Familienrecht. Stephan Meder
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„Wenn nämlich ein Mensch Frau oder Kinder oder Gesinde hat, so ist eine sogenannte Familie da, folglich besteht das Familienrecht aus der Lehre von den Rechten zwischen den Ehegatten, von den Rechten zwischen Herrschaft
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und Gesinde […] Jede Familie […] bildet heut zu Tage als erster und nächster Verband einen Staat im Staate“ (Kirchhoff, 1835, 16, 17).
Diese beiden Sätze enthalten gleich mehrere Elemente, die sich auf antike Vorstellungen über das Verhältnis der Geschlechter und die Familie zurückführen lassen. So beruht die Identifikation von „Mensch“ und „Mann“ auf dem aristotelischen „one-sex model“, wonach nur der Mann als voll ausgebildeter Mensch gelten könne (Fußnote 16, S. 59; Fußnote 50, S. 121). Hinzu kommt die aristotelische Analogie von Staat und Familie, hier allerdings im Kontext einer Diskussion, die im 19. Jahrhundert über die Frage geführt wurde, ob neben den Ehegatten, Kindern und Verwandten auch Knechte und Mägde, Lehrlinge und Gesellen oder sonstige Bedienstete zur „Familie“ gehören. Unter den Prämissen eines weiten Begriffs von Familie, wie er dem aristotelischen „oikos“, der römischen „familia“ oder der Sozialform des „ganzen Hauses“ zugrunde liegt, wäre dies mit Kirchhoff zu bejahen. Doch beginnt im 19. Jahrhundert eine Auffassung vorzudringen, die den Begriff „Familie“ enger fasst und auf einen privaten Kreis von Eltern, Kindern und Verwandten zu beschränken sucht. Aus einem solchen Kernbereich, der zugleich die Differenz zwischen moderner bürgerlicher Familie und vormodernem „ganzen Haus“ markiert, mussten die Bediensteten ausgeschlossen bleiben (Vormbaum, 1980, 124, 147).
Für die Einordnung des Familienrechts in das Privatrecht war im 19. Jahrhundert vor allem die Tatsache maßgebend, dass es mit rechtlichen Beziehungen der Bürger untereinander zu tun hat. Ein besonderes Verhältnis zum Staat oder anderen mit hoheitlicher Gewalt ausgestatteten Verbänden ist dabei nicht angenommen worden. Dies soll aber nicht heißen, dass die Autoren des 19. Jahrhunderts die Verbindungen von Familienrecht und Öffentlichem Recht aus den Augen verloren hätten. Eine Nähe haben sie z.B. darin gesehen, dass im Familienrecht der Einzelne als Glied eines Verbandes erscheint, in dem „die Keime des Staates enthalten“ sind (Savigny, 1840, 343, 344). Als weitere gemeinsame Merkmale sind „Herrschaft“ und „Untertänigkeit“ genannt worden, die nicht nur durch den Staat, sondern auch durch die Familie begründet werden (Regelsberger, 1893, 203; Savigny, 1840, 23). Die Bedeutung des Familienrechts für den Staat war also auch im 19. Jahrhundert unbestritten,
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nur dass die meisten Autoren daraus keine Konsequenzen für die systematische Einordnung als Privatrecht gezogen haben. Es gab jedoch auch Ausnahmen, etwa das „System des Pandekten-Rechts“ von Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840), der das Familienrecht zum Öffentlichen Recht – oder genauer – zum „Polizey-Recht“ zählte (Thibaut, 1803, §§ 304–516). Dabei versteht sich, dass mit „Polizey-Recht“ nicht die heutigen Vorstellungen über die Aufgaben der Polizei gemeint sein können. In der Epoche des absoluten Staates bzw. des Natur- und Vernunftrechts war der Begriff der Polizei nicht auf den Bereich der Gefahrenabwehr beschränkt. Vielmehr gehörte dazu die Förderung der Wohlfahrt aller Untertanen, die auch das private Wohl und das persönliche Glück der Menschen umfasste (Drews / Vogel, 1985, 1–15; Simon, 2004; Foucault, 2006, 463 f.). Auf einem solchen „wohlfahrtsstaatlichen“ Polizeibegriff beruhen die Überlegungen von Thibaut, wenn er meint, in das „Polizey-Recht der Pandekten“ gehöre vor allem „die Lehre von dem Schutz, unter welchen der Staat die, eines Vorgesetzten bedürfenden Personen gestellt hat“ (Thibaut, 1803, § 305).
Auch für Thibaut ist der Gedanke leitend, dass der Mann „mit seiner Familie in eben dem Verhältnis, wie der Regent zum Bürger, stehe“ (1803, § 307). Nicht die Ehe, sondern der Schutz des hilfsbedürftigen Individuums, für das der Staat mittels Institutionen wie „väterliche Gewalt“ oder „Vormundschaft“ zu sorgen hat, bildet den Ausgangspunkt seines öffentlich-rechtlichen Familienrechts.1 Folgerichtig gliedert Thibaut das „Polizey-Recht“ in zwei Hauptabschnitte, von denen der eine die „väterliche Gewalt“ und der andere die „Vormundschaften“ behandelt. Die Ehe unterfällt dem Abschnitt über die väterliche Gewalt, wobei das personale Verhältnis der Gatten vergleichsweise knapp erörtert wird. Thibaut meint, die Frau sei in der Ehe der „Gewalt“ ihres Mannes unterworfen und müsse „ihre Handlungen nach seinem Willen einrichten“. Auch
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von „ehelicher Vormundschaft“ ist die Rede: Ein solches Recht habe der Mann oft „nach deutschen Statuten“, doch sei „dies kein gemeines Recht“ (Thibaut, 1803, § 408). Worin der Unterschied zwischen ehelicher Gewalt und ehelicher Vormundschaft liegen soll, hat Thibaut leider nicht erklärt (dazu näher 7.4.1, S. 205)
Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) war bekanntlich der Gegenspieler Thibauts in dem berühmten Kodifikationsstreit, der im Anschluss an den Sieg der preußischen Truppen über Napoleon im Jahre 1814 ausgefochten wurde. Auch in der Einordnung des Familienrechts ist Savigny anderer Meinung als Thibaut. Für Savigny bildet das Familienrecht nämlich einen festen Bestandteil der Privatrechtsordnung. Bei genauerer Betrachtung ist der Abstand zwischen den beiden Gelehrten aber nicht so groß, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn „die Familienverhältnisse“ gehören „vorzugsweise dem jus publicum, d.h. dem absoluten Rechte an“ (Savigny, 1840, 350). „Jus publicum“ bedeutet für Savigny jedoch etwas anderes als „Öffentliches Recht“: Er begreift es als eigenes Strukturmerkmal, welches jederzeit und überall im Privatrecht vorkommen kann. Savigny behandelt das „jus publicum“ daher im ‚Allgemeinen Teil‘ seines achtbändigen „Systems des heutigen römischen Rechts“ vorab, und zwar im Abschnitt über die Rechtsquellen (1840, 57–66). Dies verdient Hervorhebung, weil bis heute die Auffassung herrscht, das Denken des 19. Jahrhunderts beruhe auf einer schlichten Zweiteilung, in welcher die Idee einer voraussetzungslosen (formalen) Freiheit im Privatrecht der Verwirklichung von Moral und Sittlichkeit im Öffentlichen Recht mehr oder weniger unverbunden gegenübertrete (Stolleis, 1996, 57; Renner, 2011, 18). Es ist sogar behauptet worden, die Rechtsdenker des 19. Jahrhunderts hätten im Banne des deutschen Idealismus die Unterschiede von Privatrecht und Öffentlichem Recht zu einer „apriorischen“, „jeder Rechtserfahrung vorangehenden“ Trennung stilisiert (Gagnér, 1967, 27, 29–36). Savigny jedenfalls war kein Anhänger solcher idealisierenden Unterscheidungen. Die Möglichkeit einer klaren Trennung von öffentlicher und privater Rechtssphäre hätte er abgelehnt.
Savigny meinte, dass die Familie „Grundlage einer neuen, ganz eigentümlichen Art von Rechtsverhältnissen“ ist (1840, 340). Er gilt heute als Begründer der wissenschaftlichen Disziplin des Familienrechts, weil er
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der Familie erstmals einen eigenen Standort innerhalb des Rechtssystems zugewiesen habe (D. Kennedy, 2003; 2010). Dazu bedurfte es der Abgrenzung zum Verkehrsrecht und der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Recht und Sitte. Was aber bedeutet „jus publicum“ und welche Rolle spielt es im Familienrecht? Savigny sagt, „jus publicum“ sei „absolutes Recht“, das mit „unabänderlicher Notwendigkeit“ herrschen solle, „ohne der individuellen Willkür Spielraum zu lassen“ (1840, 57). Das „jus publicum“ eröffnet dem Zivilrecht also die Möglichkeit, private Willkür zugunsten öffentlicher Belange zu begrenzen. Im heutigen Recht wird von einer solchen Möglichkeit vor allem dort Gebrauch gemacht, wo faktische Ungleichgewichtslagen im Rechtsverkehr zu Nachteilen für die „schwächere Partei“ führen können. Bekannte Beispiele sind die gesetzlichen Regelungen