3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
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Der Wolf
„Was soll ich sagen” (2000)
He, Moses, du bist, haha, ein „Rödelheimer Blödelreimer“ – und bevor du jetzt ausholst, um mir, wie es deine Art ist, eine zu langen, halt inne und siehe: Das sage nicht ich, sondern Der Wolf. Der will mal wieder Feuer reinbringen in die deutsche Posse, und Moses-Pieksen ist da sehr probat. Doch der Typ aus Dortmund überrascht auch mit reflexiven Versen übers Genre, mimt freilich weiter auch den alltagsweisen Frechdachs, der ihn berühmt machte („Gibt’s doch gar nicht“). Und wenn’s ums High-Speed-Zungenschlingern geht, ohne sich einen Knoten einzufangen, macht ihm eh kaum einer was vor – selbst der Rödelheimer Blödelreimer nicht. Sag’ ich.
Die Erben der Scherben
„Keine Macht für Niemand” (2000)
Schorsch Kamerun und Nina Hagen sowie ein Haufen wenigstens Engagierter wie Ken & MC/DC knöpfen sich Rio Reisers klassische Anarchohymnen vor. „Feierabend“, „Der Traum ist aus“: Nie war die Revolution cooler als damals, als Ton Steine Scherben nicht nur den Rock politisierten, sondern auch bewiesen, dass Rock auf Deutsch überhaupt möglich ist. Die Enkel versuchen nun, die politische Brisanz in die Ästhetik von heute zu überführen, in Rap und Noise; doch scheitern sie durchweg am eigenen Dilettantismus, der die rebellische Attitüde schon für Rebellion hält. Musikalisch weitgehend unkonsumierbar, politisch immerhin gut gemeint.
Divination
„Sacrifice” (2000)
Würde sich die rastlose Arbeitswut des New Yorker Allrounders Bill Laswell, der hinter Divination steckt, adäquat in seiner Musik niederschlagen, sie müsste hektisch sein, unstet und sprunghaft. Doch zumeist ist sie so wie hier: meditativ, langsam atmend. Vier Stücke für Bass und elektronische Zither (verantwortlich: Laraaji, einst von Brian Eno entdeckt und bisher von kaum jemand sonst) ergießen sich über 48 Minuten. „Reflection“, der zögernde Beginn, erinnert an Tempelmusik – als stimmten Zen-Mönche ihre Instrumente. Und genauso zögernd vergeht es, macht Platz für das dunkel raunende „Waterbass“, einen Tauchgang ohne Rhythmus und Gravitation. Hoffentlich hört der rastlos arbeitswütige Laswell, der natürlich auch noch die Alben „Serene timeless Joy“ (Projektname: Rasa) und „The seven Centers“ (Projektname: Chakra) auf den Markt wirft, zu Hause recht oft seine Musik. Sie schützt vorm Herzinfarkt.
DJ Harry K.
„Box of Tricks” (2000)
Mitglieder erfolgreicher Danceacts taugen nur bedingt zu Solisten; das zeigten die Prodigy-Alleingänge. Mit uninspiriertem Vorsichhinklöppeln betont das auch Harry K., der von Apollo 440 ausscherte, um seinen eigenen Stil zu pflegen. Doch der Mann hat kaum echte Soundfantasie – und reitet dennoch auf seinen mediokren Ideen so lange herum, bis das auch der Letzte merkt. Äußerlich ein Mix aus Drum & Bass, Bigbeats und HipHop, offenbart seine titelgebende Trickkiste bald, dass sie innen bestürzend hohl ist. Die Samples sind unoriginell, der Versuch, irgendwie Gitarren reinzubringen, halbherzig. Zurück ins Glied, Harry!
Don Tiki
„The forbidden Sounds of Don Tiki” (2000)
Kuba war gestern. Wie wäre es mal mit Polynesien? Don Tiki bietet eine Reise dahin, wo es so bunt ist wie nirgendwo sonst, doch die Reise ist ein Fake. Pseudopolynesien, erdacht von Perry Coma (sic!) und erschaffen auf Piano, Marimba, Vibra- und Xylofon, auf Flöten, Harfen, Congas, Orgel und – na, klar – Hawaiigitarren. Die Sehnsucht nach Sonne und Ironie trieb Herrn Coma sogleich illustre Gäste zu, darunter den Weather-Reporter Carlinhos Brown – und sogar einen echten Polynesier: den Pianisten Martin Denny. Dem gefiel sicher der augenzwinkernde Blick aufs Paradies, die manchmal träge in luftiger Ruhe verharrenden Klanggespinste voller Vogelgezwitscher, die schmachtenden Songs, denen auch der Broadway ein Zuhause wäre. Exotica – der nächste Trend? Zum Cocktail jedenfalls gibt es keinen besseren Soundtrack.
Earthlings?
„Human Means” (2000)
Ist das ein wilder Sampler oder was? Von gälisch anmutenden Folktönen bis zu schwärzestem Wave-Techno-Underground reicht das Spektrum dieser CD – aber sie kommt von einer einzigen Band und nicht von elf verschiedenen. Das Fragezeichen im Gruppennamen ist durchaus berechtigt, denn das klingt alles ziemlich alienesk. Irdische wagen so etwas selten – und sich erst recht nicht derart an Chuck Berrys Klassiker „Johnny B. Goode“, den die Earthlings? zum pochenden Industrial runterprügeln, tonlos rezitiert, als sei die Sprachprogrammierung von Robotern fehlgeschlagen. Eine bizarre Entdeckungsreise. Achtung, Kelly-Fans: nicht kaufen.
Einstürzende Neubauten
„Silence is sexy” (2000)
Dieses Albums steht unter einer Spannung, die sich nie entlädt; anders als in den Anfangstagen, als der Bandname noch Omen war für die zu erwartende Geräuschkulisse. Hier hält die Spannung an bis zum Ende, und wir sind niemals wirklich sicher, ob wir wirklich sicher sind vorm großen Knall. Von dieser fiebrigen Explosionserwartung lebt das Album – silence is nervenzerrend. Erst beim zweiten Hören entpuppt sich das Ganze als entschieden zu einförmig. Viel Perkussion, die Streicher von Tim Isfort, darüber Blixas geraunte Gedichte zwischen Dada und Zukunftshohn: So rauscht es ruhig vorbei. Wäre doch nur etwas explodiert. Oder wenigstens eingestürzt.
El Rayo-X
„Live!!” (2000)
Zwei Ausrufezeichen hinterm Albumtitel – aber vier oder fünf wären auch nicht zu viele gewesen. Der Gitarrenheld David Lindley (Ex-Kaleidoscope) und sein wirklich schlag-fertiger Kollege Wally Ingram entfachen mit dieser Reunion-CD ihres legendären Projektes El Rayo-X einen Partyspaß, der ebenso brillant gespielt wie aufgenommen ist und höchst kokett ums Reggaeidiom kreist – selbst wenn „Papa was a Rolling Stone“ auf dem Programm steht. Lindley ist ein munterer Veteran mit ungebrochenem Hang zur Verschmitztheit, dem es – wie einst im Rockpalast-Konzert, das ihn hierzulande berühmt machte – immer noch Laune macht, Songs mit „One, two, three, four!“ loszuschießen. Manchmal tut er’s auch kurz vorm Ende noch mal, und das ist witzig. Findet übrigens auch das begeisterte Publikum.
Eleventh Dream Day
„Stalled Parade” (2000)
Es ist wieder Zeit für große Gesten. Eleventh Dream Day beginnen „Stalled Parade“ mit ozeanischen Riffs, die sich nähern wie eine Tsunami in