Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova
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Читать онлайн книгу Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova страница 15
»Mein Mann hält uns entweder nicht für verliebt oder legt keinen Wert auf gewisse Kleinigkeiten, welche die Jugend sich gewöhnlich gestattet. Meine Mutter hat Geist und denkt sich vielleicht die Wahrheit; aber sie weiß, daß diese Sachen sie nichts mehr angehen. Meine Schwester muß alles wissen, denn wie hätte sie wohl das zusammengebrochene Bett vergessen können; aber sie ist klug und hat sich überdies darauf gelegt, mich zu beklagen. Sie hat keine Idee von der Natur meiner Empfindungen für dich. Ohne dich, mein Freund, wurde ich wahrscheinlich das Leben durchwandert haben, ohne von diesem Gefühle eine genaue Vorstellung zu erhalten, denn was ich für meinen Mann empfinde ... ich habe für ihn die Gefälligkeit, welche mein Stand mir auferlegt.«
»Er ist dennoch sehr glücklich, und ich beneide sein Glück! Er kann wenn er es wünscht, dein ganzes Wesen in seine Arme drücken; kein lästiger Schleier legt sich zwischen euch, um ihm einen Teil deiner Reize zu entziehen.«
»Wo bist du, teure Schlange? Komm und schütze mich vor ungeweihten Blicken, und ich werde augenblicklich die Wünsche meines Angebeteten erfüllen.«
Während des ganzen Morgens hörten wir nicht auf, uns zu sagen, daß wir uns liebten und uns wiederholte Beweise davon zu geben. Wir hatten ein feines Mittagessen, und während des ganzen Mittags überhäufte ich die liebenswürdige Cäcilia mit Aufmerksamkeiten. Meine niedliche Schildpattdose mit vortrefflichem Tabak gefüllt, wanderte oft um den Tisch herum. In einem Augenblicke, wo sie sich in den Händen Lucrezias befand, welche zu meiner Linken saß, sagte ihr Mann zu ihr, sie könnte meine Tabaksdose gegen ihren Ring eintauschen. Da ich glauben konnte, der Ring sei weniger wert als die Dose, so beeilte ich mich, ihr zu sagen, daß ich sie beim Worte fasse; der Ring war indes mehr wert. Donna Lucrezia wollte nicht Vernunft annehmen, sondern steckte die Dose in die Tasche, und ich mußte den Ring nehmen. Wir tranken den Kaffee, ich bezahlte den Wirt und wir verloren uns sodann in den Labyrinthen der Villa Aldobrandini. Wie viele süße Erinnerungen haben mir diese Orte hinterlassen! Mir schien es, als ob ich meine Lucrezia zum ersten Male sähe. Unsre Blicke waren flammend, unsre Herzen schlugen mit einem Schlage der zärtlichsten Sehnsucht und unser Instinkt leitete uns zu dem einsamsten Asyle, welches die Hand der Liebe geschaffen zu haben schien, um die Mysterien ihres Geheimkultes zu feiern. Hier erhob sich inmitten einer langen Allee und unter einem grünen Laubdache eine geräumige Rasenbank, welche an dichtes Gehölz gelehnt war; vor uns schweiften unsere Augen über eine unermeßliche Ebene und unsere Blicke übersahen die Allee zur Rechten und zur Linken in einer Ausdehnung, welche uns vor jeder Überraschung sicherte. Wir hatten nicht nötig miteinander zu sprechen; unsre Herzen verstanden sich. Ohne zu sprechen und einer vor dem andern stehend, entfernten wir mit geschickten Händen bald alle Hindernisse und gaben der Natur alle Reize zurück, welche die lästigen Hüllen ihr entziehen. Nach zwei Stunden wanderten wir langsamen Schrittes zu unserm Wagen zurück und erheiterten uns auf dem Wege durch die zärtlichsten Mitteilungen. Meine Lucrezia sagte mir, der Bräutigam ihrer Schwester sei reich und besitze ein schönes Haus in Tivoli; wahrscheinlich würde er uns daher einladen, eine Partie dahin zu machen und die Nacht daselbst zuzubringen.
»Ich beschwöre die Liebe«, fügte sie hinzu, »mir ein Mittel an die Hand zu geben, daß wir diese Nacht ebenso ungestört wie den heutigen glücklichen Tag verleben können.«
Hierauf einen traurigen Ton annehmend, sagte sie: »Die geistliche Angelegenheit, welche meinen Mann hierher geführt, ordnet sich leider sehr glücklich und ich fürchte, daß er die Sentenz sehr bald erhalten wird.«
Wir brauchten zur Rückfahrt in unserm Visavis zwei Stunden, und wir belästigten gewissermaßen die Natur, indem wir von ihr mehr forderten, als sie geben konnte. Bei unserer Ankunft waren wir genötigt, ehe noch das Drama, welches wir zur großen Befriedigung der Schauspieler gespielt, beendet war, den Vorhang fallen zu lassen. – Wir hatten noch einige Male Gelegenheit unsere Liebe zu kosten, aber nicht lange und ihr Gemahl erhielt das Urteil. Er kündigte mir unter vielen Freundschaftsbezeugungen seine Abreise auf den nächstnächsten Tag an. Ich brachte die beiden Abende bei Lucrezia und in der Familie zu, und am Tage der Abreise eilte ich ihnen voraus, um ihnen eine angenehme Überraschung zu verschaffen, und begab mich an den Ort, wo sie die Nacht zubringen mußten. Da aber der Advokat, durch verschiedene unvermutete Hindernisse zurückgehalten, erst vier Stunden später als er beabsichtigt, aufbrechen konnte, so kamen sie erst am folgenden Tage zum Mittagessen an. Nach dieser Mahlzeit sagten wir uns ein schmerzliches Lebewohl; sie setzten ihren Weg fort, und ich kehrte nach Rom zurück.
5
Bellino
Ich war im glücklichsten Schwunge meines Lebens: beliebt bei Seiner Eminenz, beliebt bei den Damen und Herren der hohen römischen Gesellschaft; es konnte mir jedermann die sicherste Laufbahn zu allen Würden voraussagen. Aber leider ist das Geschick unerbittlich. Die Tochter meines Lehrers, bei dem ich Französisch lernte, hatte mich gebeten, einige Nachrichten an ihren Geliebten zu übermitteln, von dem sie durch ihren überaus strengen Vater ferngehalten wurde. Ich tat's einige Male, wenn auch ungern, und dieser kleine Liebesdienst ließ das Mädchen in mir einen wohlwollenden Freund sehen. Das wurde verhängnisvoll für mich. Die beiden Liebenden hatten sich zur Flucht verabredet. In der Nacht aber, als sie zur Ausführung schritten, lauerten Sbirren dem Pärchen auf; sie faßten aber nur die alte Magd, während das Mädchen, in der Kleidung eines Abbés, sich in den spanischen Palast, in mein Zimmer rettete. Sie blieb die Nacht bei mir, und obwohl wir zusammen in einem Bett schliefen, erfuhr ich hier: das Mitleid vermag auch die ungestümste Begierde zum Schweigen zu bringen, trotz des Anblicks aller Reize, welche sie zum höchsten Grade der Erregung steigern können. Es gelang mir. das Mädchen am andern Morgen, auf die listigste Weise, ohne daß jemand etwas merkte, unter den Schutz des Kardinals zu bringen, der sich ihrer aufs freundlichste annahm und sie in ein Kloster bringen ließ. Aber es war bekannt geworden, daß ich mit ihr und dem Entführer, einem jungen Doktor, in Verbindung stand, und so vermutete jeder, ich habe an der Intrige teilgenommen. Es war eine Verleumdung, und so sichere Beweise ich dagegen brachte: man will nicht das wissen, was die Verleumdung zerstört, sondern das vielmehr, was sie befestigt, denn man liebt sie in der heiligen Stadt. Kurz, dadurch wurde mein weiterer Aufenthalt in Rom unmöglich, bei allem Wohlwollen mußte mir der Kardinal eröffnen, daß ich ihn und Rom verlassen müsse, als Zeichen seiner Achtung aber verspreche er mir, zu jedermann zu sagen, ich sei in einem wichtigen Auftrage verreist; ich konnte mir das Land aussuchen, wohin ich wollte, überallhin könne er mir die besten Empfehlungen mitgeben. Ich war so verärgert, daß ich Seiner Eminenz am andern Tag Konstantinopel angab, wohin ich geschickt sein wollte. Der Kardinal lächelte fein und ließ mir bei meiner Abreise einen Paß nach Venedig übergeben und einen versiegelten Brief an Osman Bonneval, Pascha von Karamanien, in Konstantinopel. Wenn ich auch allen die Adresse zeigte, es glaubte mir niemand, daß ich nach Konstantinopel ginge. Außerdem erhielt ich noch siebenhundert Zechinen, so daß ich mit etwa tausend im ganzen aufbrach, um meiner Vaterstadt zuzueilen. Als ich in Ankona anlangte, müde in einem Gasthause abstieg, wurde ich durch einen Disput mit dem Wirte mit einem Kastilianer Sancio Pico bekannt. Im Laufe des Gesprächs sagte er mir, wenn ich gute Musik hören wolle, möchte ich ihm ins benachbarte Zimmer folgen, wo die erste Sängerin wohne. Das Wort Sängerin interessiert mich, und ich folge ihm. Ich sehe an einem Tische eine Frau von einem gewissen Alter mit zwei jungen Mädchen und zwei Knaben sitzen, aber ich suche vergeblich die Sängerin, welche Don Sancio Pico mir vorstellt, indem er mir einen der beiden Knaben zeigt, der von entzückender Schönheit war und höchstens siebzehn Jahre alt sein konnte. Ich glaubte, es wäre ein Kastrat, der, wie in Rom, alle Funktionen einer ersten Sängerin versähe. Die Mutter stellte mir ihren anderen, ebenfalls sehr niedlichen Sohn vor, der männlicher war als der Kastrat, obwohl er jünger war, er hieß Petron. Dieser stellte in weiterer Fortsetzung der Umwandlung die erste Tänzerin vor. Das älteste der beiden Mädchen, welche mir die Mutter ebenfalls vorstellte, hieß Cäcilie und lernte die Musik, sie war noch sehr jung; ihre jüngere Schwester, namens Marina, war aber kräftiger als sie, und