3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
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Babybird
„Bugged” (2000)
Ein einziges Mal steckte das Küken Stephen Jones sein Schnäbelchen aus dem Bastelkellerfenster, blinzelte baff in die Welt, sang „You’re gorgeous“ – und fand sich plötzlich wieder in der Glamourwelt des Pop. Doch der Ruhm, der Majordeal, das Rampenlicht: All das verschreckte unser Babybird. Also zog es sich zurück ins Nest und zwitscherte lieber weiter wie zuvor: schief und schräg und auf jeden Fall so, dass Ruhm und Rampenlicht nicht mehr drohen. Lieber schichtet Jones Spur um Spur aufeinander, so dass ein einziger großer Chorus aus Beats, Gitarren, Electronika, Trompeten entsteht. Songs wie „Out of Sight“ sind immer noch großer Pop, wenngleich ohne den fesselnden „Gorgeous“-Appeal; die meisten Stücke auf „Bugged“ aber vergraben sich selbstverliebt im Bastelkeller. Nicht viele werden sich die Mühe machen, sie unterm Gerümpel freizulegen. Für einige Songs aber lohnt sich die Mühe. Wirklich.
Bats In The Head
„Headroom” (2000)
Ist das eine Reinkarnation von Jefferson Starship, die beschlossen haben, sich an metallischem Alternativerock zu versuchen? Ungewiss. Gewiss ist die Herkunft der Band: aus Berlin. Und gewiss ist, an wen der Gesang von Kristin Target erinnert: an den von Grace Slick. Manchmal zumindest. Schwer zu fassen, diese Band. Der Drummer spielt gern den Heavy-Metal-Prügler. Der Gitarrist hegt heimliche Lieben für Grunge und Boogie, und Kristin weckt, wie gesagt, Assoziationen an US-Westcoast-Psychedelia von circa 1969. Wäre da nur nicht ihr leichter deutscher Zungenschlag, der manchen englischen Text nicht gänzlich unbeschadet lässt. Wären da nur nicht manche statischen Mittelteile in enervierendem Progrockgehabe. Tja, dann wäre die Band nicht schlecht. So hat sie immerhin eines: Potenzial. Vielleicht.
Bebel Gilberto
„Tanto Tempo” (2000)
Bei Gaetano Veloso hat man immer das Gefühl, er sänge mit halbgeschlossenen Augen. Bei Bebel Gilberto auch; auch sie, die Tochter Joao Gilbertos, kommt aus Brasilien (und lebt in New York), auch sie scheint sich, ermattet vom Tanz, in einer Post-Bossa-Traumwelt zu wiegen, in der die Geschichten ins Schweben geraten. Ein Gesang wie ein Trippeln, auf Händen getragen von der jungen elektronischen Bossaschule wie Smoke City oder Amon Tobin – vor allem aber vom Produzenten Suba aus São Paulo, der kurz nach Abschluss der Aufnahmen ums Leben kam. Vorsicht beim Näherkommen: So zart ist diese Musik, dass sie sich auflösen könnte, wenn man sie unachtsam berührt. Und nichts wollen wir weniger.
Belle And Sebastian
„Fold your Hands Child, you walk like a Peasant” (2000)
Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, auf dieser Welt größere Schönheit zu finden als jene, die aufstrahlt in der Musik von Belle And Sebastian. Und das gilt gerade für Momente, wo die ästhetische Reinheit gezielt gebrochen wird durch ein Saitenrutschen beim Umgreifen oder ein knappes Verfehlen der Tonlage beim Gesang. Denn das allzu Schöne tendiert schnell zum Kitsch, das weiß der Songwriter Stuart Murdoch gut. Manchmal ist Pop Poesie; seit Nick Drake ist das selten der Fall. Doch wenn diese Musik läuft, umspielt ein weißes, blasses Licht die Wände, auf den Möbeln liegen träumende Katzen, und Spinnwebreste glitzern silbrig in leicht bewegter Luft. Die Arrangements aus Streichern und Akustikgitarren klingen, als hätten die Schotten mit den Tindersticks paktiert, doch Songs wie „The wrong Girl“ strahlen eine traurige Euphorie aus, die nur Belle And Sebastian gelingt. Ein Album, bei dem nicht nur Katzen ins Träumen geraten.
Bill Wyman’s Rhythm Kings
„Groovin’” (2000)
Der Ex-Rolling-Stones-Mann Bill Wyman führt seit vier Jahren eine Opagruppe mit Altstars wie Georgie Fame, Peter Frampton, Gary Brooker und anderen – alles verschmitzte gutsituierte Herren, die ihre Schäfchen schon längst allesamt im Trockenen haben. Nur dann hat man wahrscheinlich jene Lockerheit, die auch das Album „Groovin’“ durchzieht. Unaufgeregt nehmen sich die gesetzten Herren Klassiker und (ein paar) selbstkomponierte Songs vor und schwelgen kollektiv in Gelassenheit. Das dämonische „I put a Spell on you“ wird mit Hilfe von Beverly Skeete zum schwülen Barblues exorziert, und auch die anderen Tracks sind durchweg freundlich statt böse. Eine Rentnerband, die sich wohlfühlt und den Wohlfühlblues beherrscht wie nix anderes.
Biosphere & Deathprod
„Nordheim transformed” (2000)
Dies ist genau die Musik, bei der man nach einigen Minuten einen glasigen Blick bekommt. Bei der das Schummerlicht im Loungeclub Schlieren zu ziehen beginnt an den Wänden. Bei der die Blasen im Cocktailglas nur noch in Zeitlupe aufsteigen. Biosphere und Deathprod bearbeiten die elektronische Musik des Norwegers Arne Nordheim mit der Trägheit von Unterwasserbewegungen und beziehen sich dabei unüberhörbar auf Brian Enos Ambientphilosophie aus den 70ern. Diese Musik steht unbewegt im Raum, sie scheint unantastbar, gleichsam autistisch, und doch verändert sie alles: den Raum, unsere Stimmung. Und unseren Blick, schon nach wenigen Minuten.
Bobby Kimball
„All I ever needed” (2000)
Der frühere Toto-Sänger („Africa“, „Rosanne“) spielt und singt seinen melodischen 80er-Rock mit sanftem Funktouch und so, als sei kein Tag vergangen, seit er „Stairway to Heaven“ unterm Projektnamen Far Corporation wiederbelebte. Was also soll man tun – das Ganze als überflüssig und altbacken verdammen? Oder die schiere instrumentale und handwerkliche Qualität loben? Die Fähigkeit Kimballs preisen, jeden Ton traumhaft sicher zu treffen und exakt zu wissen, wann er seinen Gesang aufrauen muss, um der Refrainschlusszeile den letzten Druck zu geben? Still perfect after all these years. Kimball erhält die 80er am Leben; es war seine Dekade, da füllte er die Stadien. Ich kann ihn verstehen. Der Gegenwart tut „All I ever needed“ trotzdem nicht gut – oder besser: Sie ist ihr egal.
Bobby Whitlock
„It’s about Time” (2000)
Was macht eigentlich Hans Hartz, der einstige Beck’s-Werbespot-Krächzer und Westentaschen-Cocker? Musste er vielleicht eine neue Identität annehmen, nachdem der echte Cocker ihm den Job weggeschnappt hatte – und lebt er jetzt unterm Pseudonym Bobby Whitlock seinen wahren Hang zu Schweineorgeln, Billy-Joel-Pianos und kehligem Songwriterrock aus? Um es gleich zu sagen: nein. Whitlock ist nicht Hartz, sein Niveau auch deutlich höher, ja historisch: Er schrieb schon anno 1970 mit Eric „Slowhand“ Clapton für Derek & The Dominos Songs. Als Studiomusiker ist Whitlock seither ausgelastet, was ihn, den Kreativen, aber nicht ausfüllt. Woraus seine fünfte Studio-CD resultiert, ein solides Mainstreamalbum, das klingt wie eine Bewerbung für den Beck’s-Werbespot. Wie gefallen dir eigentlich grüne Segel, Bobby?
Bohemia