Marie Antoinette. Stefan Zweig

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Marie Antoinette - Stefan Zweig

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sich ausführliche Erörterungen der heiklen Angelegenheit; der eifrigste unter ihnen, Graf Aranda, der spanische Gesandte, läßt sogar die Laken des königlichen Bettes durch bestochene Dienstleute untersuchen, um jenem physiologischen Ereignis nur möglichst genau auf die Spur zu kommen. Überall in ganz Europa lachen und spotten Fürsten und Könige brieflich und mündlich über ihren ungeschickten Standesgenossen; nicht nur in Versailles, sondern in ganz Paris und Frankreich ist die eheliche Blamage des Königs das Geheimnis Polichinells. Sie wird in allen Straßen besprochen, sie flattert als Libell von Hand zu Hand, und bei der Ernennung des Ministers Maurepas zirkuliert zur allgemeinen Erheiterung das muntere Couplet:

      Maurepas était impuissant,

      Le Roi l'a rendu plus puissant.

      Le Ministre reconnaissant

      Dit: Pour vous, Sire,

      Ce que je désire,

      D'en faire autant.

      Aber was spaßhaft klingt, hat in Wahrheit schicksalshafte und gefährliche Bedeutung. Denn diese sieben Jahre des Versagens bestimmen seelisch den Charakter des Königs und der Königin und führen zu politischen Folgerungen, die ohne Kenntnis dieses Faktums unverständlich wären: das Schicksal einer Ehe verbindet sich hier dem Weltgeschick.

      Unverständlich bliebe vor allem die seelische Einstellung Ludwigs XVI. ohne Kenntnis jenes intimen Defekts. Denn mit geradezu klinischer Deutlichkeit zeigt sein menschlicher Habitus alle typischen Merkmale eines aus männlicher Schwäche stammenden Minderwertigkeitsgefühls. Weil im privaten, so fehlt diesem Gehemmten auch im öffentlichen Leben jede Kraft zu schöpferischer Tat. Er versteht nicht aufzutreten, er weiß keinen Willen zu zeigen und noch weniger ihn durchzusetzen; linkisch und scheu flüchtet der heimlich Beschämte vor jeder höfischen Geselligkeit und besonders vor dem Umgang mit Frauen, denn er weiß, dieser im Grunde biedere, rechtschaffene Mann, daß sein Mißgeschick jedem am Hofe bekannt ist, und das ironische Lächeln der Eingeweihten verschreckt sein ganzes Gehaben. Manchmal versucht er, sich gewaltsam eine gewisse Autorität zu geben, einen Schein von Männlichkeit. Aber dann greift er immer eine Stufe zu hoch, wird grob, brüsk und brutal, typische Flucht in eine Geste der Kraftmeierei, die ihm niemand glaubt. Nie aber gelingt ihm ein freies, natürliches, selbstbewußtes Auftreten, und am wenigsten das majestätische. Weil er im Schlafgemach nicht den Mann, versteht er vor den anderen nicht den König zu spielen.

      Daß dabei seine persönlichen Neigungen die allermännlichsten sind, die Jagd und körperliche Schwerarbeit er hat sich eine eigene Schmiedewerkstätte eingerichtet, seine Drehbank ist noch heute zu sehen –, widerspricht keineswegs dem klinischen Bild, sondern bestätigt es nur. Denn gerade, wer nicht Mann ist, liebt unbewußt den Männlichen zu spielen, gerade der heimlich Schwache trumpft gern vor den Menschen mit Stärke auf. Wenn er auf dampfendem Pferd stundenlang dem Eber nachjagt und durch die Wälder reitet, wenn er am Amboß seine Muskeln bis zur Müdigkeit erschöpft, so kompensiert da ein Kraftbewußtsein der rein körperhaften Stärke wohltuend die heimliche Schwäche: als Hephaistos fühlt sich wohl, wer den Dienst der Venus schlecht versieht. Aber kaum zieht Ludwig die Galauniform an und tritt unter die Höflinge, da spürt er, daß diese Kraft nur eine der Muskeln, nicht eine des Herzens ist, und sofort wird er verlegen. Selten sieht man ihn lachen, selten ihn wirklich glücklich und vergnügt.

      Am gefährlichsten aber wirkt sich dieses geheime Schwächegefühl charakterologisch im seelischen Verhältnis zu seiner Frau aus. Vieles an ihrem Verhalten widerstrebt seinem persönlichen Geschmack. Er mag ihre Gesellschaften nicht, ihn ärgern der ständige laute Vergnügungstrubel, ihre Verschwendung, ihre unköniglichen Frivolitäten. Ein wirklicher Mann wüßte da schleunig Abhilfe zu schaffen. Aber wie kann ein Mann vor einer Frau, die ihn allnächtlich beschämt, hilflos und als lächerlichen Versager erlebt, bei Tage den Herrn spielen? Weil männlich machtlos, bleibt Ludwig XVI. gegen seine Frau völlig wehrlos; im Gegenteil, je länger sein beschämender Zustand dauert, um so kläglicher gerät er in völlige Abhängigkeit, ja Hörigkeit. Sie kann von ihm verlangen, was sie will, immer wieder kauft er sich mit völlig schrankenloser Nachgiebigkeit von seinem geheimen Schuldgefühl los. Herrisch in ihr Leben einzugreifen, ihre offensichtlichen Torheiten zu verhindern, dazu fehlt ihm die Willenskraft, die im letzten nichts anderes darstellt als den seelischen Ausdruck der körperlichen Potenz. Verzweifelt sehen die Minister, sieht die kaiserliche Mutter, sieht der ganze Hof, wie durch diese tragische Ohnmacht alle Macht in die Hände einer jungen wirbligen Frau gerät, die sie leichtfertig verzettelt. Aber ein Kräfteparallelogramm, in einer Ehe einmal bestimmt, bleibt erfahrungsgemäß als seelische Konstellation unabänderlich. Selbst als Ludwig XVI. wirklicher Gatte und Vater von Kindern wird, ist er, der Herr Frankreichs sein sollte, weiterhin der willenlose Knecht Marie Antoinettes, einzig weil er nicht rechtzeitig ihr Mann gewesen ist.

      Nicht minder verhängnisvoll beeinflußt das sexuelle Versagen Ludwigs XVI. die seelische Entwicklung Marie Antoinettes. Gemäß der Gegensätzlichkeit der Geschlechter bringt ein und dieselbe Störung im männlichen und weiblichen Charakter genau gegensätzliche Erscheinungen hervor. Wo bei einem Mann die sexuelle Schlagkraft Störungen unterliegt, entsteht Gehemmtheit und Unsicherheit; wo der Frau die passive Hingabebereitschaft nichts hilft, muß zwanghaft Überreiztheit und Hemmungslosigkeit, eine flackrige Überlebendigkeit zutage treten. Von Natur aus ist Marie Antoinette eigentlich vollkommen normal, eine weibliche, eine zärtliche Frau, zu vielfacher Mutterschaft bestimmt, wahrscheinlich nur darauf wartend, sich einem wirklichen Manne zu fügen. Aber das Verhängnis will, daß gerade sie, die Empfindungsfähige und Empfindungswillige, in eine abnorme Ehe, daß sie an einen Nicht-Mann gerät. Allerdings, sie ist erst fünfzehnjährig zur Zeit der Eheschließung; an und für sich müßte da das ärgerliche Versagen ihres Mannes sich noch nicht als seelische Belastung äußern; denn wer dürfte diese Tatsache schon physiologisch unnatürlich nennen, daß ein Mädchen bis zum zweiundzwanzigsten Jahre jungfräulich bleibt! Was aber in diesem besondern Falle die Erschütterung und gefährliche Überhitzung ihres Nervenzustandes verursacht, ist, daß der von Staats wegen ihr zugeteilte Gatte sie diese sieben pseudoehelichen Jahre nicht im Zustande unbefangener und unberührter Keuschheit verbringen läßt, sondern daß in zweitausend Nächten sich an ihrem jungen Körper ein tölpischer und gehemmter Mann unablässig abmüht. Jahre hindurch wird ihre Sexualität fruchtlos in dieser unbefreienden, beschämenden und erniedrigenden Weise ohne eine einzige Erfüllung gereizt und gereizt. So bedarf es keines Nervenarztes, um festzustellen, daß ihre so verhängnisvolle Überlebendigkeit, dieses ewige Hin und Her und Niezufriedensein, dieses fahrige Jagen von Vergnügung zu Vergnügung, geradezu klinisch-typische Folgen jener ständigen sexuellen Aufreizung und sexuellen Unbefriedigtheit durch ihren Gatten darstellen. Weil nicht im tiefsten bewegt und beruhigt, muß die nach sieben Ehejahren noch immer nicht eroberte Frau ständig Bewegung und Unruhe um sich haben, und allmählich wird, was anfangs bloß kindisch muntere Verspieltheit gewesen, zu einer krampfigen, krankhaften und vom ganzen Hof als skandalös empfundenen Vergnügungswut, gegen die Maria Theresia und alle Freunde vergebens anzukämpfen suchen. Wie sich beim König die unerlöste Männlichkeit in grobe Schmiedearbeit und Jagdleidenschaft, in dumpfe und ermüdende Muskelanstrengung umsetzt, so flüchtet bei ihr die falsch eingesetzte und unverwertete Gefühlskraft in zärtliche Freundschaft zu Frauen, in Koketterieen mit jungen Kavalieren, in Putzsucht und ähnliche unzulängliche Temperamentsbefriedigungen. Nächte um Nächte meidet sie das eheliche Bett, den traurigen Ort ihrer weiblichen Erniedrigung, und treibt sich, während ihr Gatte und Nicht-Gatte seine Jagdmüdigkeit breit ausschläft, bis vier Uhr, fünf Uhr morgens auf Opernredouten, in Spielsälen, bei Soupers und in zweifelhafter Gesellschaft herum, sich wärmend an fremden Feuern, unwürdige Königin, weil an einen unwerten Gatten geraten. Daß aber diese Frivolität eigentlich freudlos ist, ein bloßes Übertanzen und Überamüsieren einer inneren Enttäuschtheit, das verrät mancher Augenblick zorniger Melancholie und am stärksten einmal ihr Schrei, als ihre Verwandte, die Herzogin von Chartres, zuerst ein totes Kind zur Welt bringt. Da schreibt sie an ihre Mutter: »So furchtbar das auch sein muß, ich wollte, ich hielte wenigstens so weit.« Lieber ein totes Kind, aber nur ein Kind! Nur endlich aus diesem zerstörenden, unwürdigen

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