Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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allerliebst. Tanja stand da wie eine Erwachsene und gab auf die Kleinen acht. Aber die Kleinste, Lilly, war geradezu entzückend in ihrem kindlichen Staunen über alles, und es war schwer, ein Lächeln zu unterdrücken, als sie nach Empfang des Abendmahls sagte: »Please, some more.«

      Bei der Heimfahrt hatten die Kinder das Gefühl, daß etwas Feierliches vor sich gegangen sei, und verhielten sich sehr ruhig und artig.

      Auch zu Hause ging zunächst alles gut. Aber beim Frühstück fing Grigori an zu pfeifen, und was das Schlimmste war, er gehorchte der Engländerin nicht; diese teilte ihm daher nichts von der süßen Pastete zu. Darja Alexandrowna hätte es an einem solchen Tage nicht bis zu einer Bestrafung kommen lassen, wenn sie zugegen gewesen wäre; aber sie mußte die Anordnung der Engländerin aufrechterhalten, und so bestätigte sie denn deren Urteil, daß Grigori keine Pastete bekommen solle. Dies brachte in die allgemeine Freude eine kleine Störung.

      Grigori weinte und sagte, Nikolai habe auch gepfiffen, und der werde nicht bestraft; und er weinte nicht um die Pastete, das sei ihm ganz egal, sondern weil sie ungerecht gegen ihn seien. Das war nun doch gar zu traurig, und Darja Alexandrowna beschloß, mit der Engländerin über den Fall Rücksprache zu nehmen und dann dem kleinen Grigori zu verzeihen. Sie wollte sich daher zu ihr begeben; aber als sie dabei durch den Saal ging, erblickte sie eine Szene, die ihr Herz mit solcher Freude erfüllte, daß ihr die Tränen in die Augen traten und sie dem Übeltäter ohne weiteres selbst verzieh.

      Der Bestrafte saß im Saale auf dem Fensterbrett des Eckfensters; vor ihm stand Tanja mit einem Teller. Unter dem Vorwande, daß sie gern ihren Puppen etwas zu essen bringen möchte, hatte sie sich von der Engländerin die Erlaubnis erbeten, ihre Pastete nach dem Kinderzimmer zu tragen, und hatte sie statt dessen ihrem Bruder gebracht. Während er fortfuhr, über die Ungerechtigkeit der erlittenen Strafe zu weinen, aß er von der Pastete, die ihm Tanja gebracht hatte, und sagte unter Schluchzen: »Iß du auch mit; wir wollen zusammen essen ... beide zusammen.«

      Auf Tanja wirkte zunächst das Mitleid mit Grigori, dann auch das Bewußtsein ihrer tugendhaften Tat; beides trieb auch ihr die Tränen in die Augen; aber sie aß, ohne sich zu weigern, ihren Teil.

      Beim Anblick der Mutter erschraken sie; aber als sie ihr ins Gesicht sahen, merkten sie, daß ihr Tun günstig aufgefaßt werde, fingen an zu lachen, wischten sich, den Mund noch immer voll Pastete, die lächelnden Lippen mit den Händen ab und beschmierten dabei ihre strahlenden Gesichter über und über mit Tränen und Eingemachtem.

      »Um Gottes willen! Das neue weiße Kleid! Tanja! Grigori!« rief die Mutter, bemüht, das Kleid zu retten; aber sie lächelte glückselig und entzückt mit Tränen in den Augen.

      Sie ließ den Kindern die neuen Kleider ausziehen, den Mädchen Blusen, den Knaben alte Jäckchen anziehen und den Wagen anspannen (und zwar zum Verdruß des Verwalters wieder mit dem Braunen in der Gabeldeichsel), um mit den Kindern zum Pilzesuchen und nach dem Badehäuschen zu fahren. Ein kreischendes Jubelgeschrei erhob sich im Kinderzimmer und dauerte bis zur Abfahrt fort.

      Es wurde ein ganzer Korb voll Pilze gesammelt; sogar Lilly fand einen Birkenpilz. Früher pflegte es dabei so zuzugehen, daß Miß Hull einen Pilz fand und ihn ihr dann zeigte; aber jetzt hatte sie selbst einen großen Birkenpilz gefunden, und es gab ein allgemeines Jubelgeschrei: »Lilly hat einen Birkenpilz gefunden.«

      Dann fuhren sie zum Flusse; die Pferde wurden unter die Birken gestellt, und man ging in das Badehäuschen. Der Kutscher Terenti band die Pferde, die sich mit den Schweifen die Bremsen davonscheuchten, an einen Baum, legte sich, das hohe Gras plattdrückend, im Schatten einer Birke nieder und rauchte seinen Bauerntabak; das fröhliche Kreischen der Kinder tönte aus dem Badehäuschen, ohne auch nur einen Augenblick zu verstummen, zu ihm herüber.

      Obgleich es viel Mühe machte, alle Kinder zu beaufsichtigen und ihren Mutwillen zu zügeln, und obgleich es eine schwere Aufgabe war, alle diese zu den verschiedenen Beinen gehörigen Strümpfchen, Höschen und Schuhchen im Kopf zu behalten und nicht zu verwechseln, alle die Bändchen und Knöpfchen aufzubinden und aufzuknöpfen, so war doch für Darja Alexandrowna, die selbst immer gern gebadet hatte und es für sehr zuträglich für die Kinder hielt, nichts ein so großer Genuß wie dieses Baden mit allen Kindern zusammen. Alle diese dicken Beinchen anzufassen, indem sie ihnen die Strümpfe auszog, diese nackten Körperchen auf die Arme zu nehmen und ins Wasser zu tauchen und ihr bald fröhliches, bald erschrockenes Kreischen zu hören und diese atemlosen Gesichter mit den weit offenen, ängstlichen, lustigen Augen und alle ihre munter umherspritzenden kleinen Engelchen zu sehen, das war für sie der größte Genuß.

      Als schon die Hälfte der Kinder wieder angekleidet war, kamen einige Bauernweiber in ihrem Sonntagsstaat, die ausgegangen waren, um Bärenklau und Bibernell zu suchen, zu dem Badehäuschen und blieben schüchtern an der Tür stehen. Matrona Filimonowna hatte eine von ihnen herbeigerufen, um ihr ein Laken und ein Hemdchen, die ins Wasser gefallen waren, zum Trocknen zu geben, und Darja Alexandrowna ließ sich nun mit den Weibern in ein Gespräch ein. Die Weiber, die anfangs die Fragen nicht verstanden und in die vor den Mund gehaltene Hand hineinlachten, wurden bald dreister und fingen an zu reden; von vornherein gewannen sie Darja Alexandrownas Gunst dadurch, daß sie ihr aufrichtiges Entzücken über die Kinder aussprachen.

      »Sieh mal, du nettes Mädel, du bist ja weiß wie Zucker«, sagte die eine, indem sie Tanja bewundernd betrachtete und den Kopf hin und her wiegte. »Aber mager, mager ...«

      »Ja, sie ist krank gewesen.«

      »Na so was, das Würmchen haben sie auch gebadet«, sagte eine andere mit Bezug auf den Säugling.

      »Nein, die ist nicht mit gebadet; sie ist erst drei Monate alt«, antwortete Darja Alexandrowna stolz.

      »Ei, sieh mal an!«

      »Hast du auch Kinder?«

      »Ich habe vier gehabt; zwei sind mir davon am Leben geblieben, ein Knabe und ein Mädchen. Vor den Fasten habe ich das Mädchen entwöhnt.«

      »Wie alt ist sie denn?«

      »Im zweiten Jahr.«

      »Warum hast du sie denn so lange genährt?«

      »Das ist bei uns so üblich: drei Fastenzeiten ...«

      Und nun wurde das Gespräch für Darja Alexandrowna sehr interessant: wie es mit der Entbindung gegangen sei, was für Krankheiten das Kind durchgemacht habe, wo der Mann sei, ob er viel zu Hause sei.

      Darja Alexandrowna mochte sich von den Weibern gar nicht trennen, so lebhaft interessierte sie das Gespräch mit ihnen, so völlig stimmten die beiderseitigen Interessen überein. Am meisten Vergnügen machte es ihr, daß sie deutlich sah, wie sie von all diesen Frauen besonders deswegen angestaunt und bewundert wurde, weil sie so viele und so hübsche Kinder hatte. Auch brachten die Weiber Darja Alexandrowna durch ihr Erstaunen über die Engländerin zum Lachen, während diese sich gekränkt fühlte, weil sie sah, daß man über sie lachte, ohne daß sie den Grund begriff. Eine der jungen Frauen nämlich beobachtete die Engländerin, die sich zuletzt nach den andern wieder ankleidete, und als diese sich nun schon den dritten Unterrock anzog, konnte sich die Bauernfrau einer Bemerkung nicht enthalten: »Seht mal bloß, sie zieht sich einen Rock nach dem andern an, immer mehr, und wird nie fertig!« sagte sie, und alle brachen in lautes Gelächter aus.

      9

      Umgeben von all ihren frisch gebadeten Kindern mit den nassen Köpfen, war Darja Alexandrowna, die sich ein Tuch um den Kopf gebunden hatte, bei der Heimfahrt schon nicht mehr weit von ihrem Hause

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