Der scharlachrote Buchstabe. Nathaniel Hawthorne
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»Meine früheren Studien in der Alchemie«, bemerkte er, »und mein länger als ein Jahr dauernder Aufenthalt unter einem in den freundlichen Eigenschaften der Heilkräuter gut bewanderten Volke haben mich zu einem bessern Arzt gemacht als viele, welche den medizinischen Doktorhut beanspruchen. Hier, Weib! Das Kind ist dein – ich habe nichts mit ihm zu schaffen ... auch wird es meine Stimme und meinen Anblick nicht als die eines Vaters anerkennen. Gib ihm daher diesen Trank mit deiner eigenen Hand ein.«
Esther stieß das angebotene Arzneimittel zurück, indem sie mit ausdrucksvoller Besorgnis in sein Gesicht blickte.
»Solltest du dich an dem unschuldigen Säugling rächen wollen?« flüsterte sie.
»Törichtes Frauenzimmer!« antwortete der Arzt halb kalt, halb beschwichtigend. »Wie sollte es mich ankommen, diesem ehrlosen und elenden Kinde ein Leid zuzufügen? Die Arznei ist von kräftiger guter Wirkung, und wär es mein Kind, mein eigenes, so wie es deines ist, so könnte ich ihm nichts Besseres geben.«
Da sie immer noch zauderte, indem sie sich allerdings in keinem vernünftigen Geisteszustand befand, nahm er das Kind auf seine Arme und gab ihm selbst den Trank ein. Der bewies bald seine Wirksamkeit und erfüllte das Versprechen des Arztes. Das Stöhnen des kleinen Patienten legte sich, seine Zuckungen hörten allmählich auf, und nach wenigen Augenblicken versank er, wie es bei sehr jungen Kindern nach einer Befreiung von Schmerz gewöhnlich ist, in einen tiefen Schlummer. Der Heilkünstler, wie man ihn mit gutem Rechte nennen konnte, wendete jetzt der Mutter seine Aufmerksamkeit zu. Er fühlte ihr ruhig und aufmerksam forschend den Puls, blickte in ihre Augen – ein Blick, bei dem ihr Herz zusammenzuckte und schauderte, weil er ihr so vertraut und doch so fremd und kalt war, – und ging endlich, sobald er in seinen Forschungen zu einem Resultate gelangt war, daran, einen zweiten Trank für sie zu mischen.
»Ich kenne weder Lethe noch Nepenthes«, bemerkte er, »aber ich habe in der Wildnis viele neue Geheimnisse gelernt, und hier ist eines davon, ein Rezept, welches mir ein Indianer zur Vergeltung für einige Belehrungen, die so alt wie Paracelsus waren, gegeben hat. Trink! Es mag wohl weniger beruhigend sein als ein sündloses Gewissen. Das kann ich dir nicht geben! Aber es wird deine Leidenschaft beruhigen wie auf die Wellen einer stürmischen See geschüttetes Öl.«
Er reichte den Becher, und Esther nahm ihn mit einem langen, eindringlichen Blick in sein Gesicht an – nicht gerade einem Blicke der Furcht, aber doch des Zweifels und der Frage, was wohl seine Absicht sein möge. Auch ihr schlummerndes Kind betrachtete sie.
»Ich habe an den Tod gedacht«, sagte sie, »... habe ihn gewünscht ... würde selbst darum gebetet haben, wär es recht, daß eine wie ich überhaupt beten dürfte. Sollte aber der Tod in diesem Becher sein, so bitte ich dich, dich noch einmal zu bedenken, ehe du mich ihn leeren lässt. Sieh! Schon ist er an meinen Lippen!«
»Nun trink schon«, antwortete er mit der früheren kalten Fassung. »Kennst du mich so wenig, Esther Prynne? Sind meine Absichten sonst so seicht? Könnte ich, selbst wenn ich einen Racheplan vorhabe, für meinen Zweck etwas Besseres tun, als dich leben zu lassen ... als dir Arzneien gegen alles Unheil und jede Gefahr des Lebens zu geben, damit diese brennende Schmach auf deinem Busen fortlodern möge?« Bei diesen Worten legte er seinen langen Zeigefinger auf den Scharlachbuchstaben, welcher sich sofort in Esthers Brust einzubrennen schien, als ob er glühend wäre. Er bemerkte ihre unwillkürliche Bewegung und lächelte. »Drum lebe und trage dein Urteil mit dir in den Augen von Mann und Weib – vor den Augen desjenigen, den du deinen Gatten genannt hast ..., vor den Augen jenes Kindes mit dir umher! Und damit du leben mögest, so nimm diesen Trank.«
Esther Prynne leerte ohne weitere Einwendungen oder Zögerung den Becher und setzte sich auf einen Wink des Heilkünstlers auf das Bett, wo das Kind schlummerte, während er den einzigen Stuhl, welchen der Raum enthielt, heranzog und sich neben ihr niedersetzte. Sie konnte sich eines Bebens bei diesen Vorbereitungen nicht enthalten, denn sie fühlte, daß er, nachdem er alles getan hatte, was ihm Menschlichkeit oder Grundsatz oder vielleicht selbst eine verfeinerte Grausamkeit zur Erleichterung der physischen Leiden zu tun antrieb, jetzt im Begriff stand, mit ihr als der Mann zu sprechen, welchen sie auf das tiefste und unwiederbringlichste verletzt hatte.
»Esther«, sagte er, »ich frage nicht, weshalb oder wie du in den Pfuhl gefallen, oder sagen wir lieber zum Pranger aufgestiegen bist, wo ich dich fand. Der Grund braucht nicht weit gesucht zu werden. Es war meine Torheit und deine Schwäche. Ich, ein Mann des Gedankens, der Bücherwurm großer Bibliotheken, ein schon dem Verwelken naher Mann, der seine besten Jahre dahingegeben hatte, um den hungrigen Traum der Erkenntnis zu nähren – was hatte ich mit Jugend und Schönheit wie der deinen zu schaffen! Wie konnte ich von meiner Geburtsstunde an Verunstalteter mich mit der Idee verblenden, daß intellektuelle Gaben in der Phantasie eines jungen Mädchens die physische Missgestalt verschleiern konnten! Die Menschen nennen mich weise. Wären die Weisen je für sich selbst klug gewesen, so hätte ich alles dies vorhersehen können. Ich hätte wissen können, daß, als ich aus den weiten, düstern Wäldern kam und in diese christliche Ansiedlung trat, der erste Gegenstand, welcher sich meinen Augen bot, du selbst sein würdest, Esther Prynne, als Statue der Schande vor dem Volke, – ja, von dem Augenblicke an, wo wir zusammen die alten Kirchenstufen als Ehepaar herabkamen, hätte ich das Signalfeuer dieses Scharlachbuchstabens am Ende unseres Pfades lodern sehen können.«
»Du weißt«, sagte Esther – denn so gedrückt sie auch war, konnte sie doch diesen letzten, ruhigen Stich nach dem Zeichen ihrer Schande nicht ertragen –, »du weißt, daß ich gegen dich offen gewesen bin. Ich habe weder Liebe gefühlt noch sie geheuchelt.«
»Wohl wahr«, antwortete er; »es war meine Torheit! Ich sagte es schon. Aber bis zu jenem Einschnitt meines Lebens hatte ich vergeblich gelebt. Die Welt war so freudlos gewesen. Mein Herz war eine zur Aufnahme vieler Gäste hinreichend große Wohnung, aber einsam und eisig und von keinem häuslichen Feuer erwärmt. Ich sehnte mich, ein solches anzuzünden. Es schien mir kein so phantastischer Traum zu sein, so alt und mürrisch und mißgestaltet ich auch war, daß das einfache Glück mir noch zuteil werden könnte, welches nah und fern verstreut ist, so daß es alle Menschen aufgreifen können. Und so, Esther, zog ich dich in mein Herz, in sein innerstes Gemach, und suchte dich zu wärmen an der Wärme, welche deine Gegenwart dort gab!«
»Ich habe dir großes Unrecht zugefügt«, murmelte Esther.
»Wir haben einander Unrecht zugefügt«, antwortete er. »Ich tat dir zuerst Unrecht, als ich deine knospende Jugend zu einer falschen und unnatürlichen Verbindung mit meinem welkenden Alter verlockte. Als Mann, der nicht umsonst gedacht und philosophiert hat, suche ich daher keine Rache, sinne auf nichts Böses gegen dich. Zwischen dir und mir hängt die Waagschale im Gleichgewicht, aber, Esther, es gibt einen Mann, der gegen uns beide gesündigt hat! Wer ist er?«
»Frage mich nicht«, antwortete Esther Prynne, ihm fest ins Gesicht blickend, »das wirst du nie erfahren.«
»Niemals, sagst du?« entgegnete er mit einem hintergründigen und selbstsicheren Wissen. »Ihn niemals kennen! Glaub mir, Esther, es gibt wenige Dinge, sei es nun in der äußeren Welt oder bis zu einer gewissen Tiefe in der unsichtbaren Sphäre des Gedankens, –