pop noch modisch mit Dance. Aber der Pianist Svensson und seine Mitspieler Magnus Öström (dr) und Dan Berlund (b) haben das Fluidum, die impressionistische Wärme eines Jacques Loussier genauso drauf wie das Selbstvertrauen Keith Jarretts oder die Wildheit des Rock. All das in den Grenzen des Klaviertrios – die sie freilich flugs neu definieren. Ihr großes Plus: Sie brauchen sich ihren Ruf nicht mit Standards zu erkämpfen; der Fingerkünstler und Björk-Fan Svensson ist selbst ein begnadeter Songschreiber. In Schweden heimste er schon fast alle Preise ein, die es zu gewinnen gibt für einen wie ihn. Bei uns steht ihm das noch bevor. Ein heißer Kandidat auf einen Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Gegenwetten …? Wusst ich doch.

      Even

      „Come again” (1999)

      Ashley Naylor gibt alles zu. „Ja, ich bin nostalgiesüchtig“, sagt er, und weil der Australier die Songs seiner Band Even schreibt, verwirft er die Idee nicht, manche Gitarre nach Byrds und manchen Harmoniegesang nach den Flowerpot Men klingen zu lassen. Warum sollte er auch? Waren schließlich gute Bands – wie so viele Pioniere der 60er und 70er, die sägende psychedelische Klampfen und Backgroundl-Lalas in den modernen Klangkanon einführten. Naylor stöbert hingebungsvoll in den alten Kisten und weist seinen Drummer Matt Cotter strikt an, den Rhythmusgitarrentakt synchron und polternd zu verdoppeln. Wie damals halt. Dabei entsteht ein dichtes, halbelektrisches Retroalbum mit treffendem Titel, das nicht die stärksten Songs der Welt im Gepäck hat – dafür aber in limitierter Ausgabe noch einige rare B-Seiten. Für ein Zweitwerk sehr passabel.

      Faust

      „Ravvivando” (1999)

      Dieses Album liegt schwer im Magen. Nicht, weil der von Verzerrern und Noise getragene Industrialrock von Faust so unverdaulich wäre. Sondern weil die Stilmittel der einstigen Krautavantgardisten auf dem zweiten Comebackalbum ziemlich altbacken sind. Ihre Moogschlieren sind auf dem Niveau der 70er, ihre Feedbacks hatte schon Hendrix komplett so parat. Das wäre kein Problem, würde die Band das filtern im Stil der 90er; doch ihr fehlt die Reflexionsebene. Am Ende, beim hypnotischen „t-électronique“ sind wir kaum weiter, als es Tangerine Dream 1975 waren. Faust glauben, nach vorn zu schauen, haben aber einen kaputten Kompass in der Tasche. Nur etwas für humorlose Althippies, die noch immer hinten die Matte lang tragen, obwohl oben längst die Platte wächst.

      Friedemann

      „Passion and Pride” (1999)

      Bei Friedemann fallen einem nur kulinarische Metaphern ein, aber das ist wenigstens genauso abgedroschen wie seine Musik. Also: Aus softer Fusionbrühe, altem spanischem Chili und einer Tüte „Easy Listening“-Instantpulver mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum rührt der Komponist seine fade Suppe an – serviert sie aber, als sei sie Kochkunst mit drei Sternen. Sicher, schön dekoriert ist sie, aber die Substanz fehlt, das merkt man gleich beim ersten Löffel. Mit „Aquamarine“ lieferte er einst ein Meisterstück des New Instrumental: geleckt, aber spannend, easy, aber in vielen Farben schillernd. An „Passion and Pride“ aber kann man nur eins loben: die Leichtverdaulichkeit.

      George Michael

      „Songs from the last Century” (1999)

      Zwischen Nina Simones „My Baby just cares for me“ und „Miss Sarajewo“ von U2 liegen Welten. Wer indes so viel von sich hält wie George Michael und auch so viel kann, der findet einen gemeinsamen Nenner für beide: den Barjazz. Für sein viertes Soloalbum knöpft sich der edelste aller Popcrooner seine Lieblingssongs des Jahrhunderts vor, zieht ihnen Glitzerkleider über und nähert sich ihnen mit dem Cocktailglas in der Hand. Seinem vokalen Schmelz kann sich keins dieser Stücke verweigern – sogar Stings einst hysterisches „Roxanne“ verwandelt George in einen Soundtrack zum letzten Drink, bevor der Morgen graut.

      Goldie

      „Ring of Saturn E. P.” (1999)

      Drum & Bass ist tot, und Goldie gehörte mit seinem egomanischen Flopalbum „Saturnz Returnz“ zu den prominentesten Totengräbern. Jetzt versucht er (verzweifelt?), das kommerzielle Desaster abzufedern, indem er das monströse, überambitionierte Stück „Mother“ auf sieben Minuten verdichtet. Trotz der Hilfe von Optical und ein wenig Techno wird’s zum letzten Zucken eines (auch von uns) heillos Überschätzten. Auch Jonny L merkt auf seinem Album „Magnetic“ (Intercord) nicht, dass die wortwörtliche Reduktion auf Drum & Bass nur noch langweilt. Sein staubtrockenes Werk ist höchstens state of last year’s art – auch die eingestreuten Raps retten es nicht.

      Gus Gus

      „This is normal” (1999)

      Nur die englischen Kollegen von Everything But The Girl unternehmen ähnliche Klangreisen durch urbane Nächte wie Gus Gus. Dabei können sie im heimischen Island kaum Metropolenerfahrung gesammelt haben. Doch die kühle Kernfusion aus Lounge, Soul und geschmeidigen Grooves ist nicht weniger verführerisch als jene des englischen Duos. Flink, aber nicht hektisch, seelenvoll, doch ohne Pathos arrangieren sie Songs, denen man Farben wie nachtblau oder silbern zuschreiben möchte. Dabei geht dieses Album ganz anders los: als hätten sich die Propellerheads an den Doors vergriffen. Popgeschichte scheint also selbst im Land der Geysire Unterrichtsfach zu sein.

      Hayden

      „The closer I get” (1999)

      Ein heftiges Schlagzeug, das so tut, als wolle es in Wahrheit zart sein und sei nur vor lauter Unbeholfenheit laut. Ein Mann namens Hayden, der schüchtern singt und dazu Orgel, Saxofone und Gitarren behandelt, also für nahezu alles verantwortlich ist an pseudoamateurhaftem Charme, der dieses wunderliche Album auszeichnet. Hayden gehört zu jenen Gestrandeten der Fußgängerzonen, zu jenen Träumern in karierten Hemden, die ihre Augen zukneifen, wenn sie fotografiert werden. Ein stiller, trauriger Slacker, der davon singt, wie es ist, vor der Haustür eine Kugel zu finden, die ihm gegolten hat. Und der sich dann doch entschließt, zu den Gewinnern zu gehören, egal, was es ihn kostet. Hayden ist wie Neil Young, der seine Wut verloren hat. Aber nicht seinen Mut.

      Hevia

      „Tierra

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