3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу 3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner страница 65

3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

Скачать книгу

Gopher, DJ Morpheus oder Mark Pritchard. Erhellt von der Leuchtkraft funkelnder E-Pianos und orgelartiger Synthesizer arbeitet sich die Elektronik vor in die Vergangenheit des Jazz. Ein verwirrendes Vergnügen.

      Verschiedene Künstler

      „Loud, fast & out of Control – The wild Sounds of the ’50s Rock” (1999)

      Als sie daran gingen, diese 50er-Box zu kompilieren, ließen sich die Labelleute vom Bild Marlon Brandos leiten, wie er sich grinsend fläzt auf seiner Harley und niemand reinlässt in seinen Lederjackenmikrokosmos. Solche Typen sollten auf die Box, Typen mit gegelten Tollen und lockeren Fäusten, Typen, die Amerika verstörten: Eddie Cochran, Elvis, Chuck Berry, Screamin’ Jay Hawkins, Jerry Lee Lewis oder die wilde Wanda Jackson. Nur ein paar Softies rutschten ihnen durch, die Everly Brothers etwa oder der Pseudowilde Bill Haley. Eine grandiose, nicht primär auf Entdeckungen, sondern auf Chartsresümee ausgerichtete Zeitreise in eine Ära, als man den amüsanten Radau der Halbstarken noch für den Schimmer der Apokalypse hielt – und noch nichts ahnte vom Horror, der kommen sollte, in Littleton und anderswo.

      Verschiedene Künstler

      „Reich Remixed” (1999)

      Danceavantgardisten wie Coldcut, Andrea Parker, Howie B. oder DJ Takemura tun das einzig Logische: Sie remixen Steve Reich. Schließlich wäre ohne ihn die Musik nie (scheinbar) monoton geworden, geschweige denn zu Techno mutiert. Klar, dass Reich dabei einen mörderischen Grooveschub kriegt. Gar nicht klar jedoch, dass er darüber kaum an Komplexität einbüßt. Seine perkussiv zersplitterten Werke wie „Music for 18 Musicians“, die sich im orchestralen Rahmen oft zum hypnotischen Sog verdichteten, sind kongeniale Steilvorlagen für die Stakkatibedürfnisse einer ganz anderen Generation. Vielleicht war das immer Reichs Bestimmung: von den statisch-mathematischen Prinzipien weg- und hingeführt zu werden zu reiner Körperlichkeit im Tanz. Wenn er’s noch nicht wusste, dann weiß er’s jetzt.

      Verschiedene Künstler

      „Santa Monika – 24 Winter- und Weihnachtslieder in Zimmerlautstärke” (1999)

      Man würde bei diesem alternativen Weihnachtssampler aus Berlin ja gern das Wortspiel „Wüster die Glocken nie klingen“ anbringen, doch die Klänge sind zart, schräg, Lo-Fi oder hörspielartig – aber niemals wüst. „White Christmas“ gar erfährt durch Barbara Morgenstern eine Wandlung zum Lounge. Die meisten Acts haben die Adventsatmosphäre in jenen sympathisch pseudodilettantischen Wohnzimmerpop verpackt, für den das Monika-Label (achtel-)berühmt ist. Und nirgendwo anders als hier erfährt man poetische Wahrheiten wie „Schneeflocken sind verzauberte Krankenschwestern“. Nur Klaus Beyer klingt nach Insterburg & Co. Und das gönnen wir selbst Weihnachten nicht.

      Verschiedene Künstler

      „Slow Mo Two” (1999)

      Das Downbeatgenre ist nicht von dieser Welt. Es erzählt von einem anderen Leben, abseits sonnendurchfluteter, abgasverseuchter Hauptstraßen. Es führt uns in die Traumwelten einer neonkühler Bar, wo schöne Menschen an bunten Cocktails nippen, wo die Musik nie zu laut und niemals schnell ist. Diese „Slow Mo“-Tracks von Funky 4U, Waldeck oder Sundance wissen nichts von Melodie und Refrain, aber alles über Sound und rhythmische Magie. Sie entführen in eine Welt, in der die Pflanzen schon ausgestorben sind, aber die Klimaanlage blendend funktioniert. Ein Zeitlupenzeitalter mit lächelnden Menschen, in deren Cocktailglas das Eis niemals schmilzt.

      Verschiedene Künstler

      „The Blair Witch Project – Josh’s Blair Witch Mix” (1999)

      „Im Gedenken an Heather, Mike und Josh, deren großartiger Musikgeschmack dieses Album inspirierte. Ruhet in Frieden.“ So steht es im Booklet. Die gewitzeste Marketingkampagne der jüngeren Kinofeschichte geht also weiter; denn im Film „Blair Witch Project“ ist gar keine Musik zu hören. Doch in Joshs Auto war dieses Tape … Inzwischen weiß man, dass sich Heather, Mike und vor allem Josh guter Gesundheit erfreuen, aber wer die Pseudodoku im Kino gesehen hat und sich danach diesem Gruselalbum (mit Lydia Lunch, Public Image Ltd., Laibach, Bauhaus etc.) aussetzt, wird Stein und Bein schwören, dass etwas Entsetzliches passiert sein muss. Eins haben die Kompilierer aber vergessen: auf’s Entstehungsjahr der Songs zu achten. Etwa die Hälfte davon entstand erst nach dem Verschwinden der Studenten. Oder ist gerade das besonders schaurig … ?

      Vivid

      „Sundown to Sunrise” (1999)

      Hybris aus Salzgitter: Der Sänger Thomas Hanreich traut sich jetzt sogar Bonos Schmelz zu. Nicht das einzig Neue im Sound von Vivid. Streicher vertreiben auf Album zwei den früheren Alternativtouch, stattdessen sollen Beats und Elektronik für Hipness sorgen. Willkommen also im Pop, Vivid, willkommen im Dunstkreis von Bryan Adams. Die neue Eingängkeit wird alten Fans nicht schmecken, aber unzählige neue gewinnen. Selbst wenn’s doch mal richtig kracht (wie auf „Is it worth it?“), schielt der Refrain nach Ruhm und Erfolg. Und wegen des Videos fuhren sie natürlich nach Los Angeles. Das kann ja nur gutgehen.

      Waylon Jennings

      „The Journey: Destiny’s Child” (1999)

      Wenn man sich vorm Abflug zur einsamen Insel das Programm nur eines Labels aussuchen dürfte, wäre die Wahl klar: Bear Family Records. Die pure Masse – lauter Boxsets – spräche dafür, noch mehr aber die Qualität. Die opulente, sechs CDs umfassende Ehrung für Waylon Jennings, neben Johnny Cash und Willie Nelson der bedeutendste Off-Nashville-Vertreter, beweist das aufs Neue. Sie beginnt mit seiner ersten, 1958 von Buddy Holly produzierten Single und endet mit seinen großartigen Countryfolkaufnahmen für A&M 1968. Drauf auch alle Demos jener Tage, und als nette Kuriosa enthält die Box sogar Waylons Werbejingles für Coca Cola. Skurrile Miniaturen. Ein 60-Seiten-Buch im LP-Format rundet die Schatzkiste ab. Einzig die Infos zu den Songs sind etwas dürftig. Das schmälert das Vergnügen aber nicht.

      Wolfgang Flür

      „Kraftwerk – Ich war ein Roboter” (1999)

      Am interessantesten sind immer die Details – zum Beispiel, wie sie damals vorm „Aspekte“-Auftritt in einem Düsseldorfer Keller aus einer schlichten Beatbox das erste Drumpad der Popgeschichte löteten … Zum Patent angemeldet haben Kraftwerk die Erfindung nie; Begeisterung macht naiv. Drummer Wolfgang Flür erzählt die Story der wichtigsten deutschen Band aller Zeiten aus der Sicht des dritten Rads am Wagen. Durch seine sanfte Abrechnung mit dem Kreativduo Ralf Hütter und Florian Schneider zieht sich ein Beleidigtsein darüber, dass er stets nur im zweiten Glied stand – aber auch eine lächelnde Wehmut beim Nachsinnen über die aufregendste Zeit seines Lebens.

      Xaver Fischer Trio

      „Xaver Fischer Trio” (1999)

      Wenn Xaver Fischer auf seinen Keyboards einmal eine bezwingende Melodie gefunden hat, dann ist sie sein. Die lässt er nicht mehr gehen, die quetscht und knetet er, die dekliniert er durch mit seinem Trio. Bis sie so tief in uns eingesunken ist, dass sie uns von innen heraus verändert und wir in einer mit Lavalampen und Plüschsofas möblierten Fantasiewelt gefangen sind. Obwohl gefangen das falsche Wort ist – wir dürfen dort sein. Fischers Loungejazz klingt nach 60ern und deswegen hochmodern; er schwebt durch die Clubs wie durchs All, er passt zum kleinen

Скачать книгу