WOLLUST ACH - Uwe, der Student. Gerhard Ebert
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Uwe verharrte ziemlich benommen am Fenster, überlegte fieberhaft, ohne es sich merken zu lassen. War hier so etwas wie eine sturmfreie Bude?
„Ja, ja, nehmen wir einen Schluck“, sagte er nun möglichst beiläufig, trat zum Tisch und setzte sich Christa gegenüber.
Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass sie unter der dünnen Bluse gar keinen BH trug. Sollte er das als Signal deuten? Ihm blieb keine Zeit, darüber zu grübeln. Sie reichte ihm die Kekse und schaute ihn dabei mit blitzenden Augen an, als biete sie sich selbst. Jedenfalls kam Uwe das so vor. Und auf einmal war er geradezu hilflos. Solche Art, Interesse signalisiert zu bekommen, war ihm neu, und von Christa hätte er derlei nicht erwartet. Sie war eine aufgeweckte und freundliche Frau, durchaus ansehnlich, aber bislang immer leicht distanziert im gegenseitigen Umgang. Offenbar wusste sie im Moment genau, dass Ursula gar nicht kommen würde. Und sie wusste offenbar ebenso genau, dass ihre Wirtsleute für Stunden irgendwo in der Stadt weilten. In derlei Gedanken vertiefte sich Uwe, statt seinerseits sofort gewisse diskrete Signale auszusenden. Er schlürfte den heißen Kaffee, sie knapperte einen Keks. Funkstille.
Ewiges Elend also! Wieder einmal verstand Uwe aus einer potenziell erotischen Situation nichts zu machen! Auch, weil er im Moment ja leider ganz andere Weiber im Kopfe hatte. Vor allem aber, weil Christa ihm letztlich nicht so verführerisch schien, dafür alle nun einmal leider mit einem Beischlaf verbundenen Risiken einzugehen. Gewiss, er hätte sie nicht gleich heiraten müssen. Das war noch das geringste Problem. Doch nebenher mal schnell eine Frau zu vögeln und dann zur Tagesordnung überzugehen, als sei nichts gewesen, das war einfach nicht in seinem Kalkül. Doch was noch gewichtiger war: Er hatte keinen Gummi bei und außerdem noch gestern kostbare Ladungen einfach vergeudet. Welch eine Schande, wenn er hier einen verführerischen Mann mimen und dann kläglich versagen würde! Was wiederum nicht unbedingt eintreten musste. Und außerdem: Warum, zum Teufel, sagte sie nicht einfach: „Komm, schlaf mit mir!?“
Christa riss ihn aus seinen Gedanken. Sie blätterte ihr Textbuch auf, nun wieder die spröde Sachlichkeit in Person. Ihre Beziehung, die noch eben eine ganz überraschende Wendung hätte nehmen können, pendelte sich wieder auf Normalität ein. Beim nun folgenden Vergleich der unterschiedlichen Vorschläge für Streichungen des Textes stellte sich alsbald heraus, dass sie merklich rigoroser gewesen war als Uwe. Sie gab das zu, beharrte aber auf ihren Überlegungen. Uwe war nicht erpicht darauf, mit ihr zu debattieren und sich unnötig in geistige Unkosten zu stürzen. Er ahnte, dass sie zu einer Beschäftigung veranlasst worden waren, für die sich letztlich niemand ernsthaft interessieren würde; denn die Proben am Theater liefen ja längst. Der Regisseur würde nicht bereit sein, wegen ihrer Striche eine neue Diskussion vom Zaune zu brechen.
Nachdem die zwei denn also ihre Strich-Vorschläge bienenfleißig verglichen und dabei alle Kekse aufgefuttert hatten, schien Uwe die Zeit gekommen, sich davon zu machen. Christa hatte keinerlei neue Signale gesendet, jedenfalls nicht solche, die er auch wahrgenommen hätte. Ihn trieb inzwischen ein ganz anderer Gedanke. Ihm war so nebenbei in den Sinn gekommen, den freien Nachmittag zu nutzen, endlich einmal die Linienstraße zu erkunden. Kaum gedacht, befeuerte die Idee seine Neugier. Er hatte es jetzt sehr eilig. Mochte Christa sich wundern, es war ihm gleichgültig.
Eine Stunde später war Uwe - vom Bahnhof Friedrichstraße kommend - in Richtung Linienstraße unterwegs, und das recht unzufrieden. Es war sehr heiß geworden, und sein Unternehmen, ahnte er, eigentlich irgendwie Schwachsinn. Viel naheliegender wäre es gewesen, sich in Richtung Müggelsee auf den Weg zu machen, denn dort, hatte er beim Tanzen in der „Melodie“ erfahren, gab es angeblich neben dem normalen Badestrand einen besonderen Strand für Nudisten.
Den zu besuchen, fand er, hätte eigentlich allererste Priorität haben müssen, insbesondere bei dieser Hitze. Und das wäre wunderbar ganz ohne Badehose möglich gewesen. Allein, der Müggelsee lag weit draußen vor Berlin. Was ihn eigentlich hinderte, war allerdings die Erkenntnis, dass er ja wohl oder übel auch selbst hätte nackt herumlaufen müssen. Das wäre für ein Bad im Wasser gewiss höchst angenehm gewesen, außerhalb jedoch durchaus problematisch. Zu solch demonstrativer Nacktheit, gestand sich Uwe, hätte er nicht den Mut gehabt. So nahm er denn die Hitze in Kauf und trabte weiter.
Inzwischen war er beim Circus Barlay angekommen, der sich auf einem geräumten Trümmergelände einquartiert hatte und mittlerweile sesshaft geworden war. Eine schmucklose niedrige Außenfront mit vier Portalen, darüber in roten Versalien das Wort Barley, und dahinter sichtbar ein hölzerner Rundbau mit Kuppel. Seine Wirtin, erinnerte er sich, hatte jüngst geschwärmt vom Zirkus. Das sei eine tolle Sache für Berlin. Er hingegen spürte wenig Neigung auf Löwen und Elefanten. Er spazierte weiter.
Im Hintergrund nun das frisch herausgeputzte Hotel „Johannishof“, ein schmuckloses Geschäftshaus eigentlich, jetzt vornehm einladend. Doch welche Kontraste! Auf einmal unübersehbar Folgen des Krieges. Uwe war an der Ruine eines ehemaligen Kaufhauses angelangt. Und dort lockte sein Ziel. Nur noch um die Ecke: ein mäßig großer Platz, auf den die Oranienburger Straße und die Linienstraße münden.
Der erste Eindruck: Tristheit. Ein paar Kneipen, zwei Kioske, Straßenbahn-Haltestelle, normaler Großstadtbetrieb. Links drüben die Linienstraße. Uwe schritt hinüber, bog in die Straße ein. Ziemlich trist auch hier. Meist drei Stockwerke hohe, unansehnliche Häuser. Eigentlich eine enge, schmutzige Gasse, fand Uwe und bummelte neugierig weiter. Was hatte er eigentlich erwartet? Er fragte es sich plötzlich und wusste es nicht. Hatte er ernsthaft geglaubt, hier würden am helllichten Tage Dirnen flanieren? Er kehrte um. Hatte er etwas Wichtiges übersehen? Jetzt schaute er sich die Haustüren genau an. Aber auch da keinerlei Anzeichen für irgendeine käufliche Nudität, jedenfalls keines, das er dafür hätte halten können. Nun betrat er eine Kneipe. Biergestank, Zigarettenqualm. Uwe spürte sofort, dass er hier absolut nicht hingehörte. Aber bei der Hitze würde ein Bier gut tun. So hielt er die kritischen Blicke der verknöcherten Alten aus, die da herum saßen. Sich sonderlich umzuschauen, lohnte nicht. Er starrte ins Bier und grübelte.
Hier war nichts zu holen! Welch anregende Aussichten hingegen bei ihm im Koffer in der Dunckerstraße! Plötzlich hatte es Uwe sehr eilig, zur Straßenbahnlinie 46 zu kommen. Sie zuckelte heute besonders langsam, und er ärgerte sich, nicht doch S-Bahn gefahren zu sein. Wenn in ihm der Gedanke an Selbstbefriedigung erst einmal erwacht war, fiel es meist sehr schwer zu widerstehen. Da konnten ihn nur unerwartete äußere Umstände abhalten. Was ihm diesmal nicht widerfuhr. Abends zur Vorstellung dann, diesmal im Maxim Gorki Theater, war er schlaff und dekonzentriert. Die Darsteller hätten wie die Götter spielen können, er hätte es nicht mitgekriegt.
Welch absoluter Anfänger Uwe in Sachen Theater war, wurde ihm schmerzlich bewusst, als er am nächsten Abend im Deutschen Theater die Aufführung von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ sah. Was da auf ihn einstürmte, hieß ehrlicherweise: Theater neu lernen, Theater neu begreifen! Zu ungewöhnlich, zu überwältigend waren die Eindrücke.
Als der Schlußbeifall verklungen war, blieben die drei erst einmal sitzen. Dieser Moment des Innehaltens war einfach nötig. Dann bat Christa, noch zusammen zu bleiben, noch zu reden. Uwe und Ursula stimmten sofort zu. Im verqualmten Theaterrestaurant fanden sie Platz. Wieder blieb es zunächst still zwischen ihnen. Jeder war noch mit seinen Eindrücken beschäftigt. Schließlich brach Christa das Schweigen. Geradezu kategorisch sagte