Ius Publicum Europaeum. Martin Loughlin
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Obwohl es die Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung im Jahre 1789 abgelehnt hatten, eine Erklärung der Bürgerpflichten zu beschließen, wiesen sie dem Gesetz die Funktion einer Schranke der Freiheitsrechte zu, und sie verlangten von allen die Beachtung des Gesetzes (die „Déclaration des devoirs“, die später am Beginn der Verfassung des Jahres III stehen sollte, legte besonderen Nachdruck auf diesen Aspekt). Die Verfassunggeber verpflichteten die Bürger, ihren unentbehrlichen Beitrag „zum Erhalt der öffentlichen Gewalt und zur Bestreitung der Ausgaben der Verwaltung“ zu leisten (siehe Art. 13 der Déclaration des droits de l’homme von 1789). Zahlreiche gesetzliche Bestimmungen beschränkten die Rechte der Bürger oder machten ihre Ausübung von der Erfüllung verwaltungsrechtlicher Voraussetzungen abhängig. Zum Beispiel wurde die Fortbewegungsfreiheit an den Besitz eines Passes geknüpft. Die Möglichkeit, bewegliche Sachen zu requirieren, wurde wieder etabliert. Die Religionsfreiheit wurde nur eingeschränkt gewährleistet und später zu Lasten derjenigen Priester völlig beseitigt, die sich weigerten, sich der zivilen Verfassung für den Klerus und die mit ihm verbundenen Gläubigen zu unterstellen. Das Jourdan-Gesetz von 1798 führte die Wehrpflicht ein. Innerhalb der Verwaltung selbst wurde der hierarchische Charakter der Beziehungen zwischen den Amtswaltern verstärkt; der Bürgerkrieg beeinträchtigte allerdings die Funktionsfähigkeit der Verwaltung auf lokaler Ebene.
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Die Auffassung, dass die Amtswalter und die Verwaltung gerichtlich privilegiert werden sollten, setzte sich sehr rasch durch und überdauerte die Zeit der Revolution. Sie fand ihren Niederschlag zunächst in dem gegenüber den Richtern ausgesprochenen Verbot, Verwaltungsbedienstete für Handlungen, die sie in amtlicher Funktion vorgenommen hatten, ohne Ermächtigung der Dienstvorgesetzten oder aber des Gesetzgebers zu verurteilen. Eine solche Ermächtigung war stets erforderlich, unabhängig davon, ob die Forderung, den Amtswalter zur Rechenschaft zu ziehen, zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Ursprungs war. Die Richter verloren weiter ihre traditionelle Befugnis, über die Gültigkeit von Maßnahmen der Kommunen zu urteilen. Ebenso war es ihnen untersagt, die Maßnahmen anderer Verwaltungsträger auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Darüber hinaus wurde ihnen insbesondere durch Art. 13 des Titels II des Gesetzes vom 16. bis 24. August 1790 verboten, „die Arbeitsabläufe des administrativen Corps auf irgendeine Weise zu stören“, d.h. sich in die Tätigkeit der Verwaltung einzumischen, beispielsweise indem sie dieser Befehle oder Weisungen erteilen. Diese Verbote wurden aus dem Prinzip der Trennung zwischen administrativen und richterlichen Funktionen abgeleitet, wie es insbesondere in dem genannten Artikel niedergelegt ist, der bis auf den heutigen Tag grundlegende Bedeutung hat.
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Schließlich wurden die wesentlichen Verwaltungsstreitigkeiten nach einigem Zögern der Verwaltung selbst und nicht den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Das Verfassungskomitee der verfassunggebenden Versammlung hatte zunächst erwogen, diese Streitigkeiten auf speziell dafür einzurichtende Departementstribunale, die zur rechtsprechenden Gewalt gehören sollten, oder sogar auf die Zivilrichter zu übertragen. Es änderte allerdings im Juli 1790 seine Meinung und zeigte sich Argumenten gegenüber empfänglich, wonach die Verwaltungsstreitigkeiten besser von Verwaltungsbediensteten als von Richtern entschieden werden können, weil Erstere besser informiert sind und allzu formalisierte Verfahren vermeiden. Zudem wurde vorgebracht, dass die Amtsträger bestrebt seien, gegenüber den administrés gerecht zu handeln, da sie nun einmal durch Wahl bestimmt worden seien. Das fast ohne irgendeine Debatte angenommene Gesetz vom 6. bis 11. September 1790 wies der örtlichen Verwaltung die Rechtswegzuständigkeit für wesentliche Kategorien von Verwaltungsstreitigkeiten zu: Streitigkeiten, die direkte Steuern, Auftragsvergaben für öffentliche Bauvorhaben und Schäden, die bei der Ausführung solcher Vorhaben entstanden, betrafen. Zu diesen Zuständigkeiten kamen mit der Zeit noch weitere hinzu, die politisch sehr bedeutsam waren: Streitigkeiten bezüglich des Verkaufs von staatlichen Besitztümern (zumal von solchen, die vorher der Kirche und Emigranten, d.h. politischen Flüchtlingen, gehört hatten) sowie solche, die Maßnahmen zum Gegenstand hatten, welche gegen Emigranten ergriffen wurden. Das Verfahren zur Regelung von Zuständigkeitskonflikten, bei denen sich ein Gericht und ein Organ der Verwaltung gegenüberstanden und beide die Auffassung vertraten, sie seien für die Entscheidung ein und desselben Rechtsstreits zuständig, begünstigte die Verwaltung. Schnell wurde der bereits angeführte Art. 13 des Titels II des Gesetzes vom 16. bis 24. August 1790 zur Lösung dieser Konflikte in der Weise herangezogen, dass das Prinzip der Trennung zwischen administrativen und richterlichen Funktionen als Grundlage für die Zuweisung des Großteils der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten zunächst an die Verwaltungsbehörden und später dann an die Verwaltungsgerichte betrachtet wurde. Der Artikel ist nach wie vor die Grundlage für die Rechtsprechung des Tribunal des conflits[11] wie auch derjenigen des Conseil d’État.[12]
3. Die napoleonische Schlüsselinstitution: Der Conseil d’État
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Die Verfassung des Jahres VIII (Dezember 1799), die nach dem von Emmanuel Joseph Sieyes angezettelten und von Napoleon Bonaparte zum Erfolg geführten Staatsstreich ausgearbeitet wurde, etablierte das Konsulatsregime (1799–1804). Die Verfassung stärkte in beachtlichem Ausmaß die vollziehende Gewalt, die zum Gouvernement wurde, und besonders den ersten der drei Konsuln, Bonaparte. Die Konsuln wurden durch ein Organ unterstützt, das in mehrfacher Hinsicht an den alten Conseil du roi erinnerte, der ein Opfer der Revolution geworden war: den Conseil d’État (diese Bezeichnung wurde bereits im Ancien Régime häufig für den Conseil du roi verwendet).
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Dem Conseil d’État, der sich aus Beratern (conseillers) zusammensetzte, die vom ersten Konsul ernannt und durch ihn auch wieder abgesetzt werden konnten, kamen zwei Funktionen zu. Seine erste Funktion betraf den Rechtsetzungsprozess. Der Conseil d’État erstellte die Entwürfe für diejenigen Gesetzgebungsvorhaben, für welche die Regierung das alleinige Initiativrecht besaß und welche deren Mitglieder dann gegenüber dem Legislativorgan unterstützten. Er fasste auch die règlements für die öffentliche Verwaltung ab. Seine zweite Funktion bestand darin, „die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit entstehen, zu beseitigen“ (Art. 52 der Verfassung des Jahres VIII). Noch klarer bestimmte die Verordnung vom 5. Nivôse des Jahres VIII (26. Dezember 1799), dass der Conseil „über Streitigkeiten entscheidet, die zuvor in den Zuständigkeitsbereich der Minister fielen“ (Art. 11). Dabei handelte es sich einerseits um Streitigkeiten, die in erster Instanz von Verwaltungsorganen, die über Rechtsprechungskompetenzen verfügten, entschieden und im Beschwerdeverfahren vor die Minister gebracht worden waren, sowie andererseits um Streitigkeiten, die unter dem vorangegangenen politischen System unmittelbar den Ministern vorgelegt worden waren. Die Verordnung des Jahres VIII präzisierte auch die Zusammensetzung des Conseil d’État. Die 30 bis 40 conseillers waren in fünf Sektionen aufgeteilt: Finanzen, Zivil- und Strafgesetzgebung, Krieg, Marine und Inneres. An den Generalversammlungen (assemblées générales) nahmen alle conseillers teil.
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Der Conseil d’État entfaltete unter dem Konsulat und ab dem Jahre 1804 unter dem Empire eine beachtliche Tätigkeit im Bereich der Gesetz- und Verordnunggebung. Er hatte einen herausragenden Anteil an dem Werk der Kodifikation des Privat- und des Strafrechts. Er verfasste natürlich auch zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die sich auf Verwaltungsangelegenheiten bezogen. Ausgehend vom Jahre 1803 wurde der Conseil d’État durch Napoleon mit einer dritten Mission betraut, nämlich derjenigen, an der Ausbildung der zukünftigen