Die Elixiere des Teufels / Эликсиры Сатаны. Эрнст Гофман
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Da du, günstiger Leser! soeben Heiligenbilder, ein Kloster und Mönche geschaut hast, so darf ich kaum hinzufügen, dass es der herrliche Garten des Kapuzinerklosters in B. war, in den ich dich geführt hatte.
Als ich mich einst in diesem Kloster einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwürdige Prior die von dem Bruder Medardus nachgelassene, im Archiv aufbewahrte Papiere als eine Merkwürdigkeit, und nur mit Mühe überwand ich des Priors Bedenken, sie mir mitzuteilen. Eigentlich, meinte der Alte, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen. – Nicht ohne Furcht, du werdest des Priors Meinung sein, gebe ich dir, günstiger Leser! nun das aus jenen Papieren geformte Buch in die Hände. Entschließest du dich aber, mit dem Medardus, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen – durch die bunte-bunteste Welt zu ziehen und mit ihm das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte seines Lebens zu ertragen, so wirst du dich vielleicht an den mannigfachen Bildern der Camera obscura, die sich dir aufgetan, ergötzen. – Es kann auch kommen, dass das gestaltlos Scheinende, sowie du schärfer es ins Auge fassest, sich dir bald deutlich und rund darstellt. Du erkennst den verborgenen Keim, den ein dunkles Verhängnis gebar und der, zur üppigen Pflanze emporgeschossen, fort und fort wuchert, in tausend Ranken, bis eine Blüte, zur Frucht reifend, allen Lebenssaft an sich zieht und den Keim selbst tötet.
Nachdem ich die Papiere des Kapuziners Medardus recht emsig durchgelesen, welches mir schwer genug wurde, da der Selige eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geschrieben, war es mir auch, als könne das, was wir insgemein Traum und Einbildung nennen, wohl die symbolische Erkenntnis des geheimen Fadens sein, der sich durch unser Leben zieht, es festknüpfend in allen seinen Bedingungen, als sei der aber für verloren zu achten, der mit jener Erkenntnis die Kraft gewonnen glaubt, jenen Faden gewaltsam zu zerreißen und es aufzunehmen mit der dunklen Macht, die über uns gebietet. Vielleicht geht es dir, günstiger Leser! wie mir, und das wünschte ich denn aus erheblichen Gründen recht herzlich.
Erster Teil
Erster Abschnitt
Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben
Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte; rufe ich mir aber alles das ins Gedächtnis zurück, was sie mir schon in meiner frühesten Jugend von ihm erzählte, so muß ich wohl glauben, dass es ein mit tiefen Kenntnissen begabter, lebenskluger Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter über ihr früheres Leben, die mir erst später verständlich worden, weiß ich, dass meine Eltern von einem bequemen Leben, welches sie im Besitz vieles Reichtums führten, herabsanken in die drückendste, bitterste Armut und dass mein Vater, einst durch den Satan verlockt zum verruchten Frevel, eine Todsünde beging, die er, als ihn in späten Jahren die Gnade Gottes erleuchtete, abbüßen wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, dass diese nicht unfruchtbar bleiben würde, wie mein Vater befürchtet, und seiner Dürftigkeit unerachtet war er hoch erfreut, weil nun eine Vision in Erfüllung gehen sollte, in welcher ihm der heilige Bernardus Trost und Vergebung der Sünde durch die Geburt eines Sohnes zugesichert hatte.
In der heiligen Linde erkrankte mein Vater, und je weniger er die vorgeschriebenen beschwerlichen Andachtsübungen seiner Schwäche unerachtet aussetzen wollte, desto mehr nahm das Übel Überhand; er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als ich geboren wurde. – Mit dem ersten Bewußtsein dämmern in mir die lieblichen Bilder von dem Kloster und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf. Mich umrauscht noch der dunkle Wald – mich umduften noch die üppig aufgekeimten Gräser, die bunten Blumen, die meine Wiege waren. Kein giftiges Tier, kein schädliches Insekt nistet in dem Heiligtum der Gebenedeiten; nicht das Sumsen einer Fliege, nicht das Zirpen des Heimchens unterbricht die heilige Stille, in der nur die frommen Gesänge der Priester erhallen, die, mit den Pilgern goldne Rauchfässer schwingend, aus denen der Duft des Weihrauchopfers emporsteigt, in langen Zügen daherziehen. Noch sehe ich mitten in der Kirche den mit Silber überzogenen Stamm der Linde, auf welche die Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel – der Heiligen – von den Wänden, von, der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster, wo ihrem tiefsten Schmerz gnadenreicher Trost zuteil wurde, sind so in mein Innres gedrungen, dass ich alles selbst gesehen, selbst erfahren zu haben glaube, unerachtet es unmöglich ist, dass meine Erinnerung so weit hinausreicht, da meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – So ist es mir, als hätte ich selbst einmal in der öden Kirche die wunderbare Gestalt eines ernsten Mannes gesehen und es sei eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit, als eben die Kirche gebaut, erschien, dessen Sprache niemand verstehen konnte und der mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das herrlichste ausmalte, dann aber, als er fertig worden, wieder verschwand. – So gedenke ich ferner noch eines alten, fremdartig gekleideten Pilgers mit langem grauen Barte, der mich oft auf den Armen umhertrug, im Walde allerlei bunte Moose und Steine suchte und mit mir spielte, unerachtet ich gewiß glaube, dass nur aus der Beschreibung meiner Mutter sich im Innern sein lebhaftes Bild erzeugt hat. Er brachte einmal einen fremden, wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Uns herzend und küssend, saßen wir im Grase, ich schenkte ihm alle meine bunten Steine, und er wußte damit allerlei Figuren auf dem Erdboden zu ordnen, aber immer bildete sich daraus zuletzt die Gestalt des Kreuzes. Meine Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank, und der Alte schaute, hinter ihr stehend, mit mildem Ernst unsern kindischen Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch, die, nach ihrer Kleidung und nach ihrem ganzen Wesen zu urteilen, wohl nur aus Neugierde und Schaulust nach der heiligen Linde gekommen waren. Einer von ihnen rief, indem er uns gewahr wurde, lachend:»Sieh da! eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!«– Er zog wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an, uns zu zeichnen; da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig:»Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe; aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst, und du wirst wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armseligkeit.«
Die Jünglinge eilten bestürzt von dannen. – Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter:»Ich habe Euch heute ein wunderbares Kind gebracht, damit es in Euerm Sohn den Funken der Liebe entzünde, aber ich muß es wieder von Euch nehmen, und Ihr werdet es wohl, so wie mich selbst, nicht mehr schauen. Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet, aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blute, er kann jedoch sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen, lasset ihn geistlich werden!«– Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen, unauslöschlichen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht hatten; sie beschloß aber demunerachtet, meiner Neigung durchaus keinen Zwang anzutun, sondern ruhig abzuwarten, was das Geschick über mich verhängen und wozu es mich leiten würde, da sie an irgendeine andere höhere Erziehung, als die sie selbst mir zu geben imstande war, nicht denken konnte. – Meine Erinnerungen aus deutlicher, selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser-Nonnenkloster gekommen war, dessen gefürstete Äbtissin, die meinen Vater gekannt hatte, sie freundlich aufnahm. Die Zeit von jener Begebenheit mit dem alten Pilger, welche ich in der Tat aus eigner Anschauung weiß, so dass sie meine Mutter nur rücksichts der Reden des Malers und des alten Pilgers ergänzt hat, bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin brachte, macht eine völlige Lücke: nicht die leiseste Ahnung ist mir davon übriggeblieben.