Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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stehen und machte sich an das Wetzen. Tit wetzte seine eigene Sense und die Sense Ljewins, und dann gingen sie weiter.

      Bei diesem zweiten Angriff wiederholte sich derselbe Vorgang. Tit schritt, einen Hieb nach dem andern führend, dahin, ohne stehenzubleiben und ohne müde zu werden. Ljewin ging hinter ihm her und gab sich alle Mühe, nicht zurückzubleiben, und es wurde ihm immer schwerer und schwerer: es kam der Augenblick, wo er fühlte, daß er keine Kraft mehr hatte; aber gerade in diesem Augenblicke blieb Tit stehen und wetzte.

      So mähten sie die erste Reihe herunter. Diese lange Reihe hatte Ljewin besonders schwer gefunden. Aber dafür fühlte er sich auch sehr glücklich, als sie an das Ende der Reihe gelangt waren und Tit die Sense auf die Schulter nahm und langsamen Schrittes auf den Stapfen zurückging, die seine Stiefelhacken auf dem gemähten Streifen hinterlassen hatten, und er, Ljewin, ebenso auf dem von ihm gemähten Streifen zurückging. Und seine frohe Stimmung wurde auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß ihm der Schweiß nur so über das Gesicht strömte und von der Nase tropfte und sein ganzer Rücken so naß war, als wenn er im Wasser gelegen hätte. Namentlich freute er sich darüber, daß er jetzt wußte, er werde bis zu Ende aushalten können.

      Getrübt wurde sein Vergnügen nur dadurch, daß seine Reihe nicht gut ausgefallen war. ›Ich will weniger mit dem Arm schwingen und mehr mit dem ganzen Oberkörper‹, dachte er, als er Tits schnurgerade gemähte Reihe mit seiner eigenen zackig und ungleichmäßig daliegenden Reihe verglich.

      Bei der ersten Reihe war Tit, wie Ljewin bemerkte, besonders schnell vorwärts gegangen, wohl um den Herrn auf die Probe zu stellen, und diese Reihe war gerade besonders lang gewesen. Die folgenden Reihen wurden Ljewin schon leichter; aber er mußte trotzdem alle seine Kräfte anspannen, um nicht hinter den Bauern zurückzubleiben.

      Er hatte keinen andern Gedanken und keinen anderen Wunsch, als nicht hinter den Bauern zurückzubleiben und die Arbeit so gut wie möglich auszuführen. Er hörte nichts als das Zischen der Sensen und sah nur vor sich die gerade aufgerichtete, von ihm wegschreitende Gestalt Tits, den ausgebuchteten Halbkreis, den der Sensenhieb auf der Wiese bildete, die langsam und wellenartig sich neigenden Gräser und Blumenköpfchen an der Schneide seiner Sense und in einiger Entfernung das Ende der Reihe, wo die Ruhepause eintreten würde.

      Ohne sich Rechenschaft geben zu können, was das war und woher es kam, empfand er auf einmal mitten in der Arbeit ein angenehmes Gefühl von Kühle an seinen heißen, schweißbedeckten Gliedern. Er blickte nach dem Himmel hinauf, während seine Sense gewetzt wurde. Eine tief herabhängende, schwere Wolke war herbeigezogen und schickte einen tüchtigen Regen herab. Manche von den Bauern gingen zu ihren Röcken hin und zogen sie an; andere regten gerade wie Ljewin nur erfreut die Schultern bei der angenehmen Erfrischung.

      Eine Reihe nach der andern legten sie so zurück. Lange und kurze Reihen folgten aufeinander, mit gutem und mit schlechtem Grase. Ljewin hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren und wußte schlechterdings nicht, ob es jetzt spät oder früh war. In seiner Arbeit vollzog sich jetzt eine Veränderung, die ihm einen außerordentlichen Genuß gewährte. Mitten in der Arbeit kamen ihm Minuten, in denen er vollständig vergaß, was er tat; er fühlte sich so leicht, und gerade in solchen Minuten fiel seine Reihe fast ebenso schön und gleichmäßig aus wie die Reihe Tits. Aber sobald er sich wieder dessen bewußt wurde, was er tat, und anfing, sich Mühe zu geben, um es recht gut zu machen, empfand er sofort den ganzen schweren Druck der Arbeit, und die Reihe fiel schlecht aus.

      Als er so wieder einmal eine Reihe hinter sich gebracht hatte, wollte er die folgende in Angriff nehmen; aber Tit blieb stehen, trat an den Alten heran und sprach leise etwas mit ihm. Beide blickten nach der Sonne. ›Wovon mögen sie wohl reden, und warum macht er sich nicht an die nächste Reihe?‹ dachte Ljewin, ohne darauf zu verfallen, daß die Bauern bereits ohne Unterbrechung nicht weniger als vier Stunden gemäht hatten und nun ihre Frühstückszeit da war.

      »Nun wollen wir frühstücken, Herr!« sagte der Alte.

      »Ist es denn schon Zeit? Na schön, dann tut das!«

      Ljewin übergab Tit seine Sense und ging mit den Bauern, die zu ihren Röcken gingen, um ihr Brot herauszuholen, über die leicht vom Regen übersprühten Schwaden der langen abgemähten Fläche zu seinem Pferde. Erst jetzt wurde er sich darüber klar, daß seine Wettervoraussage falsch gewesen war und der Regen ihm sein Heu naß gemacht hatte.

      »Der Regen wird das Heu verderben«, sagte er.

      »Nein, Herr, der schadet nicht«, erwiderte der Alte. »Mähe, wenn der Himmel weint; harke, wenn die Sonne scheint.«

      Ljewin band das Pferd los und ritt nach Hause, um Kaffee zu trinken.

      Sergei Iwanowitsch war soeben aufgestanden. Nachdem Ljewin Kaffee getrunken hatte, ritt er gleich wieder nach der Wiese hinaus, noch ehe Sergei Iwanowitsch mit seiner Toilette fertig geworden und ins Eßzimmer gekommen war.

      5

      Nach dem Frühstück erhielt Ljewin in der Reihe der Mäher seinen Platz nicht mehr an der früheren Stelle, sondern zwischen jenem spaßliebenden Alten, der ihn gleich anfangs ermahnt und jetzt aufgefordert hatte, sein Nebenmann zu werden, und einem jungen Bauern, der sich erst im Herbst verheiratet hatte und für den dies der erste Sommer war, wo er an der Heuernte teilnahm.

      Der Alte schritt in gerader Haltung voraus; gleichmäßig und breit setzte er die etwas auswärts gedrehten Füße von einer Stelle auf die andere, und mit einer genauen, sich unverändert wiederholenden Bewegung, die ihn anscheinend nicht mehr Mühe kostete als das Schlenkern mit den Armen beim Gehen, legte er wie spielend einen gleichmäßigen, hohen Schwaden nieder. Es war nicht, als ob er arbeitete, sondern als ob die scharfe Sense ganz von selbst durch das saftige Gras zischte.

      Hinter Ljewin ging der junge Michail. In seinem hübschen, jugendlichen Gesichte, über dem er um die Haare ein aus frischem Grase gedrehtes Seil gebunden hatte, arbeiteten alle Muskeln vor Anstrengung mit; aber sobald man ihn ansah, lächelte er. Er war augenscheinlich bereit, eher zu sterben, als daß er zugestanden hätte, daß ihm die Arbeit schwerfalle.

      Ljewin ging zwischen den beiden. Gerade in der größten Hitze erschien ihm das Mähen nicht so anstrengend. Der Schweiß, der an ihm herunterfloß, kühlte ihn ab, und die Sonne, die ihm auf dem Rücken, dem Kopfe und den bis zum Ellbogen entblößten Armen brannte, verlieh ihm Kraft und Ausdauer bei der Arbeit; und immer häufiger stellte sich bei ihm jener mehrere Minuten währende bewußtlose Zustand ein, in dem er gar nicht an das dachte, was er tat. Die Sense mähte ganz von selbst. Das waren glückliche Augenblicke. Noch vergnüglicher waren die Augenblicke, wenn sie an den Fluß gelangten, auf den die Reihen stießen, und dann der Alte mit einem festen, nassen Grasbüschel die Sense abwischte, ihre stählerne Klinge in dem frischen Wasser das Flusses abspülte, den Wetzsteinköcher vollschöpfte und ihn Ljewin zum Trinken anbot.

      »Na, trink mal von meinem Kwaß! Der schmeckt! He?« sagte er mit den Augen zwinkernd.

      Und in der Tat hatte Ljewin noch nie ein Getränk mit solchem Genuß geschlürft wie dieses laue Wasser mit dem darin schwimmenden Grün und dem Rostgeschmack von der Blechdose. Und gleich darauf folgte das glückselige, langsame Dahinschlendern mit der Sense im Arm, wobei man sich den herabrinnenden Schweiß abtrocknen, aus vollster Brust Atem holen und die ganze, sich lang hinziehende Reihe der Mäher, und alles, was ringsum im Walde und auf dem Felde geschah, betrachten konnte.

      Je länger Ljewin mähte, um so häufiger wurden für ihn diese Zeiten der Selbstvergessenheit, wo nicht mehr die Hände die Sense schwangen, sondern die Sense selbst hinter sich den ganzen, von Bewußtsein und Leben erfüllten Körper bewegte und die Arbeit, ohne daß

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