Haftungsrisiken des automatisierten und autonomen Fahrens. Jonathan Hinze
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§ 3 Automatisierung und Autonomie im Straßenverkehr
Mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten intelligente Systeme vor allem im Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens. Das mag einerseits daran liegen, dass das Auto als Mobilitätsmittel unangefochten an der Spitze steht55 und sich ein technologischer Wandel somit auf sämtliche Bevölkerungsschichten auswirkt. Andererseits ist gerade das Automobil schon seinem begrifflichen Ursprung nach56 Sinnbild für eine „selbstständige“ Maschine und die Technologie unserer Zeit. Kaum eine andere Erfindung der letzten Jahrhunderte lässt den Fortschritt der Technik so anschaulich erkennen wie das Automobil, vom ersten Benz Patent-Motorwagen Nr. 157 bis zum autonomen Fahrzeug. Die Automatisierung trägt seit etwa 30 Jahren ihren Teil zu dieser Entwicklung bei.
Im folgenden Abschnitt soll zunächst gezeigt werden, welche Stadien die Automatisierung von Fahrzeugen bereits in der Vergangenheit erreicht hat, wo wir heute stehen und was die Zukunft bringen könnte. Anschließend erfolgt eine Einschätzung darüber, welche Chancen die Technologien bieten, aber auch, welche Gefahren und Risiken mit ihnen einhergehen.
55 58 Prozent der Bürger über 18 Jahren fahren täglich mit dem eigenen PKW, Brandt, Auto weiterhin Fortbewegungsmittel Nr. 1, https://de.statista.com/infografik/2836/die-beliebtesten-verkehrsmittel-der-deutschen/. 56 „Automobil“ setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort „auto“ (selbst) und dem lateinischen Wort „mobilis“ (beweglich), Dwds, https://www.dwds.de/wb/Auto. 57 Der Benz Patent-Motorwagen Nr. 1 von 1886 gilt als das erste Automobil mit Verbrennungsmotor, dazu Dietsche/Kuhlgatz/Reif, in: Reif, Grundlagen Fahrzeug- und Motorentechnik, S. 2.
A. Entwicklungsstufen des automatisierten und autonomen Fahrens
Vor nicht allzu langer Zeit hatten Fachleute, Institutionen und Behörden noch ein sehr vielfältiges begriffliches Verständnis von den verschiedenen Ausprägungen automatisierter und autonomer Fahrfunktionen, was den wissenschaftlichen Diskurs deutlich erschwerte. Heute hat sich die internationale ingenieurs- und rechtswissenschaftliche Diskussion mittlerweile auf ein sechsstufiges Kategorisierungssystem58 verständigt, das auch dieser Arbeit als Grundlage dienen soll. Dieses System geht ursprünglich auf das Stufenmodell der US-amerikanischen Behörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration)59 zurück und wurde im Laufe der Zeit auch von nationalen europäischen Behörden wie der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) übernommen.60
I. Stufe 0
Das Fahren ohne jegliche technische Unterstützung hinsichtlich Längs- oder Querführung des Fahrzeugs („no automation“) wird der Stufe 0 zugeordnet. Da in Europa jedoch bereits seit der EU-Verordnung Nr. 661/2009 elektronische Fahrhilfen wie das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) in Serie verbaut werden müssen,61 werden Neufahrzeuge der Stufe 0 heute nicht mehr zugelassen und nach und nach von der Bildfläche verschwinden.
II. Stufe 1
Das sogenannte „assistierte“ Fahren der Stufe 1 bezeichnet den Einsatz von aktiven Fahrerassistenzsystemen, die dem Fahrer beim Gas geben, Bremsen oder Lenken behilflich sind.62 Als Vorreiter gelten hier die bereits in den 1980er Jahren entwickelte Antriebsschlupfregelung (ASR)63 sowie das 1995 erstmalig eingesetzte ESP.64 Heute werden diese mittlerweile essentiell gewordenen (Brems-)Systeme insbesondere durch eine Vielzahl von Lenkassistenten wie den Spurhalte- und Spurwechselassistenten oder Parklenkassistenten ergänzt.65 Den Assistenzsystemen dieser Stufe ist gemein, dass sie nur kurzzeitig und punktuell in die Fahrzeugführung eingreifen; im Falle des ESP etwa durch gezielte Bremseingriffe an einzelnen Rädern zur Verhinderung des Ausbrechens des Fahrzeugs.66 Dabei wird aber immer nur die Längs- oder die Querführung beeinflusst, eine Kombination aus Brems- und Lenkassistenten erfolgt auf diesem Level nicht.
III. Stufe 2
Das (teil-)automatisierte Fahren beginnt auf der zweiten Stufe, auf der sich Systeme befinden, bei denen Fahr- und Bremsautomatisierungen kombiniert werden und die in der Lage sind, die Fahrzeugsteuerung für eine gewisse Zeit zu übernehmen. Je nach Funktion des Systems kann der Fahrer in dieser Zeit bestimmte Fahraufgaben zwar vollständig dem System überlassen, er muss es dabei jedoch dauerhaft überwachen.67
IV. Stufe 3
Das als „hochautomatisiert“ bezeichnete System der Stufe 3 eignet sich bereits zur Verwendung im Rahmen größerer „use-cases“, also beispielsweise bei stop-and-go-Verkehr auf der Autobahn. Im Zuge der Gesetzgebungsinitiative68 zum automatisierten Fahren hat der Gesetzgeber 2017 im neuen § 1a II StVG die wesentlichen Kerneigenschaften von Fahrzeugen der Stufe 3 und 4 formuliert. Das automatisierte Fahrsystem muss danach folgende Fähigkeiten besitzen:
– Es kann die spezifische Fahraufgabe durch Übernahme der Längs- und Querführung bewältigen.
– Es folgt den einschlägigen Verkehrsvorschriften.
– Der Fahrer kann es jederzeit deaktivieren oder übersteuern.
– Es erkennt die eigenen Funktionsgrenzen selbstständig.
– Es kann den Fahrer durch optische, akustische, taktile oder sonstige wahrnehmbare Hinweise mit ausreichender Zeitreserve auf das Erfordernis der manuellen Übernahme der Fahrzeugsteuerung aufmerksam machen.
– Es warnt den Fahrer bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung des Systems.
Im Unterschied zu Assistenzsystemen der Stufe 2 erkennt die Software nun also ohne Zutun des Fahrers, ob und wie lange die automatisierte Fahrfunktion verwendet werden kann. Das hat zur Folge, dass es dem Fahrer nun auch grundsätzlich gestattet ist, sich in gewissen Grenzen von der Fahrzeugsteuerung abzuwenden, wobei er aber dennoch geistig anwesend sein muss, wie § 1b I StVG klarstellt.69
V. Stufe 4
Zur vierten Stufe automatisierter Fahrzeuge zählen solche, die wiederum innerhalb spezieller use-cases70 sämtliche denkbaren Fahraufgaben übernehmen können („vollautomatisiert“).71 Allerdings unterliegt auch diese Stufe noch dem Anwendungsbereich der §§ 1a und 1b StVG, sodass der Fahrer weiterhin Überwachungspflichten hinsichtlich des Funktionsumfangs und der Funktionsgrenzen des Systems hat. Durch § 1a II Nr. 3 StVG ist klargestellt, dass in einem Fahrzeug der Stufe 4 wegen der notwendigen Übersteuerungsmöglichkeit nach wie vor manuelle Steuerungsinstrumente verbaut sein müssen.72 Technologisch setzt sich die Stufe 4 insofern vom hochautomatisierten Fahren ab, als vollautomatisierte Fahrzeuge bei systemkritischen Situationen zusätzlich zur bloßen Warnung an den Fahrer dazu in der Lage sind, das Fahrzeug selbständig in einen risikominimalen Zustand zu versetzen, also beispielsweise rechts heranzufahren und die Warnblicklichtanlage zu betätigen.73
VI. Stufe 5
Die letzte Stufe stellt schließlich das autonome Fahren dar. Anders als bei Fahrzeugen der Stufe 3 und 4 ist die Funktionsfähigkeit des Systems