Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova

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Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova

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verschieden dachten wir! Da ich aber in ihm die Weisheit achtete, welche mir fehlte, so gestattete ich mir keine indiskrete Frage mehr. Aber bei Tische konnten sich meine Augen nicht von diesem entzückenden Wesen losmachen, meine lasterhafte Natur fand eine süße Wollust darin, ihm ein Geschlecht beizulegen, dessen es für mich bedurfte. Nach einem lukullischen Mahle sang Bellino mit einer Stimme, welche geeignet war, uns um das bißchen Vernunft zu bringen, welches die vortrefflichen Weine uns noch gelassen hatten. Ihre Gesten, der Ausdruck ihres Blickes, ihre Manieren, ihr Auftreten, ihre Haltung, ihre Physiognomie, ihre Stimme und besonders mein Instinkt, der mir für einen Kastraten nicht das Gefühl eingeben konnte, welches ich für sie empfand, alles dies bestätigte meine Hoffnung; aber ich wollte mich doch mit meinen Augen vergewissern. Nach tausend Komplimenten und tausend Danksagungen verließen wir den prachtliebenden Spanier und begaben uns auf mein Zimmer, wo das Mysterium endlich enthüllt werden sollte. Ich forderte Bellino auf, sein Wort zu halten, oder ich würde am nächsten Tage allein abreisen. Ich nehme Bellino bei der Hand und wir setzen uns zusammen am Kamine nieder. Ich schicke Cäcilie und Marina weg und sage: »Bellino, alles hat ein Ende; Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben: die Sache wird bald abgemacht sein. Sind Sie das, was Sie sagen, so werde ich Sie bitten, auf Ihr Zimmer zu gehen; sind Sie das, was ich glaube, und wollen Sie bei mir bleiben, so gebe ich Ihnen morgen hundert Zechinen und wir reisen zusammen.«

      »Sie werden allein reisen und meiner Schwäche verzeihen, wenn ich Ihnen nicht Wort halten kann. Ich bin, was ich Ihnen gesagt, und kann mich nicht entschließen, Sie zum Zeugen meiner Schande zu machen, noch mich den schrecklichen Folgen aussetzen, welche diese Aufklärung haben könnte.«

      »Sie kann durchaus keine haben, denn sobald ich mich überzeugt, daß Sie das Unglück haben, das zu sein, was ich von Ihnen glaube, ist alles abgemacht, es wird keine Rede mehr davon sein, wir reisen morgen zusammen, und ich setze Sie in Rimini ab.«

      »Nein, ich bin fest entschlossen; ich kann Ihre Neugierde nicht befriedigen.«

      Als ich diese Antwort vernahm, wollte ich wieder Gewalt anwenden; im entscheidenden Augenblick stößt er mich weg, aber doch glaubte ich einen Mann erkannt zu haben. Voller Ekel und Bestürzung und beinahe über mich selbst errötend, schicke ich ihn weg. Seine Schwestern kommen zu mir, ich schicke sie weg mit dem Auftrage, ihrem Bruder zu sagen, daß er mit mir reisen könne und daß er meine Zudringlichkeit nicht mehr zu fürchten habe. Trotz der Überzeugung, welche ich erlangt zu haben glaubte, beschäftigte Bellino, wie ich ihn mir gedacht, noch immer meine Gedanken; ich wußte nicht, was ich denken sollte. Am folgenden Morgen reiste ich mit ihm ab, betrübt durch die Tränen der beiden reizenden Schwestern, und überschüttet mit den Segnungen der Mutter, welche mit dem Rosenkranze in der Hand das Paternoster betete. So war ich also unterwegs mit Bellino, der mich für enttäuscht hielt und nicht glauben konnte, daß ich noch neugierig auf ihn wäre; aber es dauerte nicht eine Viertelstunde, bis er sich überzeugte, daß er sich getäuscht; denn ich konnte meine Blicke nicht auf seinen schönen Augen ruhen lassen, ohne mich von einer Glut entzündet zu fühlen, welche der Anblick eines Mannes bei mir nicht hätte hervorbringen können.

      »Bellino«, sagte ich, »der Eindruck, den Sie auf mich machen, eine Art Magnetismus, der Venusbusen, welchen Sie meiner gierigen Hand preisgegeben haben, bekräftigen mich in der Überzeugung, daß Sie von anderem Geschlechte sind als ich. Erlauben Sie mir, mich davon zu überzeugen, und wenn ich mich nicht täusche, so rechnen Sie auf meine Liebe; wenn ich dagegen des Irrtums überführt werde, so rechnen Sie auf meine Freundschaft. Wenn Sie sich noch länger sträuben, so muß ich glauben, daß Sie ein grausames Studium daraus machen, mich zu quälen, und daß Sie ein ausgezeichneter Naturforscher sind und in den vermaledeitesten alten Schulen gelernt haben, daß das wahre Mittel, einem jungen Manne die Heilung von einer verliebten Leidenschaft unmöglich zu machen, darin besteht, ihn unaufhörlich zu reizen; Sie werden aber zugeben, daß Sie diese Tyrannei nur dann ausüben können, wenn Sie die Person, auf welche diese wirkt, hassen: und da die Sache sich so verhält, so müßte ich meine Vernunft zusammennehmen, um Sie ebenfalls zu hassen.«

      Ich sprach lang in diesem Tone weiter, ohne daß er ein Wort erwiderte, aber er sah sehr bewegt aus. Als ich ihm zuletzt sagte, daß ich in dem Zustande, in welchen mich sein Widerstreben gesetzt, genötigt sein würde, ihn ohne Schonung zu behandeln, um mir eine Gewißheit zu verschaffen, welche ich nur durch Gewalt erlangen könnte, erwiderte er mit Nachdruck: »Bedenken Sie, daß Sie nicht mein Herr sind, daß ich auf Treu und Glauben in Ihren Händen bin, und daß Sie sich eines Meuchelmordes schuldig machen würden, wenn Sie mir Gewalt antun wollten. Sagen Sie dem Postillon, daß er anhalte; ich werde absteigen und mich gegen niemand beklagen.«

      Auf diese kurze Rede folgte ein Strom von Tränen, und diesem Mittel habe ich nie zu widerstehen vermocht. Ich fühlte mich bis auf den Grund der Seele erschüttert und war beinahe davon überzeugt, daß ich im Unrecht. Ich sage beinahe, denn wäre ich überzeugt gewesen, so würde ich mich ihm zu Füßen geworfen haben, um ihn um Verzeihung zu bitten, so aber verschanzte ich mich hinter einem finstern Schweigen und war ausdauernd genug, bis eine halbe Station vor Sinigaglia, wo ich essen und schlafen wollte, kein Wort zu sprechen. Nachdem ich lange mit mir gekämpft, sagte ich endlich: »Hätten Sie für mich einige Freundschaft gehabt, so hätten wir in Rimini als gute Freunde ausruhen können, denn mit einiger Freundschaft hätten Sie mich von meiner Leidenschaft geheilt.«

      »Sie würden nicht geheilt worden sein«, antwortete Bellino mutig, aber mit einem Tone der Milde, welcher mich überraschte; »nein, Sie würden nicht geheilt worden sein, mag ich nun Mädchen oder Knabe sein, denn Sie sind in mich, unabhängig von meinem Geschlechte, verliebt, und die Gewißheit, die Sie erlangten, würde Sie wütend machen. Wenn Sie mich in diesem Zustande unbarmherzig gefunden hätten, so hätten Sie gewiß Ausschweifungen begangen, über welche Sie später vergeblich Tränen vergossen haben würden.«

      »Sie hoffen mich durch diese schöne Auseinandersetzung zu dem Geständnisse zu bringen, daß Ihre Hartnäckigkeit vernünftig ist; aber Sie sind in völligem Irrtum, denn ich fühle, daß ich durchaus ruhig bleiben, und daß Ihre Gefälligkeit Ihnen meine Freundschaft erwerben würde.«

      »Sie wurden wütend werden, sage ich Ihnen.«

      »Bellino, was mich wütend gemacht hat, das ist die Zurschaustellung Ihrer zu wirklichen oder zu trügerischen Reize, deren Wirkung Ihnen gewiß nicht unbekannt sein kann. Damals haben Sie meine verliebte Wut nicht gefürchtet; wie soll ich also glauben, daß Sie sie jetzt fürchten, da ich Sie nur bitte, mich eine Sache berühren zu lassen, die geeignet, mir Ekel einzuflößen.«

      »Ach, Ihnen Ekel einzuflößen! Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Hören Sie mich. Wäre ich ein Mädchen, so würde es nicht in meiner Macht stehen, Sie nicht zu lieben, das fühle ich, da ich aber ein Knabe bin, so ist es meine Pflicht, nicht die Gefälligkeit zu haben, welche Sie wünschen.«

      Als wir bei finstrer Nacht in Sinigaglia ankamen, stieg ich im besten Gasthofe ab. Nachdem ich mir ein gutes Zimmer gemietet, bestellte ich ein Abendessen. Da in dem Zimmer nur ein Bett war, so fragte ich Bellino mit der ruhigsten Miene, ob er sich in einem andern Zimmer heizen lassen wolle; aber man denke sich mein Erstaunen, als er mir sehr milde antwortete, er trage kein Bedenken, in demselben Bett zu schlafen. Ich bedurfte dieser Antwort, auf welche ich nichts weniger als gefaßt war, um die trübe Laune, welche mich störte, zu zerstreuen. Ich sah, daß ich der Lösung des Knotens entgegenging, aber in der Ungewißheit, ob sie eine günstige oder ungünstige sein würde, hütete ich mich wohl, mir schon Glück zu wünschen; ich empfand aber doch ein wirkliches Vergnügen über meinen Sieg, da ich sicher war, einen vollständigen über mich davonzutragen, wenn meine Sinne und mein Instinkt mich getäuscht haben sollten, das heißt ihn zu achten, wenn er Mann wäre. Im entgegengesetzten Falle glaubte ich die süßesten Gunstbewilligungen erwarten zu dürfen. Wir setzten uns einander gegenüber bei Tische, und während des Essens ließen mich seine Reden, seine Mienen, der Ausdruck seiner schönen Augen, ein süßes und wollüstiges Lächeln ahnen, daß er müde sei, eine Rolle zu spielen, welche ihm

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