WOLLUST ACH - Uwe, der Student. Gerhard Ebert

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WOLLUST ACH - Uwe, der Student - Gerhard Ebert

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Uwe ihr zu. Donnerwetter! Die Frau hatte wahrscheinlich Haare auf den Zähnen. Möglicherweise war sie sogar schon einmal einem Ehemann davon gelaufen.

      „Haben Sie eigene Erfahrungen?“ hörte er sich fragen.

      „Ach, nicht unbedingt! Ich denk nur so darüber nach. Ich glaube, man muss als Frau auch heutzutage sehr, sehr viel Kraft haben, wenn man eine Ehe abschütteln will, in der vieles stimmt, ich meine, was das Auskommen betrifft, Wohnung und so - aber der Mann sich als Tyrann entpuppt. Ich würde das nicht aushalten, ich würde auch abhauen.“

      „Ich könnte gar kein Tyrann sein!“ versuchte Uwe, dem Gespräch eine Wende zu geben. Sie blieb abrupt stehen und schaute ihn an:

      „Sie? Kein Tyrann?“

      Und schon lief sie weiter.

      „Keinesfalls!“ sagte Uwe.

      „Ja, ja, so sind die Männer! Und wir Frauen fallen immer wieder auf sie herein.“

      An der Stelle wandte sie sich nach rechts in Richtung Goethehaus. Sie hatte vermutlich bewusst eine kleine Biege gewählt.

      „Das Thema ist unerschöpflich“, spann Uwe den Faden weiter, „ich schlage vor, bei einem Bier weitere Klärung zu versuchen.“

      „Bei einem Bier?“ Sie lachte.

      „Oder Wein! Natürlich Wein!“

      „Danke, lieb von Ihnen, aber ich bin zu Hause.“

      Und damit trat sie an eine Haustür, nahm ihren Schlüssel und schloss auf. Dann drehte sie sich recht entschlossen noch einmal um und sagte:

      „Nochmals Dank! Oder wollen Sie Ihr Geld zurück?“

      „Um Gottes willen! Nein!“ antwortete er prompt und fuhr fort: „Darf ich Sie wiedersehen?“

      „Schwierig!“ entgegnete sie irgendwie zögerlich. „Sie wissen ja jetzt, wo ich wohne. Kommen Sie gut nach Belvedere. Gute Nacht.“

      Und schon war sie in der Tür verschwunden.

      Liselotte! Das war jetzt alles, was er von ihr wusste. War sie eine Kandidatin für künftige Begegnungen? Warum hatten sie nicht wenigstens einen Termin ausgemacht? Uwe stand ratlos. Ihm dämmerte, dass er wahrscheinlich soeben wieder einmal einfach dämlich gewesen war. Sie hatte ihm sein Geld zurückgeben wollen! War das nicht indirekt die Einladung gewesen, zu ihr hoch auf Zimmer zu kommen? Wie hieß es doch? Es kommt auf die Sekunde an bei einer schönen Frau! Wozu hatte er eigentlich Operette geguckt, wenn er nicht einmal in der Lage war, solche Binsenwahrheit zu beherzigen?

      Niedergeschlagen machte er sich auf in Richtung Ratstannenweg. Dort angekommen gab Uwe den Zimmergenossen, die schon wieder beim Selbststudium saßen, nur ausweichend Auskunft. Ja, wahrscheinlich spinne sich da etwas an. Die Frau sei wohl beruflich sehr eingespannt. Naja, mal sehen. Er begann kein Selbststudium mitten in der Nacht, er zog sich ins Bad zurück. Es war eine Entladung fällig. Er musste ohnehin sehr darauf achten, dass nicht irgendwelche unliebsame Spuren die Belvederer Bettwäsche zierten.

      Sobald es in den nächsten Tag seine Zeit erlaubte, eilte Uwe in die Stadt. Er fand die Gasse wieder, er fand das Haus. Ein ehrwürdiges, wohl erhaltenes Bürgerhaus mit schmucker Fassade und schwerer eichener Haustür. Im Flur die Briefkästen, und siehe da, einer für Lieselotte Mattuzack. Nicht geleert, was dafür sprach, dass sie nicht zu Hause war. In der Tat! Im zweiten Stock im Hinterhaus fand sich der Name an einer Tür. Aber selbst wiederholtes Klingeln und Klopfen blieb erfolglos. Und Uwe war einmal wieder wütend auf sich. Hatte er doch weder Bleistift noch Zettel bei sich, um irgendeine Botschaft hinterlassen zu können. Was war er für ein erbärmlicher Anfänger!

      Wenn das doch einfacher gewesen wäre, diese Liselotte zu erreichen! Tag für Tag verging, und es fand sich keine Zeit, einen neuen Anlauf zu nehmen. Als sich endlich eine Möglichkeit bot, hatte Uwe vorgesorgt. In einem Umschlag trug er die Einladung zu einem Theaterbesuch bei sich. Das war zwar höchst risikovoll, aber mehr, als nichts zu unternehmen. Wieder stand er vor verschlossener Tür, wieder klopfte er vergebens. Also plumpste der Brief in den Kasten. Was eine blöde Zeit der Ungewissheit bedeutete; andererseits verhinderte, dass er sich wegen Untätigkeit Vorwürfe machte.

      Er hatte so kalkuliert: Das Stück, zu dem er sie einlud, war gewiss nicht ausverkauft, so dass er noch kurz vor der Vorstellung Karten kaufen konnte. Kam sie nicht, würde er allein gehen und sich von dem ungewöhnlichen Stück ablenken lassen. Es handelte sich um die „Optimistische Tragödie“, in der eine Frau die tragische Hauptrolle spielte. Was diese Lieselotte eigentlich interessieren müsste. Aber sie kam nicht an diesem Abend. Nein, sie kam nicht. Uwe zögerte bis zum allerletzten Moment. Dann kaufte er sich eine Karte. Und was nicht unbedingt zu erwarten gewesen war, trat ein. Wischnewskis Tragödie lenkte ihn ab von seinem aktuellen Kummer. Doch nach der Vorstellung gab es kein Halten. Er wusste, dass absoluter Blödsinn war, was er machte, aber er machte es. Er eilte zum bewussten Haus – und stand vor verschlossener Haustür. Was logisch war kurz vor Mitternacht.

      3.Knutschen im Kollektiv

      Das war schon eine feine Erfindung: das Kollektiv. Alles, was man irgendwie gemeinsam unternahm, vollbrachte man als Kollektiv. Im Kollektiv wurde gelernt. Im Kollektiv wurden Exkursionen unternommen. Im Kollektiv wurden wesentliche, zuweilen allerdings auch ausgesprochen unnütze Fragen diskutiert. Doch das Wichtigste war: Im Kollektiv fand man in der Regel zu einer Meinung, nämlich der richtigen. Jedenfalls zu dem, was man just für richtig hielt.

      Für Uwe - wie auch immer - meist mit beträchtlichem Erkenntnisgewinn. Was hatte er bisher schon gewusst von der Welt! Nichts! So gut wie nichts! Und jetzt lernte er, dass es überall dialektisch zuging, und zwar dialektisch-materialistisch! Das hieß: Das Sein des Menschen bestimmt dessen Bewusstsein! Also alle möglichen Widersprüche im Kopf waren da nicht, weil dort in Selbstschöpfung aus sich selbst heraus entstanden, sondern weil aus der Realität dorthin gekommen! Selten bewusst, aber letztlich unabwendbar spiegelten sich faktisch bei jedem Menschen im Kopfe mehr oder weniger einstige, vor allem jedoch aktuelle soziale Prozesse.

      Uwe war für die neuen Erkenntnisse überaus aufgeschlossen. Zuweilen allerdings kam er ins Grübeln. Letztlich unausgesprochen und also auch nicht diskutiert blieb beispielsweise die Frage, wie das Proletariat nun eigentlich seine Oberen findet, die Leute, die wissen, wo es lang geht, also die, die das Volk regieren. Eigentlich war das die Kardinalfrage: Wer kürt wen zum Oberen? Geschieht dies durch Wahlen? Und was kann der Bürger damit entscheiden? Oder entscheidet letztlich die Partei? Aber weshalb unnötig Fragen stellen! Im Moment lief eigentlich alles ganz gut im Lande. Und Uwe war ja auch nicht hier, um unangenehm aufzufallen. Schließlich und endlich war er recht gut aufgehoben im Kollektiv.

      Obwohl man diese neuartige Gemeinschaftlichkeit auch nicht überbewerten sollte. Zuweilen war von Gemeinschaft und gemeinsamen Intentionen herzlich wenig zu spüren. Der ideale Mensch – es gibt ihn nicht; das ideale Kollektiv – es gibt es nicht.

      Eine bedenkliche Erfahrung in dieser Hinsicht machte Uwe, als das gesamte Studienjahr eines Tages aufbrach, um das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg zu besichtigen. Uwe hatte sich prompt an seinen alten Biologielehrer erinnert, der völlig ausgerastet war, als damals die Nazi-Verbrechen bekannt geworden waren. Für Uwe war der Gang nach Buchenwald daher a priori ein außergewöhnlicher Vorgang, geprägt von ehrfürchtigem Gedenken an die unschuldigen Opfer. Und er hatte gedacht, es würde allen so gehen.

      Höchst befremdlich für ihn war daher

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