Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova

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Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova

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und Marietta

      Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Venedig schwärmte ich wieder um Angela, mit welcher ich so weit zu kommen hoffte, wie mit Lucia. Ihre beiden Freundinnen, mit denen zusammen sie die Sticklehrerin besuchte, waren in all ihre Geheimnisse eingeweiht, und da sie die Strenge Angelas tadelten, klagte ich ihnen mein Leid und offenbarte ihnen das verzehrende Feuer meiner Liebe, was ich in Angelas Gegenwart nicht zu tun wagte. Wahre Liebe flößt immer Zurückhaltung ein; man fürchtet, übertrieben zu erscheinen, wenn man alles sagt, der bescheidene Liebhaber sagt aus Furcht, zu viel zu sagen, oft zu wenig. Die Sticklehrerin, eine alte Frömmlerin, machte den Onkel Angelas auf meine Besuche aufmerksam, so daß mir der eines Tages bedeutete, diese könnten dem Rufe seiner Nichte schaden. Das traf mich wie ein Donnerschlag. Aber die Freundinnen wußten meiner Liebe Rat. Sie waren Waisen und lebten im Hause ihrer Tante, Madame Orio, welche zwar aus gutem Hause stammte, aber nicht besonders reich war. Diese Dame wünschte nun in die Liste der adligen Damen eingetragen zu werden, welche sich um die Gnadenbewilligungen der Brüderschaft des heiligen Sakramentes bewarben. Da Angela, welche jeden Sonntag bei Madame Orio zu Besuch weilte, nun der Dame mitteilte, ich unterhielte die besten Beziehungen mit dem Präsidenten, Herrn von Malpiero, glaubte Madame Orio nichts gefährliches darin zu sehen, wenn sie mich in ihr Haus einlud, trotz meiner Liebe zu einer ihrer Nichten, was Angela ihr eingeredet hatte. Ich wurde also mit Madame Orio und ihrem alten Freunde, dem Prokurator Rosa, bekannt. Mit Hilfe der Therese Imer erlangte ich von meinem Gönner Genehmigung des Gesuchs der Madame Orio, und als ich damit ins Haus trete, übergibt mir Annita ein Billett mit der Bitte, ich möchte es noch lesen, bevor ich das Haus verließe. Nachdem mir Madame ihren Dank durch Gewährung zweier Küsse abgestattet – sie erlaubte sich dies, da man nichts einwenden könnte: sei sie doch dreißig Jahre älter als ich, sie hätte ruhig fünfundvierzig sagen können – suchte ich einen geheimen Ort auf, um das Briefchen zu lesen. Da hieß es: ›Meine Tante wird Sie zum Essen einladen; nehmen Sie die Einladung nicht an. Entfernen Sie sich, wenn wir uns zu Tische setzen, und Marietta wird Ihnen bis zur Straßentür leuchten; aber gehen Sie nicht aus dem Hause. Wenn die Türe wieder geschlossen ist und man Sie weggegangen glaubt, so schleichen Sie sich leise bis zum dritten Stockwerk hinauf, wo Sie uns erwarten. Wir kommen, sobald Herr Rosa weggegangen und unsre Tante sich zu Bette gelegt hat. Es wird nun von Angela abhängen, Ihnen während der Nacht ein Tete-a-tete zu bewilligen, zu welchem ich Ihnen Glück wünsche.‹ Welche Freude! Als ich in den Salon zurückgekehrt war, sagte Madame Orio, nachdem sie mir nochmals gedankt, ich würde mich in Zukunft aller Rechte eines Hausfreundes zu erfreuen haben. Als die Zeit des Abendessens gekommen war, wußte ich so gute Entschuldigungen vorzubringen, daß Madame Orio sie gelten lassen mußte. Marietta nahm nun das Licht, um zu leuchten; da aber die Tante Annita für die von mir Begünstigte hielt, so gab sie dieser so gebieterisch den Befehl, daß sie gehorchen mußte. Diese steigt rasch die Treppe hinunter, öffnet die Tür, welche sie mit Geräusch wieder zuschlägt, löscht das Licht aus und geht wieder hinauf, mich in der Dunkelheit zurücklassend. Ich steige leise hinauf bis ins dritte Stockwerk, trete in das Zimmer der Damen, setze mich auf ein Sofa und erwarte die glückliche Schäferstunde. Ich saß hier ungefähr eine Stunde, versunken in die süßesten Träumereien; endlich höre ich die Straßentüre öffnen und wieder schließen, und einige Minuten nachher sehe ich die beiden Schwestern und Angela eintreten. Ich ziehe sie an mich und nur sie sehend, spreche ich zwei volle Stunden mit ihr. Es schlägt Mitternacht: man bedauert mich, daß ich nicht zu Abend gegessen, aber ihr Mitleid verletzt mich und ich antworte, daß ich mich im Schoße des Glücks durch kein Bedürfnis beunruhigt fühlen könne. Man antwortet mir, ich sei Gefangener, da der Schlüssel zur Haustür sich unter dem Kopfkissen der Tante befinde, welche nicht eher öffne, als bis sie zur ersten Messe gehe. Ich bezeigte ihnen mein Erstaunen darüber, daß sie glauben könnten, ich hielte diese Nachricht für eine schlechte; ich freue mich vielmehr, daß ich fünf Stunden vor mir habe, die ich mit meiner Angebeteten zubringen dürfe. Eine Stunde später fing Annita an zu lachen; Angela wollte den Grund wissen, und nachdem ihr diese ihn ins Ohr gesagt, fing auch Marietta an zu lachen. Gereizt darüber wollte ich nun auch die Veranlassung ihrer Heiterkeit erfahren, und Annita, welche eine betrübte Miene annahm, machte die Mitteilung, daß sie weiter kein Licht hätten und daß wir in einigen Augenblicken im Dunkel sitzen würden. Diese Nachricht erfüllte mich mit Freude; aber ich ließ sie nicht merken und sagte, es täte mir um ihretwillen leid. Ich machte ihnen nun den Vorschlag, sich zu Bette zu legen und ruhig zu schlafen, da sie auf meine Bescheidenheit rechnen dürften. Dieser Vorschlag brachte sie zum Lachen.

      »Was werden wir im Dunkeln anfangen?«

      »Wir werden plaudern.«

      Wir waren unserer vier; schon drei Stunden lang sprachen wir und ich war der Held des Stücks; die Liebe ist ein großer Dichter; ihr Stoff ist unerschöpflich, aber wenn das Ziel, nach welchem sie strebt, nie erreicht wird, so ermüdet und verstummt sie. Meine Angela hörte zu; da sie aber nicht sehr gesprächig war, so antwortete sie nur selten und zeigte viel mehr gesunden Menschenverstand als Geist. Um meine Gründe zu bekämpfen, tat sie oft weiter nichts, als mir ein Sprichwort, gewissermaßen wie mit einem Katapult, zuzuschleudern. Entweder wich sie zurück, oder stieß mit der unangenehmsten Sanftmut meine armen Hände zurück, wenn der Liebesgott sie mir zu Hilfe rief. Nichtsdestoweniger fuhr ich fort zu sprechen und zu gestikulieren, ohne den Mut zu verlieren; aber ich geriet in Verzweiflung, wenn ich sah, daß meine so fein gesponnenen Gründe sie betäubten, anstatt sie zu überzeugen und anstatt ihr Herz zu rühren, es nur erschütterten. Andrerseits war ich höchst erstaunt, auf dem Gesicht der beiden Schwestern die Wirkung der Pfeile, welche ich gegen Angela abschleuderte, wahrzunehmen. Meine Lage war der Art, daß ich trotz der Jahreszeit dicke Tropfen schwitzte. Da endlich das Licht zu verlöschen drohte, so stand Annita auf und trug es fort. Sobald es dunkel geworden, streckte ich natürlich meine Arme aus, um den Gegenstand, der für meine damalige Stimmung ein Bedürfnis war, zu erfassen, da ich aber nichts fand, so fing ich an darüber zu lachen, daß Angela noch die Gelegenheit benutzt hatte, um sich in Sicherheit zu bringen. Eine ganze Stunde lang sagte ich ihr das Heiterste und Zärtlichste, was die Liebe nur eingeben konnte, um sie zur Rückkehr an ihren früheren Platz zu bewegen. Ich konnte ihr Benehmen unmöglich für etwas anderes als einen Scherz halten. Endlich fing ich denn doch an ungeduldig zu werden.

      »Dieser Spaß«, sagte ich, »dauert zu lange, er ist unnatürlich, da ich Ihnen nicht nachlaufen kann, und ich wundere mich, daß Sie lachen, denn bei einem so seltsamen Benehmen kann ich nur annehmen, daß Sie sich über mich lustig machen. Setzen Sie sich also, und da ich mit Ihnen sprechen muß, ohne Sie zu sehen, so sollen mich meine Hände wenigstens überzeugen, daß ich nicht in die Luft spreche.«

      »Beruhigen Sie sich nur: ich höre jedes Wort, was Sie sagen, aber Sie müssen doch einsehen, daß ich in dieser Dunkelheit anständigerweise nicht neben Ihnen sitzen kann.«

      »Sie wollen also, daß ich bis Tagesanbruch hier sitzen bleiben soll?«

      »Legen Sie sich aufs Bett und schlafen Sie.«

      »Ich bewundere Sie, daß Sie dies für möglich und für vereinbar mit meinem Feuer halten: doch wohlan, ich will mir einbilden, daß wir Blindekuh spielen.«

      Und nun aufstehend, tappte ich auf und ab, aber vergeblich. Wenn ich jemand faßte, so war es immer Annita oder Marietta, die sich aus Eigenliebe augenblicklich nannten und ich törichter Don Quixote ließ sie augenblicklich los. Die Liebe und das Vorurteil hinderten mich einzusehen, wie lächerlich diese Schonung war. Ich hatte die Anekdoten Ludwigs des Achten, Königs von Frankreich, noch nicht gelesen; aber ich hatte Boccaccio gelesen. Ich fuhr fort, ihr nachzujagen, machte ihr Vorwürfe und stellte ihr vor, daß sie sich am Ende doch werde finden lassen müssen; worauf sie erwiderte, daß es ihr ebenso schwer werde, mich zu finden. Das Zimmer war nicht groß, und ich war wütend, daß ich sie nicht ertappen konnte. Weniger ermüdet als gelangweilt setzte ich mich und plauderte eine Stunde mit Annita. Dann hatte ich immer noch eine Stunde vor mir, und wir durften nicht bis zum Tage warten, da Madame Orio lieber gestorben sein würde, ehe sie die Messe versäumt hätte. Ich brachte also diese letzte Stunde im Zwiegespräch mit Angela zu,

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