Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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»Und da ist seine Frau«, fügte sie hinzu und zeigte auf Anna Pawlowna, die, wie mit Absicht, gerade in dem Augenblicke, als sie näher kamen, ihrem kleinen Kinde nacheilte, das auf einem Steige davonlief.

      »Wie jammervoll er aussieht, und was für ein liebes, gutes Gesicht er hat!« sagte der Fürst. »Warum bist du nicht zu ihm hingegangen? Er schien dir etwas sagen zu wollen.«

      »Nun, dann wollen wir hingehen!« versetzte Kitty und wandte sich entschlossen um. »Wie steht es heute mit Ihrem Befinden?« fragte sie den Kranken. Petrow stand, sich auf seinen Stock stützend, auf und blickte den Fürsten schüchtern an.

      »Das ist meine Tochter«, sagte der Fürst. »Gestatten Sie mir, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

      Der Maler verbeugte sich und lächelte, wobei seine weißen, sonderbar glänzenden Zähne sichtbar wurden.

      »Wir haben Sie gestern erwartet, Prinzessin«, sagte er zu Kitty.

      Er wankte, als er das sagte, und suchte dann durch eine Wiederholung dieser Bewegung den Anschein zu erwecken, als hätte er sie auch zuerst absichtlich gemacht.

      »Ich wollte kommen; aber Warjenka sagte mir, Anna Pawlowna lasse bestellen, daß Sie die Spazierfahrt aufgegeben hätten.«

      »Wie denn aufgegeben!« versetzte Petrow, der ganz rot im Gesicht wurde und sofort zu husten begann. Er suchte mit den Augen seine Frau. »Anna, Anna!« rief er laut, und an seinem dünnen, weißen Halse traten dicke Adern wie Stricke hervor.

      Anna Pawlowna kam herbei.

      »Wie konntest du der Prinzessin sagen lassen, wir würden nicht ausfahren?« flüsterte er ihr, stimmlos geworden, mit gereiztem Wesen zu.

      »Guten Morgen, Prinzessin!« sagte Anna Pawlowna mit einem gemachten Lächeln, das von ihrem früheren Benehmen so grundverschieden war. »Es ist mir sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen«, wandte sie sich zu dem Fürsten. »Sie wurden schon lange hier erwartet, Fürst.«

      »Wie konntest du der Prinzessin sagen lassen, wir würden nicht ausfahren?« flüsterte der Maler noch einmal heiser und in noch zornigerem Tone; seine Erregung war offenbar dadurch noch gesteigert worden, daß ihm die Stimme versagte und er dem, was er sagen wollte, nicht den gewünschten Ausdruck zu geben vermochte.

      »Mein Gott! Ich dachte, wir würden nicht fahren«, antwortete die Frau ärgerlich.

      »Wie konntest du das denken, da ich doch ...« Er kam ins Husten hinein und machte eine still ergebene Bewegung mit der Hand, daß er nicht weiterreden könne.

      Der Fürst lüftete den Hut und ging mit seiner Tochter weiter.

      »Oh, oh! Diese Unglücklichen!« sagte er schwer seufzend.

      »Ja, Papa«, erwiderte Kitty. »Und dabei mußt du wissen, daß sie drei Kinder haben und keinen Dienstboten und so gut wie gar keine Mittel. Er bekommt eine kleine Summe von der Akademie«, erzählte sie lebhaft und suchte dadurch ihre Erregung über Anna Pawlownas so sonderbar ihr gegenüber verändertes Benehmen zu übertäuben. – »Und da ist ja auch Madame Stahl«, sagte Kitty und zeigte auf einen Rollstuhl, auf dem, von Kissen umgeben, in ein grau und blaues Tuch gehüllt, unter einem Sonnenschirme etwas lag. Es war Frau Stahl. Hinter ihr stand ein kräftiger deutscher Dienstmann mit mürrischer Miene, der den Rollstuhl schob. Neben ihr stand ein blonder schwedischer Graf, den Kitty nur dem Namen nach kannte. Mehrere Kranke waren in einiger Entfernung von dem Rollstuhl stehengeblieben und blickten nach dieser Dame wie nach einer außerordentlichen Erscheinung hin. Der Fürst ging auf sie zu, und sogleich bemerkte Kitty wieder in seinen Augen das spöttische Aufleuchten, das ihr so befremdend war. Er trat an Madame Stahl heran und redete sie in jenem ausgezeichneten Französisch, das heutzutage nicht mehr viele zu sprechen verstehen, mit vollendeter Höflichkeit und Liebenswürdigkeit an.

      »Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner noch erinnern; aber ich muß mich Ihnen ins Gedächtnis zurückrufen, um Ihnen für die Güte, die Sie meiner Tochter erwiesen haben, zu danken«, sagte er, wobei er den Hut ab genommen hatte und nicht wieder aufsetzte.

      »Fürst Alexander Schtscherbazki«, antwortete Madame Stahl und hob ihre himmlischen Augen zu ihm in die Höhe, in denen Kitty aber einen gewissen Ausdruck von Mißvergnügen zu bemerken glaubte. »Ich freue mich sehr. Ich habe Ihre Tochter so sehr liebgewonnen.«

      »Ihr Befinden ist noch immer nicht nach Wunsch?«

      »Ach, daran bin ich schon gewöhnt«, erwiderte Madame Stahl und stellte den Fürsten und den schwedischen Grafen einander vor.

      »Sie haben sich sehr wenig verändert«, sagte der Fürst zu ihr. »Ich habe seit zehn oder elf Jahren nicht die Ehre gehabt, Sie zu sehen.«

      »Ja, Gott legt uns das Kreuz auf, aber er verleiht uns auch die Kraft, es zu tragen. Man wundert sich oft, wozu sich dieses Leben so lange hinzieht ... Von der andern Seite!« wandte sie sich ärgerlich an Warjenka, die es ihr beim Einhüllen der Beine in ein Tuch nicht nach Wunsch machte.

      »Doch gewiß, damit Sie noch viel Gutes tun können«, versetzte der Fürst; seine Augen lachten.

      »Darüber zu urteilen, steht uns nicht zu«, erwiderte Frau Stahl, der die leise Färbung in dem Gesichtsausdruck des Fürsten nicht entgangen war. »Also Sie werden mir dieses Buch schicken, lieber Graf? Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür«, wandte sie sich an den jungen Schweden.

      »Ah!« rief der Fürst, als er den Moskauer Obersten erblickte, der in ihrer Nähe stand. Er verbeugte sich vor Frau Stahl, trat mit seiner Tochter von ihr zurück und ging mit dem Obersten, der sich ihnen anschloß, weiter.

      »Das ist nun unsere Aristokratie, Fürst!« bemerkte in dem Wunsche, sarkastisch zu sein, der Moskauer Oberst, der über Frau Stahl scharf urteilte, weil er nicht zu ihren Bekannten gehörte.

      »Sie ist immer noch dieselbe«, antwortete der Fürst.

      »Sie haben sie wohl noch vor ihrer Krankheit gekannt, Fürst? Ich meine, bevor sie sich für die Dauer hingelegt hat?«

      »Ja. Ich besinne mich noch auf die näheren Umstände, als sie sich legte.«

      »Es heißt, sie stände seit zehn Jahren nicht mehr auf ...«

      »Sie steht nicht auf, weil sie sehr kurze Beine hat; sie ist recht schlecht gebaut ...«

      »Papa, das ist nicht möglich!« rief Kitty.

      »Böse Zungen wollen das behaupten, mein Herzchen. Und deine Warjenka hat auch bei ihr ein schweres Dasein«, fügte er hinzu. »Ja, ja, diese kranken Damen!«

      »O nein, Papa«, erwiderte Kitty eifrig. »Warjenka vergöttert sie. Und dann tut sie so viel Gutes! Da kannst du fragen, wen du willst! Sie und Aline Stahl sind überall bekannt.«

      »Das kann ja sein«, sagte er und drückte mit seinem Ellbogen ihren Arm. »Aber noch besser ist es, das Gute so zu tun, daß niemand, man mag fragen, wen man will, davon weiß.«

      Kitty schwieg; sie hätte wohl etwas zu erwidern gehabt; aber auch dem Vater mochte sie ihre geheimsten Gedanken nicht enthüllen. Aber seltsam: obwohl sie sich dagegen sträubte, sich der Ansicht ihres Vaters unterzuordnen und sie in ihr innerstes Heiligtum aufzunehmen, so fühlte sie doch, daß jenes gottähnliche Bild der Frau Stahl, das sie einen ganzen Monat lang in ihrer

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