Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
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1. Blankettgesetzgebung
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Im Vergleich zum Kernstrafrecht sind die so genannten Blankettnormen im Wirtschaftsstrafrecht besonders häufig anzutreffen. Man versteht hierunter „offene“ Tatbestände, die zu ihrer Ausfüllung auf andere Rechtsakte der Legislative oder der Exekutive verweisen.
Zu unterscheiden sind Blankettstrafgesetze im engeren Sinne von solchen im weiteren Sinne: Unter ersteren versteht man Normen, die auf eine andere Instanz als den Gesetzgeber des Blanketts für die Ausfüllung desselben verweisen (die so genannte Außenverweisung).[1] Blankettstrafgesetze im weiteren Sinne hingegen sind bloße Binnenverweisungen, also Verweisungen auf andere Normen innerhalb desselben Gesetzes; sie werden daher auch „unechte Blankettgesetze“ genannt. Sie sind unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich.[2] Ein Beispiel für ein unechtes Blankett findet sich in § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB, der die nicht rechtzeitige Aufstellung der Bilanz „entgegen dem Handelsrecht“ unter Strafe stellt: Die Vorschrift verweist hier auf ausgestaltende Normen im Handelsrecht, und zwar nicht nur auf solche im HGB, sondern auch auf die einschlägigen Fristen in den handelsrechtlichen Spezialgesetzen.[3]
2. Tatbestandliche Bestimmtheit
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Echte Blankettnormen sind in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht unproblematisch: Sie müssen sich, wie alle anderen strafrechtlichen Normen auch, an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen, der den Grundsatz normiert, dass keine Tat bestraft werden darf, wenn sie nicht vorher durch Gesetz als Straftat definiert und mit einer entsprechenden Sanktion belegt worden ist (nulla poena sine lege). Dies impliziert wiederum das so genannte Bestimmtheitsgebot: Es muss für den Normadressaten vorhersehbar sein, welches Verhalten verboten und strafbar ist.[4] Diese erforderliche Bestimmtheit kann bei Blankettstrafnormen, in denen nicht alle Voraussetzungen einer möglichen Strafbarkeit normiert sind, weil der Inhalt der Verweisungsnorm zur Konkretisierung erforderlich ist, zweifelhaft sein. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Strafgesetzes ersichtlich sein müssen und nicht erst aufgrund des hierauf gestützten normausfüllenden Rechtsaktes vorauszusehen sein dürfen.[5] Ausreichend soll nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit sein, dass aus der formell-gesetzlichen Strafnorm zumindest das Risiko einer Bestrafung hervorgeht.[6] Darüber hinaus muss ebenfalls eine die Blankettnorm ausfüllende Verordnung dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.[7]
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Der Anspruch an die Bestimmtheit strafrechtlicher Normen wird allerdings relativiert: So herrscht zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur Einigkeit darüber, dass an den Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden dürfen.[8] Der Gesetzgeber ist daher „nach Möglichkeit“ gehalten, ein Gesetz so genau zu formulieren, dass sich für den Bürger die Grenze des straffreien Raums schon eindeutig aus dem Gesetzestext ergibt.[9] Er muss nur „die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen“.[10]
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In der Literatur finden sich vereinzelt Zweifel an der erforderlichen Bestimmtheit der insolvenzstrafrechtlichen zentralen Begriffe[11] der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung.[12] Diese Begriffe finden sich, wie oben dargelegt, nicht nur in den §§ 283 ff. StGB, sondern ebenfalls im Insolvenzrecht, wo sie in den §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 2 und 19 Abs. 2 InsO legaldefiniert sind. Diese Definitionen weichen allerdings von den durch die Rechtsprechung für das Insolvenzstrafrecht entwickelten Begriffen ab, sie sind weiter gefasst.[13] Es herrscht Uneinigkeit bezüglich der Frage, ob die seit dem 1.1.1999 in der InsO enthaltenen Legaldefinitionen für die Auslegung der gleich lautenden Begrifflichkeiten im StGB verbindlich sind.[14] Während sich der BGH für eine zivilrechtsakzessorische Auslegung entschieden hat,[15] sieht die wohl überwiegende Meinung in einer vom neueren Insolvenzrecht abweichenden bzw. diese ergänzenden insolvenzstrafrechtlichen Definition der Begriffe kein Problem.[16]
3. Leichtfertige Begehungsweise/Berufsfahrlässigkeit im Wirtschaftsstrafrecht
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Neben der vorsätzlichen Begehungsweise finden sich in § 283 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 2 StGB Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung durch eine leichtfertige Verursachung der Krise. Das Merkmal der Leichtfertigkeit, einer gesteigerten Form der Fahrlässigkeit, die der groben Fahrlässigkeit entspricht und in der Vernachlässigung elementarer Anforderungen an den Täter durch denselben zu sehen ist,[17] taucht an verschiedenen Stellen im Wirtschaftsstrafrecht auf (vgl. z. B. §§ 261 Abs. 5, 264 Abs. 4 StGB). Die viel geübte Kritik, die Aufnahme der leichtfertigen Verwirklichung in Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts diene vor allem der Überwindung von Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Vorsatzes des Täters,[18] erscheint für die Insolvenzdelikte nicht zutreffend: Die Inkriminierung der leichtfertigen Verwirklichung insolvenzstrafrechtlicher Tatbestände findet ihre Rechtfertigung in dem Umstand, dass einem Schuldner, der sich am Rande der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit bewegt, eine besondere Verantwortung und damit auch besondere Sorgfaltspflichten auferlegt werden können, weil er mit fremden Mitteln gewirtschaftet hat und ihn insoweit eine gesteigerte Pflicht trifft.[19] Darüber hinaus besteht eine lange Tradition im Insolvenzstrafrecht, auch die fahrlässige Begehungsweise zu bestrafen.[20]
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › F. Verzahnung von Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht › II. Wahrheitsermittlung und Selbstbelastungsfreiheit
1. Selbstbelastungsfreiheit
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Das Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum accusare“) bedeutet, dass den Angeklagten keine Pflicht trifft, das Gericht bei der Sachverhaltsaufklärung zu unterstützen,[21] er genießt Aussagefreiheit (vgl. §§ 136, 163a, 243 Abs. 4 StPO).
Dieser Grundsatz ist allgemein anerkannt[22] und explizit in Art. 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966[23] geregelt, der über Art. 59 GG nationales Recht im Rang einfachgesetzlichen Bundesrechts geworden ist. Zwar hat er weder im Grundgesetz selber noch in der StPO[24] einen expliziten Niederschlag gefunden, wird allerdings in der Rechtsprechung als „selbstverständlich vorausgesetzter rechtsstaatlicher Grundsatz“[25] bezeichnet, der aus der Achtung der Menschenwürde resultiere. Die Literatur sieht die verfassungsrechtliche Grundlage des nemo-tenetur-Grundsatzes überwiegend in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip begründet.[26] Entsprechend ist auch der Einsatz von Zwangsmitteln gegen den Beschuldigten mit dem Ziel, ihn zu einer aktiven Mitwirkung an seiner eigenen Strafverfolgung zu bewegen, verboten (§ 136a StPO).
Ein Ausfluss aus dem Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit sind die strafprozessualen Regelungen, die es verbieten, bestimmte Beweise gegen den Angeklagten zu verwerten oder sie überhaupt zu erheben.
a) Allgemein