Maria Stuart. Stefan Zweig
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Erste Eindrücke haben große Macht über die Seele, tief und schicksalhaft prägen sie sich ein. Vielleicht weiß die junge Frau selbst nicht, was sie dermaßen ergreift, als sie jetzt wie eine Fremde nach dreizehnjähriger Abwesenheit wieder ihr Reich betritt. Ist es Heimweh, ein unbewußtes Verlangen nach jener Wärme und Süße des Lebens, die sie auf französischer Erde lieben gelernt, ist es der Schatten des grauen fremden Himmels, ist es das Vorgefühl kommender Gefahren? Jedenfalls bricht Maria Stuart, kaum mit sich allein – Brantôme erzählt es –, in Tränen aus. Nicht wie Wilhelm der Eroberer setzt sie stark und selbstbewußt mit rechtem Herrengefühl den Fuß auf die britannische Insel – Befangenheit ist ihr erstes Empfinden, Ahnung und Angst vor dem künftigen Geschehen.
Am nächsten Tag kommen der inzwischen benachrichtigte Regent, ihr Stiefbruder James Stuart – bekannter unter dem Namen Earl of Moray –, und einige andere Edelleute schleunig herangeritten, um ihr ein halbwegs würdiges Geleite nach dem nahen Edinburgh zu bereiten. Aber es wird kein festlicher Zug. Unter dem fadenscheinigen. Vorwand, nach Piraten zu fahnden, haben die Engländer eines der Schiffe, auf dem sich die Rosse des Hofes befanden, zurückgehalten, und in der kleinen Stadt Leith ist gerade noch für die Königin ein halbwegs taugliches und erträglich aufgezäumtes Pferd aufzutreiben; ihre Frauen und adeligen Begleiter dagegen müssen sehr verärgert mit groben und bäurischen Schindmähren vorliebnehmen, die man hastig aus den umliegenden Scheunen und Ställen zusammenholt. Tränen kommen bei diesem Anblick Maria Stuart in die Augen, abermals muß sie fühlen, wie viel ihr der Tod ihres Gatten genommen und um wie viel weniger es bedeutet, bloß Königin von Schottland zu sein, als jene von Frankreich, die sie gewesen. In einem derart armen, unwürdigen Aufzug sich ihren Untertanen zu zeigen, verbietet ihr der Stolz. Statt zu einer »joyeuse entrée« durch die Straßen Edinburghs reitet sie darum mit ihrem Gefolge gleich in das Schloß von Holyrood außerhalb der Stadtmauern. Dunkel liegt das von ihrem Vater gebaute Haus mit seinen runden Türmen in der Tiefe der Landschaft, von der sich nur trotzig die Zinne der Festung abhebt; von außen scheint es für den ersten Blick großartig in seinen klaren Formen und mit seiner quadernen Wucht.
Aber wie frostig, wie leer, wie unfestlich grüßen innen die Räume die von Frankreich Verwöhnte! Keine Gobelins und kein Lichterglanz, der aus italienischen Spiegeln von Wand zu Wand sich weitergibt, keine kostbaren Stoffe, kein Schimmer von Silber und Gold. Seit Jahren ist hier nicht hofgehalten worden, kein Lachen nistet in diesen verlassenen Räumen, keine königliche Hand hat dies Haus seit ihres Vaters Tod erneuert und geschmückt: auch hier blickt ihr hohläugig die Armut entgegen, der alte Fluch ihres Königreichs.
Kaum haben die Einwohner von Edinburgh vernommen, daß ihre Königin in Holyrood eingetroffen ist, so ziehen sie alle noch nachts hinaus, ihr Willkommen zu bieten. Daß dieser Gruß für den verfeinerten, verwöhnten Geschmack der französischen Adelsleute etwas rauh und bäuerisch ausfällt, ist nicht zu verwundern; Edinburghs Bürger haben keine ›musiciens de la cour‹, um die Schülerin Ronsards mit zärtlichen Madrigalen und kunstvoll gesetzten Kanzonen zu erfreuen. Sie können die Königin des Landes nur nach althergebrachter Art feiern, indem sie Holzklötze, das einzige, was diese unwirtliche Gegend reichlich gibt, auf den Plätzen zusammenschichten, um sie als »bonfires« hell durch die Nacht lodern zu lassen. Dann versammeln sie sich vor ihren Fenstern und veranstalten mit Dudelsäcken, Pfeifen und ungefügen Instrumenten etwas, was ihnen als Musik, den kultivierten Gästen aber als höllischer Lärm erscheint: dazu singen sie – denn profane Texte sind ihnen von ihren calvinistischen Priestern untersagt – mit rauhen Männerstimmen Psalmen und fromme Lieder; mehr haben sie mit bestem Willen nicht zu bieten. Aber Maria Stuart freut sich über den guten Empfang oder zeigt zumindest Freundlichkeit und Freude. Und wenigstens in jener ersten Ankunftsstunde herrscht seit Jahrzehnten wieder Einklang zwischen einer Fürstin und ihrem Volke.
Daß eine unermeßlich schwierige Aufgabe diese politisch völlig unerfahrene Herrscherin erwartet, darüber geben sich weder die Königin selbst noch ihre Ratgeber einer Täuschung hin. Prophetisch hatte Maitland of Lethington, der klügste Kopf des schottischen Hochadels, von Maria Stuarts Ankunft geschrieben, sie würde unaufhaltsam außerordentliche Tragödien verursachen (»it could not fail to raise wonderful tragedies«). Selbst ein energischer, entschlossener Mann, die Faust mit Eisen bewehrt, könnte auf die Dauer hier nicht Ruhe erzwingen, und wie erst eine neunzehnjährige, dem eigenen Lande entfremdete und im Herrschen so ungeübte Frau! Ein armes Land, ein korrupter Adel, dem jeder Anlaß zu Aufstand und Krieg willkommen ist, eine Unzahl Clans, die in ewigem Streit und Zwist miteinander leben und nur ständig auf einen Anlaß warten, um Haß in Bürgerkrieg zu verwandeln, eine katholische und eine protestantische Geistlichkeit, die grimmig um die Oberherrschaft ringen, eine wachsame und gefährliche Nachbarin, die mit geschickter Hand jeden Anlaß zur Unruhe schürt, und dazu die Feindseligkeit der Weltmächte, welche unbarmherzig Schottland mitreißen wollen in ihr blutiges Spiel: das ist die Lage, die Maria Stuart vorfindet.
Im Augenblick, da sie ihr Land betritt, steht dieser Kampf auf des Messers Schneide. Statt gefüllter Kassen übernimmt sie von ihrer Mutter eine verhängnisvolle Erbschaft, eine wahrhaft »damnosa hereditas«: den religiösen Zwist, der hier erbitterter als irgendwo die Seelen verstört. Während der Jahre, die sie selbst ahnungslos und beglückt in Frankreich verbrachte, war es der Reformation gelungen, siegreich in Schottland vorzudringen. Durch Hof und Haus, durch Dörfer und Städte, durch Sippen und Familien geht nun dieser furchtbare Riß: ein Teil des Adels protestantisch, der andere katholisch, die Städte dem neuen Glauben zugewandt, das flache Land dem alten, Clan gegen Clan, Geschlecht gegen Geschlecht, und beide Parteien ständig in ihrem Haß geschürt von fanatischen Priestern und politisch gestützt von fremden Mächten. Gefährlich für Maria Stuart aber wird vor allem, daß eben der mächtigste und einflußreichste Teil des Adels im gegnerischen, im Lager des Calvinismus steht; die Gelegenheit, sich der reichen Kirchengüter zu bemächtigen, hat zauberisch auf diese machtgierige und rebellische Rotte gewirkt. Endlich haben sie einen herrlichen pseudoethischen Vorwand, als Schirmer der wahren Kirche, als die »Lords of the Congregation«, sich gegen ihre Herrscherin aufzulehnen, und für diesen Widerstand finden sie an England jederzeit einen bereiten Helfer. Mehr als zweihunderttausend Pfund hat die sonst sparsame Elisabeth schon geopfert, um Schottland durch Aufstände und Kriegszüge den katholischen Stuarts zu entreißen, auch jetzt nach feierlich abgeschlossenem Frieden, steht ein Großteil der Untertanen Maria Stuarts heimlich in ihrem Sold. Mit einem Schlage könnte nun Maria Stuart das Gleichgewicht herstellen, nämlich wenn sie selbst zur protestantischen Religion übertreten würde, wozu ein Teil ihrer Berater sie auf das heftigste drängt. Aber Maria Stuart ist eine Guise. Sie stammt aus der Familie der glühenden Vorkämpfer des Katholizismus und ist selbst, wenn auch nicht zelotisch fromm, so doch treu und leidenschaftlich dem Glauben ihrer Väter und Ahnen ergeben. Nie wird sie von ihrer Überzeugung weichen und selbst in äußerster Gefahr, gemäß ihrer kühnen Natur, lieber ewigen Kampf wählen als eine einmalige feige Handlung gegen ihr Gewissen. Damit aber ist ein unheilbarer Riß zwischen ihr und dem Adel geschaffen; immer wirkt es sich gefährlich aus, wenn ein Herrscher einer anderen Religion angehört als seine Untertanen. Denn zwischen so scharfem Hin und Wider kann die Waage nicht ewig schwanken, einmal muß die Entscheidung fallen; eigentlich bleibt Maria Stuart nur die Wahl, der Reformation Herr zu werden oder ihr zu erliegen. Die unaufhaltsame Auseinandersetzung zwischen Luther, Calvin und Rom wird