Kriminologie. Tobias Singelnstein

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Kriminologie - Tobias Singelnstein

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a. M.; Strasser, Peter (2013): Brains and Would-be Brains. Outlines of Neurocriminology. KrimJ 45, 58-68.

      Nützliche Websites: http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/852357&_z=798884.

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      Über diese Fälle beobachtbarer Auffälligkeiten und Defekte des präfrontalen Cortex hinaus zeigt die Hirnforschung, dass geistig-psychische Zustände nicht jenseits der physikalisch-physiologischen Materie des Gehirns angesiedelt sind, sondern sich innerhalb dieser Materie vollziehen. Damit ist die auf René Descartes (1596-1650) zurückgehende Annahme einer substantiellen Verschiedenheit von menschlichem Körper und Geist widerlegt. Bewusstseinszustände, Gedanken und Gefühle werden [70] durch körperliche Gehirnprozesse verursacht; das Mentale ist vom Gehirnsystem biologisch produziert.

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      Schaubild 2.2: Hirn mit präfrontalem Cortex (hier dunkel)

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      Als eines der bekanntesten Belege dafür gilt das Libet-Experiment140, welches nach der Interpretation seines Erfinders zeigt, dass die Gehirnaktivität, welche zu einer Handbewegung führte, vor dem Moment einsetzte, in welchem sich die Person zu der Bewegung entschloss. Aufgrund solcher experimentell erlangter Befunde bezweifeln zahlreiche Hirnforscher die Möglichkeit menschlicher Willensfreiheit: Was man als vermeintlich autonome Willensentscheidung wahrnehme, sei tatsächlich das Ergebnis sich unwillentlich vollziehender Gehirnaktivitäten. Damit werden angeblich auch der strafrechtliche Schuldvorwurf und die Legitimität der staatlichen Strafe infrage gestellt: Da der Entschluss zum Rechtsbruch neuronal gesteuert werde, könne das strafbare Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Anstatt Strafen seien demnach nur rein präventive, also auf die Sicherung oder Besserung des Täters abzielende, Maßnahmen der sozialen Verteidigung zulässig.141

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      Mit Hinweisen auf Zusammenhänge zwischen Aggressionsneigungen und pathologischen Auffälligkeiten der Struktur bzw. der Aktivitäten des präfrontalen Cortex behauptet die neuronale Hirnforschung eine biologische – und damit moralisch [71] standpunktfreie – Bestimmbarkeit des Bösen in der Anlage. Von humanistischen Ansprüchen befreit, wird das Individuum in einem naturwissenschaftlichen Rigorismus ohne Wahlfreiheit konzipiert.142 Insofern führt der Fortschritt der Biowissenschaften zu einer Rückkehr zu kriminologischen Positionen, die seit Lombroso in dieser Ungeschminktheit nicht mehr eingenommen wurden: Es scheint dem zu Folge „gefährliche“ Menschen zu geben, die sich naturwissenschaftlich nachweisbar in ihrer individuellen biologischen Ausstattung von Ungefährlichen und Gesetzestreuen unterscheiden.143

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      Mit der Anzweiflung der Willensfreiheit beansprucht die neuronale Hirnforschung, das über Jahrhunderte in der Philosophie des Geistes umstrittene Verhältnis von menschlichem Körper und Geist geklärt zu haben. Die neuronale Hirnforschung präsentiert sich damit wie die Evolutionstheorie von Charles Darwin als universelle Leitwissenschaft, die grundlegende bislang umstrittene Fragen der menschlichen Existenz beantwortet.144 Wie zu Zeiten Darwins wird das Zusammenspiel von Körper und Geist naturwissenschaftlich monistisch gedeutet und auf Körperfunktionen zurückgeführt: In Verwerfung des Cartesianischen Dualismus wird das Geistige als mit den Aktivitäten der Physis des Gehirns identisch begriffen.

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      Die Zusammenhänge von neuronalen Hirnaktivitäten und menschlichem Verhalten sind vielfach und sorgfältig belegt. Es erscheint auch plausibel, dass menschliches Verhalten durch die biologische Befindlichkeit des jeweiligen Individuums beeinflusst werden kann, speziell, wenn diese Befindlichkeit ungewöhnlich oder gar pathologisch auffällig ist. Entscheidend ist, was solche Zusammenhänge bedeuten: Folgt daraus wirklich, dass menschliches Verhalten durch Gehirnprozesse kausalgesetzlich determiniert wird? Dass sich menschliche Subjektivität auf neurobiologische Prozesse reduzieren lässt?

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      In ähnlicher Weise wie bei der Hypostasierung des Gehirns als steuerndes Subjekt wird bei der Antwort auf die klassische kriminalitätstheoretische Frage nach den Ursachen des Verbrechens die in genetischen und neurobiologischen Strukturen und Funktionen ausgedrückte menschliche Natur zur Produktionsstätte des gewalttätigen kriminellen Verhaltens stilisiert.151 Der Kriminelle mag durch seine veranlagten Triebe gesteuert sein – aber was sind seine Triebe anderes als er selbst?

      Lektüreempfehlung: Strasser, Peter (2005): Verbrechermenschen. Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen. 2. Aufl., Frankfurt a. M., 127-154, 229-245.

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      Die Biokriminologie beschränkt ihr Augenmerk auf Kriminalität, die mit Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung zu tun hat. Sie wählt den zu untersuchenden Personenkreis zumeist aus der Gefängnispopulation oder aus biologisch auffälligen Menschen, die aggressiv wurden. Die Untersuchungseinheiten sind klein, die Untersuchungen

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