Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
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aa) Der Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts
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Eine zentrale Entscheidung zur Selbstbelastungsfreiheit und den daraus resultierenden Beweisverboten ist der so genannte Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.1.1981.[28] In diesem Beschluss stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass den Gemeinschuldner auch dann die Pflicht zur Aussage gegenüber dem Konkursverwalter nach der Vorschrift des (damaligen) § 100 KO trifft, wenn er damit strafbewehrte Handlungen offenbaren muss. Diese Pflicht verletze auch nicht das Selbstbezichtigungsverbot: Im Gegensatz zu Zeugen, Prozessbeteiligten und Beschuldigten, denen stets ein Schweigerecht für den Fall einer Selbstbezichtigung zugebilligt werde, gehöre der Gemeinschuldner zu den Personen, die aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses verpflichtet sind, anderen diese notwendige Informationen zu erteilen.[29] Der entscheidende Unterschied zu den Personengruppen mit einem umfassenden Schweigerecht bestehe darin, dass sich hier nicht Selbstbelastungsfreiheit und staatliche Strafverfolgungsinteressen gegenüberstehen, sondern ein Schweigerecht des Auskunftspflichtigen in dieser Konstellation mit dem berechtigten Informationsbedürfnis anderer kollidiere, welches nur durch den Auskunftspflichtigen bedient werden könne.[30]
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Der Gemeinschuldner ist daher aufgrund seiner umfassenden Pflichten gegenüber den Gläubigern in der Konkurs- bzw. Insolvenzsituation zunächst uneingeschränkt auskunftspflichtig. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht daneben die Ergänzung der Auskunftspflicht durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot betont, da dem Gemeinschuldner im Strafverfahren die Selbstbelastungsfreiheit zur Seite stehe und seine selbstbelastende Aussage daher nicht „gegen seinen Willen zweckentfremdet und (außerhalb des Insolvenzverfahrens) der Verwertung für eine Strafverfolgung zugeführt“ werden dürfe.[31] Die Verwertung einer derartigen erzwungenen Aussage sei unzulässig.
bb) Beweisverwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
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Diesen Anforderungen hat der Gesetzgeber nunmehr in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO explizit Rechnung getragen. Gemäß § 97 Abs. 1 S. 1 InsO hat der Schuldner dem Insolvenzverwalter, dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss selbständig[32] Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu erteilen.[33] Umfasst sind gem. § 97 Abs. 1 S. 2 InsO auch die Tatsachen, die geeignet erscheinen, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Kommt der Schuldner seinen Auskunftspflichten nicht nach, so ist die Anordnung von Beugehaft nach § 98 Abs. 2 Nr. 1 InsO möglich.[34]
Durch § 97 Abs. 1 S. 3 InsO wird dem nemo-tenetur-Grundsatz Rechnung getragen, indem dort bestimmt wird, dass die im Rahmen der Auskunftspflicht gemachten Angaben nicht im Strafverfahren verwendet werden dürfen – es sei denn, der Schuldner stimmt der Verwendung zu. Die Möglichkeit der Zustimmung des Schuldners zur Verwendung seiner Auskünfte zu eigenem strafrechtlich relevantem Verhalten erscheint allerdings bei lebensnaher Betrachtung eher unwahrscheinlich.
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Während aus dem Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts nach allgemeiner Meinung lediglich ein Verwertungsverbot resultierte,[35] dieses Verbot aber nicht Beweismittel umfasste, die erst mittelbar, aufgrund der Angaben des Schuldners, erhoben werden konnten,[36] erscheint die Reichweite des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO zumindest unklar.[37] Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum erblickt in dem Wort „verwenden“ ein Indiz für ein umfassendes Verwendungsverbot des Inhalts, dass „auch solche Tatsachen, zu denen die Auskunft des Schuldners nur den Weg gewiesen hat, nicht verwertet werden dürfen“.[38] Die Vertreter dieser Ansicht haben den Wortlaut der Begründung zu § 109 Abs. 1 des Entwurfs der Bundesregierung zur InsO, der wortgleich mit § 97 Abs. 1 InsO ist, auf ihrer Seite.[39] Auch das LG Stuttgart nimmt in einer Entscheidung vom 21.7.2000,[40] die sich, soweit ersichtlich, erstmalig zur Reichweite des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO verhält, Bezug auf den Wortlaut: Aus der Tatsache, dass in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO von „verwenden“ und nicht wie in § 100 KO von „verwerten“ die Rede sei, ergebe sich eindeutig eine gesetzgeberisch intendierte Fernwirkung.[41]
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Streitig ist in diesem Kontext, ob § 97 Abs. 1 S. 3 InsO die Begründung des Anfangsverdachts verbietet und ob er des Weiteren Grundlage für ein weitreichendes Beweiserhebungsverbot sein kann.[42] Diese Frage wird virulent in der Konstellation der Durchsuchung und Beschlagnahme von Unterlagen beim Insolvenzverwalter. Das LG Potsdam hat in seinem Urteil vom 8.1.2007[43] zunächst klargestellt, dass ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO hinsichtlich der beim Insolvenzverwalter befindlichen Unterlagen mangels Verschwiegenheitspflicht des Insolvenzverwalters[44] nicht bestehe und eine Durchsuchung – unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme – nach §§ 103, 105 StPO möglich ist.[45] Das LG Ulm hat in seinem Beschluss vom 15.1.2007[46] darüber hinaus entschieden, dass § 97 Abs. 1 S. 3 InsO jedenfalls kein allgemeines Beschlagnahme- oder Durchsuchungsverbot konstituiert.[47] Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts ist außerdem umstritten, ob ein strafprozessuales Verwertungsverbot für Aufzeichnungen besteht, die vom Beschuldigten oder in seinem Unternehmen über prozessrelevante Daten angefertigt wurden. Wohl unstreitig ist der Fall, in dem diese Aufzeichnungen freiwillig, das heißt ohne entsprechende gesetzliche Verpflichtung, gemacht wurden; in dieser Konstellation besteht kein Selbstbezichtigungszwang, folglich bleiben die Aufzeichnungen für den Prozess verwertbar.[48] Dies ist auch dann der Fall, wenn der Schuldner eine inhaltsgleiche Auskunft erteilt.[49] Schwieriger gestaltet sich der Fall, in dem die zu verwertenden Unterlagen aufgrund gesetzlicher Verpflichtung erstellt worden sind.[50] Diese Unterlagen enthalten Erkenntnisse, die der Schuldner dem Berechtigten auch im Wege einer Auskunft mitteilen könnte, und grds. dürfen solche Erkenntnisse, die auf einer Auskunft des Schuldners beruhen, nicht verwendet werden. Allerdings soll eine Verwendung dann möglich sein, wenn die entsprechenden Informationen durch die Sichtung der Aufzeichnungen gewonnen wurden;[51] die Vorlage von Geschäftsunterlagen sei kein Teil der Erfüllung der Auskunftspflicht des Schuldners nach § 97 Abs. 1 InsO, sondern stelle vielmehr eine Mitwirkungspflicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens dar.[52] Auch gehe aus der Entstehungsgeschichte des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO hervor, dass vom Verwertungsverbot lediglich die nach § 97 Abs. 1 S. 1 InsO im Rahmen des Insolvenzverfahrens erzwingbaren Auskünfte erfasst werden, nicht aber bereits existierende Unterlagen oder Aufzeichnungen.[53] Die Plausibilität der Unterscheidung danach, ob die interessierenden Unterlagen bereits vorhanden waren oder erst auf Verlangen des Insolvenzverwalters erstellt wurden, erscheint allerdings eher zweifelhaft.[54]
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Die Einführung von aus Angaben des Schuldners gem. § 97 Abs. 1 InsO gewonnenen Erkenntnissen in die Hauptverhandlung soll nach wohl überwiegender Ansicht[55] jedenfalls dann kein Verwertungsverbot auslösen, wenn dieselben Erkenntnisse in rechtlich zulässiger Weise hätten gewonnen werden können (so genannter hypothetischer Ersatzeingriff).[56]