WOLLUST ACH - Uwe, der Student. Gerhard Ebert
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Wieder zurück am Tisch, an dem er gesessen, wartete der Kellner schon unruhig und war offensichtlich froh, dass Uwe kein Zechpreller war. Der neugierige Berliner, der ihn über die Situation in der Bar aufgeklärt hatte, freute sich auch über die Rückkehr. Er hatte ebenfalls nicht das rechte Weib gefunden und wandte sich gleich wieder redselig an Uwe:
„Hier läuft heute nichts! Kommst Du mit zur Linienstraße? Vielleicht können wir eine Nutte aufreißen!“
Uwe verschlug es erneut die Sprache. Wo war er denn hier hingeraten? So viel Unverfrorenheit war er nicht gewachsen.
„Bin nicht gut bei Kasse! Schade!“ sagte er denn doch bedauernd. Wobei er sich im nämlichen Moment vornahm, alsbald abends nach dem Theater mal die Linienstraße lang zu spazieren. So etwas durfte man sich ja nicht entgehen lassen! Jetzt indessen zahlte er und trottete - wieder einmal mit arg wunder Seele - hinaus zur S-Bahn. Er hatte in der Dunckerstraße im Prenzlauer Berg ein bescheidenes Quartier bei Wirtin Nowack, die ab und zu Gäste vom Schiffbauerdamm-Theater beherbergte. Als er endlich im Bett lag, sann er verzweifelt, wie er sich entspannen könnte. Im fremden Laken durfte er keine Spuren hinterlassen. Aber unterm Teppich würde sich die Ladung wahrscheinlich gut verstecken lassen. Grotesk! Die Erinnerung an eine Lesbe verhalf ihm zu schneller Verrichtung.
6.Das erotische Magazin
Auf seiner S-Bahn-Fahrt morgens zum Theater und abends zurück nach Prenzlauer Berg musste Uwe in Gesundbrunnen umsteigen, und das lag in Westberlin. Der Bahnhof war zwar verdammt trist, aber dort gab es diverse Kioske, die noch spät abends neben Lebensmitteln, Obst und Gemüse Verlockendes boten, nämlich Zeitungen und bestimmte erotische Magazine. Uwe war gelegentlich schon neugierig stehen geblieben. Stets rumorte in ihm ein geradezu magisches Interesse, dem er allerdings bislang noch zu widerstehen gewusst hatte. Aber er wusste auch - es war nur eine Frage der Zeit, und er würde die Unkosten riskieren, würde sich solch ein Magazin mit Fotos von nackten Frauen kaufen.
Eines Tages suchte er die Wechselstelle auf. Der Kurs war nicht eben günstig, aber was sich in ihm als ein Bedürfnis hochgeschaukelt hatte, war nicht mehr aufzuhalten. Er musste jetzt dieses Magazin kaufen! Schließlich war er nicht zuständig für das, was sich hier in Berlin an Irrsinn entwickelt hatte. Immer wieder hatte er gesehen, wie umsteigende Berliner vor allem Obst und Gemüse einkauften. Manchmal glaubte er zu erkennen, ob sie aus Ost- oder aus Westberlin stammten, aber meist blieb das offen. Es war kein gutes Gefühl, in solch anrüchiger Wechselstube zu stehen. Aber wie sonst sollte er an Westgeld kommen?
Als Uwe wenig später das gewünschte Magazin in der Hand hielt, das ihm der Kiosk-Inhaber so selbstverständlich wie ein Bündel Mohrrüben gereicht hatte, wurde ihm erst einmal siedend heiß. Könnte er in eine Kontrolle geraten? Er hatte zwar noch nie eine gesehen, aber der Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Was er da jetzt besaß, war Pornographie. Und die war in seiner Heimat nicht gerade erlaubt. Er faltete das Exemplar, das im Übrigen viel dünner war, als vermutet, zu einem kleinen Bündel, das in die Hosentasche passte und begab sich zum Bahnsteig. Niemand schien ihn beobachtet zu haben. Noch einmal wurde ihm siedend heiß, als der S-Bahn-Zug im Bahnhof Schönhauser Allee hielt, der erste Station wieder im Osten. Normaler Betrieb, aus- und einsteigende Fahrgäste, keine Polizei, Weiterfahrt. Welche Aufregung wegen eines lumpigen, aber verdammt teuren Stücks Papier mit nackten Frauen!
So schnell wie diesmal war er noch nie zur Dunckerstraße geeilt und dort im Haus die Treppen hoch zu seinem Quartier. Vorsorglich schloss er die Tür zum Zimmer ab, da Wirtin Nowack gelegentlich neugierig einen Besuch machte, wenn er nach Hause gekommen war. Dann faltete er das Magazin auf. Es war gerade einmal acht Seiten umfangreich, aber Seite für Seite gefüllt mit je einem Aktfoto einer wirklich attraktiven Schönen. Darunter, das hatte er schnell festgestellt, wenigstens drei, vier Mal das, was er für seinen Typ hielt: volle, wohlig runde Brüste und geile Schenkel. Die inneren Seiten ließen sich sogar auffalten, so dass auf praktisch vier Seiten ein ausgestreckt liegender Akt Platz gefunden hatte. Die Dame rekelte sich auf einer Decke und blickte verführerisch. Schon atmete Uwe heftig. So viel weibliche Nacktheit auf einmal hatte er noch nie gesehen. Er konnte nicht widerstehen. Er legte das Papier günstig und begann sein Spiel. Heftiger, lustvoller denn je. Fast hätte er vergessen, die fällige Entladung unter den Teppich zu platzieren.
Als er neu blätterte, überkam ihn neue Gier. Es war schwer, sich für eine der Schönen als potentielle Partnerin zu entscheiden. Er verweilte bei einem aufrecht sitzenden Weib, dessen langes schwarzes Haar auf ihre prächtigen Brüste fiel, sie gleichsam umspielte und dadurch hervorhob. Mit dunklen Augen schaute sie Uwe durchdringend an, als sei er just ihr Beischläfer. Jedenfalls in seiner exquisit angereicherten Phantasie, die ihm nun besser denn je half, sich ordinär körperlich zu befriedigen. Als er schließlich im Bett lag, bedrückte ihn seine widernatürliche Tour. Aber er sprach sich frei. Es war nicht seine Schuld, dass ihn die Natur potent gemacht hatte, ihm jedoch keine Frau dafür bot. Und ob er in der Linienstraße darauf eine Antwort finden würde, schien ihm höchst zweifelhaft. Aber umschauen müsste man sich natürlich schon einmal. Jedenfalls nahm er sich das vor.
Am nächsten Vormittag kam Uwe nur schwer in Gang. In Hausarbeit sollte die Strichfassung des Stückes entstehen, das gerade im Theater am Schiffbauerdamm gearbeitet wurde und zu dem die drei Studenten ihre Meinung kundtun sollten. Doch statt des Textbuches hatte Uwe erst einmal wieder dieses verführerische Heftchen in der Hand. Ihm war klar, dass er sich hüten musste, sich diese Porno-Schönen sozusagen als Lebensziele einzuprägen. Für ihn stand mittlerweile fest: Er war überhaupt nicht der Typ für diese Sorte Frauen. Von denen hatte bislang nicht eine ihn auch nur angeblickt. Wahrscheinlich war er nicht männlich genug für sie, jedenfalls was das Aussehen betraf. Auf alle Fälle fehlte ihm wohl so eine gewisse Brutalität, auf welche die blonden wie die schwarzen Schönen leider Gottes stehen. Andererseits mochte er es sich nun wirklich nicht auch noch selbst versagen, solche absolut attraktive Frauen wenigstens auf Fotos intensiv anzusehen, zumal, wenn sie sich freizügig im Adamskostüm präsentierten.
Nachdem Uwe dergestalt erst einmal Zeit verplempert und es immerhin geschafft hatte, sich nicht schon wieder vom Anblick einer papiernen Nackten in geile Verzweiflung treiben zu lassen, wühlte er sich in den Text des Stückes. Der Chefdramaturg hatte mit dem Stichwort „Geschwätzigkeit“ eine gewisse Orientierung vorgegeben. Alsbald fanden sich tatsächlich immer wieder Stellen im Text, wo die agierenden Gestalten über einen geringfügigen Sachverhalt mit einer Ausführlichkeit palaverten, die der Zügigkeit der Handlung ganz zweifellos abträglich war. Uwe machte seine Striche und war nach gut zwei Stunden ausgesprochen zufrieden mit sich. Er sah sich gerüstet für den Vergleich mit Christa und Ursula, der bei einem nachmittäglichen Treffen im Quartier von Christa in Krumme Lanke stattfinden sollte. Uwe machte sich freilich nicht auf den Weg, ohne vorher das heiße Papier mit den noch heißeren Damen sorgfältig zu verstecken.
Die U-Bahn-Fahrt erwies sich als ziemlich zeitaufwendig. Viele Stationen, viele Kurven. Und bei recht hohen Temperaturen nicht unbedingt ein Vergnügen. Schmuckes Grün dann rings am Bahnhof, eine schöne, ruhige Ecke Berlins offenbar. Christa war in der Karl-Hofer-Straße bei Verwandten untergekommen, und Uwe hatte wenig Mühe, das Haus zu finden. Sie begrüßte ihn locker, und er registrierte sofort, dass sie sich offenbar allein in der Wohnung aufhielt. In ihrem mit Schlafcouch, zwei Sesseln, Tisch und Schrank recht praktisch eingerichteten Zimmer hatte sie für drei Personen eingedeckt: Kaffee und Kekse. Auf dem Tisch lag außerdem einsatzbereit das Textbuch.
Es war warm im Raum, und Uwe trat ans offene Fenster. Von da bot sich nicht nur ein schöner Blick ins Grüne, man konnte auch den Weg einsehen, auf dem Ursula kommen musste. Aber sie kam nicht. Also warteten beide. Er am Fenster, sie am Tisch. Seltsame Situation. Austausch von Belanglosigkeiten. Sie fand, er hätte ein hübsches Sporthemd an. Er fand, ihr Zimmer sei hübsch. Anerkennend blickte er sich um. Dabei sah er, dass die Couch fast so einladend disponiert war wie der gedeckte