Arbeitsrecht. Jean-Martin Jünger
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A und B befinden sich – wie auch im Fall 2 – in einem Vorstellungsgespräch, nur fragt der A die B diesmal, ob sie vorbestraft sei. B beantwortet diese Frage mit „Nein, selbstverständlich nicht“. Dabei ist ihr durchaus bewusst, dass sie vor 27 Jahren wegen Ladendiebstahls und letztes Jahr wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilt wurde.
Nachdem der Arbeitsvertrag geschlossen ist und B einige Zeit im Schmuckgeschäft gearbeitet hat, erfährt der A von den Vorstrafen der B. Daraufhin teilt er ihr mit, dass er den Vertrag anfechte, denn bei Kenntnis der Tatsache hätte er sie keinesfalls eingestellt.
Hat A den Vertrag wirksam angefochten?
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Lösung
A. Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB
I. Arglistige Täuschung
Auch in diesem Fall kommt zunächst eine Anfechtung des Vertrages aufgrund arglistiger Täuschung der B in Betracht. B hat den A durch die falsche Beantwortung der Frage nach den Vorstrafen arglistig getäuscht.
Bezüglich der Verurteilung wegen Diebstahls ist jedoch zu beachten, dass diese schon 27 Jahre zurückliegt und B sich diesbezüglich als nicht vorbestraft bezeichnen darf (vgl. § 51 BZRG). Zumindest in dieser Hinsicht durfte die B die Verurteilung verschweigen.
II. Widerrechtlichkeit
Fraglich ist, ob die Täuschung bezüglich der Vorbestrafung wegen der Trunkenheitsfahrt rechtswidrig war. Es ist zu prüfen, ob die Frage zulässig war. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Frage ist stets das Interesse des Arbeitgebers daran, sich ein persönliches und fachliches Bild vom Bewerber zu machen, gegen das Interesse des Bewerbers am Schutz seiner Persönlichkeitsrechte abzuwägen. „Intimfragen“ sind grundsätzlich als unzulässig zu erachten. Zulässig können nur solche Fragen sein, an deren Beantwortung der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse hat. Darunter fallen nur Fragen, die in einer konkreten Beziehung zum Arbeitsverhältnis stehen.
Die Frage nach der Vorbestrafung ist für den Arbeitgeber grundsätzlich von Bedeutung, insbesondere, wenn sie im Zusammenhang mit der zu verrichtenden Arbeitstätigkeit steht. So wäre die Frage nach Vermögensdelikten sicherlich zulässig, wenn der Bewerber sich um einen Arbeitsplatz in seinem Schmuckladen bewirbt, bei dem er auch Zugriff auf die Kasse hat. Demgegenüber ist aber nicht ersichtlich, dass die Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt für den A von erheblichem schutzwürdigen Interesse ist. B benötigt nicht notwendigerweise einen Führerschein, um der Tätigkeit als Verkäuferin nachzukommen. Diesbezüglich steht die Frage nach den Vorstrafen nicht in konkretem Zusammenhang mit der Tätigkeit. Die Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt sagt nichts aus über die Fähigkeiten oder die Zuverlässigkeit der B als Verkäuferin. Die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage begründet demnach kein Anfechtungsrecht des A nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB.
B. Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB
Ein Anfechtungsrecht des A könnte sich aus § 119 Abs. 2 ergeben. Dazu müsste sich A bei Vertragsschluss mit der B in einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der B befunden haben.
Auch die Beziehung der Person zu ihrer Umwelt kann eine Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 sein. Allerdings kann die Verkehrswesentlichkeit nur dann bejaht werden, wenn die Eigenschaft in einem konkreten Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit steht. Diesbezüglich gilt das soeben Gesagte. Eine Anfechtungsmöglichkeit des A besteht demnach nicht.
Ergebnis
Das Arbeitsverhältnis ist nicht wirksam angefochten worden.
6. Die AGB-Kontrolle
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In der Praxis werden Arbeitsverträge oftmals vom Arbeitgeber vorformuliert. Seit der Reform des Rechts über allgemeine Geschäftsbedingungen, bei der die Regelungen des AGBG in das BGB übernommen wurden, werden diese Vorschriften auch im Arbeitsrecht angewandt. Zuvor hatte das AGBG durch eine Bereichsausnahme das Arbeitsrecht außen vor gelassen.
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Derart vorformulierte Arbeitsverträge bzw. ihre Klauseln sind nur dann wirksam, wenn sie einer AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB standhalten.
Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen
I.Handelt es sich bei der Vertragsklausel um eine AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB?
Einmalige Verwendung genügtRn. 133
II.Wirksamer Einbezug
Besonderheit des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB Rn. 135
III.Überraschende Klausel?
IV.Verdrängung durch vorrangige Individualabrede § 305b BGB?
V.Unklarheitenregelung, § 305c Abs. 2 BGB
VI.Inhaltskontrolle
1.AGB-Prüfung eröffnet? § 307 Abs. 3 BGB
2.Prüfung der inhaltlichen Wirksamkeit der Klausel
a)Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) unter Berücksichtigung der „arbeitsrechtlichen Besonderheiten“ (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB)
b)Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit (§ 308 BGB) unter Berücksichtigung der „arbeitsrechtlichen Besonderheiten“ (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB)
c)Generalklausel § 307 BGB
VII.Ergebnis: Klausel unwirksam?
a) Anwendung der AGB-Kontrolle auf Arbeitsverträge
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Die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge ergibt sich aus § 310 Abs. 4 BGB. Der Anwendungsbereich erstreckt sich auf Einzelarbeitsverträge. Keine Anwendung finden die §§ 305 ff. BGB auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB).
Hinweis
Zu differenzieren ist bei einer Bezugnahme auf einen Tarifvertrag. Handelt es sich um einen Gesamtverweis oder einen Verweis auf einen kompletten Regelungskomplex einer einschlägigen Branche, findet keine Inhaltskontrolle statt. Denn der Tarifvertrag ist das Verhandlungsergebnis zweier gleichstarker Partner, von einer Richtigkeitsgewähr aufgrund dieser Parität ist auszugehen. Bei einem Verweis nur auf einzelne Regelungen eines branchenfremden Tarifvertrags kann hingegen eine Angemessenheit