Zeuge und Aussagepsychologie. Gabriele Jansen
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b) BGH-Grundsatzentscheidung 1999
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Im Jahr 1999 hat der 1. Strafsenat des BGH eine Grundsatzentscheidung zu den wissenschaftlichen Mindestanforderungen, die aussagepsychologische Gutachten zu erfüllen haben, gefällt.
Die Entscheidung ist vielfach veröffentlicht worden, u. a. auch in der amtlichen Entscheidungssammlung des BGH[86].
Prof. Fiedler und Prof. Steller wurden als Sachverständige gehört. Ihre wissenschaftlichen Gutachten sind vollständig veröffentlicht, so
• | Fiedler/Schmid Gutachten über Methodik für Psychologische Glaubwürdigkeitsgutachten, PdR 1999, 5 ff. und |
• | Steller/Volbert Wissenschaftliches Gutachten, Forensisch-psychologische Begutachtung (Glaubwürdigkeitsbegutachtung), PdR 1999, 46 ff. |
Zu der Entscheidung gibt es mehrere erläuternde Beiträge in der Literatur, z. B.[87]:
• | Boetticher Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten, in: Barton, Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, 2002, S. 55 ff. |
• | Jansen/Kluck Unter Kontrolle: Aussagepsychologische Gutachten, PdR, Sonderheft 1 – Glaubhaftigkeitsbegutachtung –, 2000, 89 ff. |
• | Jansen Überprüfung aussagepsychologischer Gutachten, StV 2000, 224 ff. |
• | Meyer-Mews Die ,in dubio contra reo‘-Rechtsprechungspraxis bei Aussage-gegen-Aussage-Delikten, NJW 2000, 916 ff. |
• | Offe Anforderungen an die Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, NJW 2000, 929. |
• | Schade/Harschneck Die BGH-Entscheidung im Rückblick auf die Wormser Mißbrauchsprozesse, PdR Sonderheft 1 – Glaubhaftigkeitsbegutachtung –, 2000, 28 ff. |
• | Schaefer Mehr Professionalität in Jugendschutzverfahren, NJW 2000, 928 f. |
• | Steller/Volbert Anforderungen an die Qualität forensisch-psychologischer Glaubhaftigkeitsbegutachtungen – Das BGH-Urteil v. 30. Juli 1999, PdR, Sonderheft 1 – Glaubhaftigkeitsbegutachtung, 2000, 102 ff. |
Die Grundsatzentscheidung steht in engem Zusammenhang mit der erneuten ablehnenden Entscheidung des BGH[88] zum sog. Lügendetektor.
c) Nachfolgeentscheidungen
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Nach der Grundsatzentscheidung sind weitere Entscheidungen des BGH zu den Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, ergangen, deren Inhalt stichwortartig hier dargestellt wird:
• | BGH [3 StR 301/07] nur die realistischen Erklärungsmöglichkeiten sind zu diskutieren, methodische Grundprinzipien beschreiben den derzeitigen wissenschaftlichen Standard, Gutachter müssen nicht einheitlich dieser Prüfstrategie folgen, es ist dem Sachverständigen überlassen, in welcher Art und Weise er dem Gericht sein Gutachten unterbreitet. |
• | BGH [1 StR 274/02] Anforderungen an die Prüfung der Unwahrhypothese |
• | BGH [1 StR 582/99][89] die Befolgung einer einheitlichen Prüfstrategie, eines einheitlichen Gutachtenaufbaus, einer bestimmten Reihenfolge der Elemente der Aussagebeurteilung ist nicht erforderlich, es ist dem Sachverständigen überlassen, in welcher Art und Weise er sein Gutachten dem Gericht unterbreitet. |
• | BGH [4 StR 339/99][90] Verweis auf die Grundsatzentscheidung |
Pfister[91] fasst die Rechtsprechung unter der Überschrift „Was ist seit BGHSt 45, 164 geschehen?“ zusammen und gibt einen „Überblick über die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen“.
Steller/Böhm[92] referieren – aus aussagepsychologischer Sicht – zu „50 Jahre Rechtsprechung des BGH zur Aussagepsychologie: Bilanz und Ausblick“ u. a. zur Anerkennung der aussagepsychologischen Methodik, zu Psychologen oder Psychiatern als Sachverständigen, zu aktuellen Entwicklungen in der Aussagepsychologie und Jurisprudenz, zur Begutachtung erwachsener Zeugen, zu Besonderheiten der Erinnerungen nach Traumaerleben und zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen.
Teil 1 Zeugenaussage › I › 6. Qualität aussagepsychologischer Gutachten
6. Qualität aussagepsychologischer Gutachten
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Ende der neunziger Jahre ergab eine Untersuchung von Busse/Volbert[93] nur eine geringe Anzahl von Begutachtungen durch Psychologen (und nicht Psychiater). Fast nie wurde der Gutachtenauftrag begründet. Inhaltlich waren „bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Gutachten wissenschaftliche Mindeststandards wie Nennung der gewählten Untersuchungsmethoden, Trennung von Bericht und Interpretation etc. nicht bzw. nur teilweise erfüllt“.[94] Viele Gutachten bewegten sich im „mittleren Bereich“, jedoch wurde „in beinahe der Hälfte der Gutachten ein primär persönlichkeitsorientiertes Vorgehen verfolgt …, obwohl dies dem derzeitigen wissenschaftlichen Stand nicht entspricht“[95].
Die Untersuchung ergab ferner, dass „die Fälle mit eindeutiger positiver Glaubwürdigkeits- bzw. Glaubhaftigkeitsbeurteilung in fast allen Fällen mit einer Verurteilung endeten“[96].
Zehn Jahre nach der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 1999 könnte man hoffen, die Gutachtenqualität hätte sich insgesamt verbessert. Bei genauerem Hinsehen erscheint es aber nach wie vor so, dass Sachverständige die verschiedenen Hypothesen nur stereotyp bilden und abarbeiten, diese nicht fallspezifisch genug entwickeln und sie auch der Suggestionshypothese nicht immer mit dem nötigen fachlichen Wissen begegnen. Der Wunsch, dem Zeugen grundsätzlich glauben zu wollen, würde sicher von jedem Sachverständigen nach außen verneint, scheint aber vielfach präsent zu sein. Gezieltes Herausfragen von Realkennzeichen, einseitige Deutung des Aussageverhaltens tragen nach wie vor zu einer Vielzahl von Gutachten schlechter Qualität bei. Oftmals ist jedoch auch mangelnde Sachkunde, fehlendes dogmatisches Verständnis dafür verantwortlich. Eindrucksvoll ist die Liste der vielfach auftretenden Fehler, über die Köhnken[97] berichtet.
Teil 1 Zeugenaussage › I › 7. Ausweitung des Anwendungsbereichs der Aussagepsychologie
7. Ausweitung des Anwendungsbereichs der Aussagepsychologie
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