Magellan. Stefan Zweig

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Magellan - Stefan Zweig

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João gesichert, denn nach der Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung kann Portugal niemand mehr zuvorkommen, und niemand unter den Mächten Europas darf sogar auf diesem langgesicherten Wege ihm noch nachfolgen. Denn bereits Enrique der Seefahrer hatte sich vorsichtigerweise vom Papst verbriefen lassen, daß alle Länder, Meere und Inseln, welche hinter dem Vorgebirge Bojador entdeckt würden, einzig und allein den Portugiesen zugehören sollten, und drei andere Päpste hatten diese sonderbare »Schenkung« bekräftigt, welche mit einem Griff und Federstrich den ganzen noch unbekannten Orient mit Millionen Einwohnern dem Hause Viseu als rechtmäßiges Krongut Übermacht. Portugal und Portugal allein sind also alle neuen Welten zugeschworen. Mit solchen unantastbaren Sicherheiten in Händen hat man im allgemeinen für unsichere Geschäfte nicht viel Neigung, und deswegen war es keineswegs so einfältig und wunderlich, wie es meist die Geschichtsschreiber a posteriori darstellen, wenn der beatus possidens, wenn König João II. dem etwas konfusen Projekt eines unbekannten Genuesen wenig Interesse entgegenbrachte, der emphatisch eine ganze Flotte forderte, »para buscar el levante por el ponente«, um Indien von Westen her zu erreichen. Man hört zwar Messer Christoforo Colombo im Schloß von Lissabon freundlich an, man sagt ihm keineswegs ein grobes Nein. Aber man erinnert sich allzu gut, daß bisher alle Expeditionen nach den sagenhaften Inseln Antilha und Brazil, die westwärts zwischen Europa und Indien liegen sollen, kläglich gescheitert sind. Und überdies: wozu sichere portugiesische Dukaten wagen für einen höchst unsichern Weg nach Indien, da man doch nach jahrelanger Mühe eben den rechten gefunden hat und auf dem Tejo die Schiffswerften bereits Tag und Nacht an der großen Flotte arbeiten, die geradewegs um das Kap bis nach Indien fahren soll?

      Wie ein Steinschlag durch das Fenster klirrt darum die brüske Nachricht in den Palast von Lissabon, jener großsprecherische genuesische Abenteurer habe unter spanischer Flagge den Oceano tenebroso wirklich durchsteuert und sei in knappen fünf Wochen auf Land im Westen gestoßen. Ein Wunder hat sich ereignet. Erfüllt ist über Nacht die mystische Prophezeiung aus Senecas »Medea«, die seit Jahren und Jahren schon die Gemüter der Weltfahrer erregte:

      »venient annis

      saecula seris, quibus Oceanus

      vincula rerum laxet et ingens

      pateat tellus, Typhisque novos

      detegat orbes, nee sit terris

      Ultima Thula.«

      Wahrlich, sie scheinen gekommen, »die Tage, da nach Jahrhunderten der Ozean sein Geheimnis auftut und ein unbekanntes Land erscheint, da der argonautische Pilot neue Welten entdeckt und Thule nicht mehr das fernste Land unserer Erde ist«. Zwar Columbus, der neue »argonautische Pilot«, ahnt nicht, daß er einen neuen Weltteil entdeckt hat. Bis zu seinem Lebensende hat dieser hartnäckige Phantast sich unbelehrbar in den Wahn vermauert, er habe bereits das Festland Asiens erreicht und könne, von seinem »Hispaniola« westwärts steuernd, in wenigen Tagesreisen an der Mündung des Ganges landen. Gerade dies aber ist Portugals tödliche Angst. Denn was hilft Portugal der Papstbrief, der ihm für die Ostfahrt alle Länder zusagt, wenn Spanien ihm auf dem kürzeren Westwege gerade vor dem Endsprunge zuvorkommt und Indien in letzter Minute noch vorwegnimmt? Damit wäre die fünfzigjährige Lebensarbeit Enriques, die vierzigjährige Mühe seit seinem Tode sinnlos geworden, Indien für Portugal verloren durch den tollkühnen Abenteurerstreich des unseligen Genuesen. Will Portugal seinen Vorrang und sein Vorrecht auf Indien weiter behaupten, so bleibt ihm keine andere Wahl, als die Waffen zu ergreifen gegen den plötzlich eingedrungenen Rivalen.

       Titelseite der ersten gedruckten »Newen Zeytung« über eine Forschungsreise nach Brasilien aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts

       (Bayrische Staatsbibliothek, München)

      Glücklicherweise beseitigt der Papst die drohende Gefahr. Portugal und Spanien sind die Lieblingskinder seines Herzens, weil die einzigen Nationen, deren Könige sich niemals störrisch seiner geistlichen Autorität widersetzten. Sie haben die Mauren bekämpft und die Ungläubigen vertrieben, mit Feuer und Schwert rotten sie jede Ketzerei aus in dem Lande, nirgends findet gegen Mauren, Maranen und Juden die päpstliche Inquisition so bereite Helferschaft. Nein, seine Lieblingskinder sollen sich nicht entzweien, beschließt der Papst, und darum geht er daran, alle noch unbekannten Sphären der Welt zwischen Spanien und Portugal einfach aufzuteilen, und zwar aufzuteilen, nicht wie man in unserer modernen diplomatischen Heuchelsprache sagt, als »Interessensphären«, sondern der Papst schenkt klar und redlich diesen beiden Völkern alle die Völkerschaften, Länder, Inseln und Meere kraft seiner Autorität als Statthalter Christi. Wie einen Apfel nimmt er die Erdkugel und teilt sie statt mit einem Messer durch die Bulle vom 4. Mai 1493 in zwei Hälften. Die Schnittlinie setzt ein hundert leguas (ein altes Meilenmaß) von den Kap Verde-Inseln. Was auf der Erdkugel fortan an unentdeckten Ländern westlich dieser Linie liegt, soll seinem lieben Kinde Spanien, was östlich liegt, seinem lieben Kinde Portugal gehören. Zunächst erklären sich die beiden Kinder dankbar einverstanden mit dem schönen Geschenk. Aber bald fühlt sich Portugal doch beunruhigt und ersucht, die Grenzlinie möge noch ein wenig nach Westen verschoben werden. Dies geschieht im Vertrage von Tordesillas am 7. Juni 1494, der die Grenzlinie um zweihundertsiebzig leguas weiter nach Westen legt (wodurch Portugal späterhin tatsächlich das damals noch gar nicht entdeckte Brasilien zufallen wird).

      So grotesk auf den ersten Blick eine Generosität auch anmuten mag, welche beinahe die ganze Welt mit einem einzigen Federstrich an zwei einzelne Nationen ohne Rücksicht auf die andern verschenkt – man muß doch diese friedliche Lösung als einen der seltenen Vernunftakte der Geschichte bewundern, wo ein Konflikt statt durch Gewalt vermittels friedlicher Einigung ausgetragen wurde. Für Jahre und Jahrzehnte ist jeder Kolonialkrieg zwischen Spanien und Portugal durch den Tordesillas-Vertrag tatsächlich vermieden worden, obzwar die Lösung von vorneweg eine provisorische bleiben mußte. Denn wenn man mit dem Messer einen Apfel ganz durchschneidet, muß die Schnittlinie auch auf der andern, unsichtbaren Fläche zutage treten. Innerhalb welcher Hälfte aber liegen nun die vielgesuchten, die kostbaren Gewürzinseln? Östlich oder westlich der Schnittlinie auf der andern Hemisphäre? Auf der Seite Portugals oder auf der Seite Spaniens? Das können in diesem Augenblicke weder der Papst noch die Könige noch die Gelehrten voraussagen, weil noch niemand das Rund der Erde ausgemessen hat und die Kirche ihrerseits die Kugelform des Kosmos um keinen Preis öffentlich anerkennen will. Aber bis zur endgültigen Entscheidung haben beide Nationen reichlich zu tun, um die ungeheuren Brocken hinunterzuschlingen, die ihnen das Schicksal hingeworfen: dem einen kleinen Spanien das riesige Amerika und dem einen winzigen Portugal ganz Indien und Afrika.

      Die glückhafte Tat des Columbus erweckt in Europa zuerst maßloses Erstaunen. Dann aber bricht ein Rausch von Abenteuer- und Entdeckerlust aus, wie ihn unsere alte Welt nie gekannt: immer entwächst ja dem Erfolg eines einzelnen mutigen Mannes Eifer und Mut für ein ganzes Geschlecht. Alles, was in Europa unzufrieden ist mit seinem Stand und seiner Stellung, jeder, der sich zurückgesetzt fühlt und zu ungeduldig ist, zu warten, die jüngeren Söhne, die unbeschäftigten Offiziere, die Bastarde der großen Herren und die dunklen Gesellen, die von der Justiz gesucht werden – alle wollen sie in die neue Welt. Die Fürsten, die Händler, die Spekulanten rüsten jeder an Schiffen aus, was sie nur aufbringen können, mit Gewalt muß man den Abenteurern und Reisläufern wehren, die mit dem Messer kämpfen, um als erste ins Goldland befördert zu werden; während Enrique noch Sündenablaß für alle Teilnehmer erbitten mußte, um die allernötigsten Matrosen an Bord zu bekommen, wandern jetzt ganze Dörfer zu den Häfen, und die Kapitäne, die Kauffahrer wissen sich nicht mehr zu retten vor dem Andrang. Eine Expedition folgt der andern, und wirklich, als wäre eine Nebelwand plötzlich gesunken, tauchen jetzt überall im Norden, im Süden, im Osten, im Westen neue Inseln, neue Länder auf, die einen in Eis starrend, die andern mit Palmen bestanden; innerhalb von zwei, von drei Jahrzehnten entdecken die paar hundert kleinen Schiffe, die von Cadiz, Palos, Lissabon abstoßen, mehr Welt und mehr unbekannte Welt als vordem die ganze Menschheit

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