Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры. Клаус Манн
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«Sind die Löhne wirklich so entsetzlich schlecht?«
«Miserabel. Dabei fallen sie noch – und die Preise steigen.«
«Die Dekorierung des Opernhauses für heute abend soll 60.000 Mark gekostet haben. Dazu kommen mindestens noch 40.000 Mark andere Spesen – nicht mitgerechnet die Unkosten, die es der öffentlichen Kasse gemacht hat, das Opernhaus, wegen der Vorbereitungen für den Ball, fünf Tage lang geschlossen zu halten.«
«Eine nette kleine Geburtstagsfeier.«
«Ekelhaft, daß man den Rummel mitmachen muß.«
Die beiden ausländischen jungen Diplomaten verneigten sich, auf den Gesichtern das liebenswürdigste Lächeln, vor einem Offizier in großer Uniform, der hinter seinem Monokel einen mißtrauischen Blick auf sie geworfen hatte.
«Die ganze hohe Generalität ist da. «Sie sprachen erst wieder, als sie die große Uniform außer Hörweite wußten.
«Aber sie sind alle für den Frieden begeistert«, fügte der andere boshaft hinzu.
«Wie lange noch?«fragte fröhlich lächelnd der Erste, wobei er eine kleine Dame von der japanischen Botschaft begrüßte, die am Arm eines hünenhaften Marineoffiziers klein und zierlich einherschritt.
«Wir müssen auf alles gefaßt sein.«
Ein Herr vom Auswärtigen Amt gesellte sich zu den beiden jungen Botschaftsattachés, die sofort dazu übergingen, Pracht und Schönheit der Saaldekoration zu preisen.»Ja, der Herr Ministerpräsident hat Freude an diesen Dingen«, sagte, etwas verlegen, der Herr vom Auswärtigen Amt. -»Aber es ist alles geschmackvoll«, versicherten die beiden jungen Diplomaten, beinah im gleichen Atem. -»Gewiß«, sprach gequält der Herr aus der Wilhelmstraße. -»Eine so prachtvolle Veranstaltung kann man heute nirgends als in Berlin finden«, sagte einer der beiden Ausländer noch. Der Herr vom Außenministerium zögerte eine Sekunde lang, ehe er sich zu einem höflichen Lächeln entschloß.
Es entstand eine Gesprächspause. Die drei Herren blickten um sich und lauschten dem festlichen Lärm.»Kolossal«, sagte schließlich einer von den beiden jungen Leuten leise – diesmal ohne jeden Sarkasmus, sondern wirklich beeindruckt, beinah verängstigt von dem riesenhaften Aufwand, der ihn umgab. Das Flimmern der von Lichtern und Wohlgerüchen gesättigten Luft war so stark, daß es ihm die Augen blendete. Ehrfurchtsvoll, aber mißtrauisch blinzelte er in den bewegten Glanz. ›Wo bin ich nur?‹ dachte der junge Herr – er kam aus einem der skandinavischen Länder – . ›Der Ort, an dem ich mich befinde, ist ohne Frage sehr lieblich und verschwenderisch ausgestattet; dabei aber auch etwas grauenhaft. Diese schön geputzten Menschen sind von einer Munterkeit, die nicht gerade vertrauenerweckend wirkt. Sie bewegen sich wie die Marionetten – sonderbar zuckend und eckig. In ihren Augen lauert etwas, ihre Augen haben keinen guten Blick, es gibt in ihnen so viel Angst und so viel Grausamkeit. Bei mir zu Hause schauen die Leute auf eine andere Art – sie schauen freundlicher und freier, bei mir zu Hause. Man lacht auch anders, bei uns droben im Norden. Hier haben die Gelächter etwas Höhnisches und etwas Verzweifeltes; etwas Freches, Provokantes, und dabei etwas Hoffnungsloses, schauerlich Trauriges. So lacht doch niemand, der sich wohl fühlt in seiner Haut. So lachen doch Männer und Frauen nicht, die ein anständiges, vernünftiges Leben führen…‹ —
Der große Ball zum 43. Geburtstag des Ministerpräsidenten fand in allen Räumen des Opernhauses statt. In den ausgedehnten Foyers, in den Couloirs und Vestibülen bewegte sich die geputzte Menge. Sie ließ Sektpfropfen knallen in den Logen, deren Brüstungen mit kostbaren Draperien behängt waren; sie tanzte im Parkett, aus dem man die Stuhlreihen entfernt hatte. Das Orchester, das auf der leergeräumten Bühne seinen Platz hatte, war umfangreich, als sollte es eine Symphonie aufführen, mindestens von Richard Strauß. Es spielte aber nur, in keckem Durcheinander, Militärmärsche und jene Jazz-Musik, die zwar wegen niggerhafter Unsittlichkeit verpönt war im Reiche, die aber der hohe Würdenträger auf seinem Jubelfeste nicht entbehren wollte.
Hier hatte alles sich eingefunden, was in diesem Lande etwas gelten wollte, niemand fehlte – außer dem Diktator selbst, der sich wegen Halsschmerzen und angegriffener Nerven hatte entschuldigen lassen, und außer einigen etwas plebejischen Parteiprominenten, die nicht eingeladen worden waren. Hingegen bemerkte man mehrere kaiserliche und königliche Prinzen, viele Fürstlichkeiten und fast den ganzen Hochadel; die gesamte Generalität der Wehrmacht, sehr viel einflußreiche Financiers und Schwerindustrielle; verschiedene Mitglieder des diplomatischen Corps – meistens von den Vertretungen kleinerer oder weit entfernter Länder – ; einige Minister, einige berühmte Schauspieler – die huldvolle Schwäche des Jubilars für das Theater war bekannt – und sogar einen Dichter, der sehr dekorativ aussah und übrigens die persönliche Freundschaft des Diktators genoß. – Über 2000 Einladungen waren verschickt worden; von diesen waren etwa tausend Ehrenkarten, die zum unentgeltlichen Genuß des Festes berechtigten; von den Empfängern der übrigen tausend hatte jeder fünfzig Mark Eintritt zahlen müssen: so kam ein Teil der ungeheueren Spesen wieder herein – der Rest blieb zu Lasten jener Steuerzahler, die nicht zum näheren Umgang des Ministerpräsidenten und also keineswegs zur Elite der neuen deutschen Gesellschaft gehörten.
«Ist es nicht ein wunderschönes Fest!«rief die umfangreiche Gattin eines rheinischen Waffenfabrikanten der Frau eines südamerikanischen Diplomaten zu.»Ach, ich amüsiere mich gar zu gut! Ich bin so glänzender Laune, und ich wünschte mir, daß alle Menschen in Deutschland, und überall, glänzender Laune würden!«
Die südamerikanische Diplomatenfrau, die nicht gut Deutsch verstand und sich langweilte, lächelte säuerlich.
Die muntere Gattin des Fabrikanten war von solchem Mangel an Enthusiasmus enttäuscht und entschloß sich dazu, weiter zu promenieren.»Entschuldigen Sie mich, meine Liebe!«sagte sie fein und raffte die glitzernde Schleppe.»Ich muß eben mal eine alte Freundin aus Köln begrüßen – die Mutter unseres Staatstheaterintendanten, Sie wissen doch, des großen Hendrik Höfgen.«
Hier tat die Südamerikanerin zum ersten Mal den Mund auf, um zu fragen:»Who is Henrik Hopfgen?«– was die Fabrikantengattin veranlaßte, leise aufzuschreien:»Wie?! Sie kennen unseren Höfgen nicht? – Höfgen, meine Beste – nicht Hopfgen! Und Hendrik, nicht Henrik – er legt größten Wert auf das kleine ›D‹!«
Dabei war sie schon auf die distinguierte Matrone zugeeilt, die am Arme des Dichters und Führerfreundes würdevoll durch die Säle schritt.»Liebste Frau Bella! Es ist eine Ewigkeit her, daß man sich nicht gesehen hat! Wie geht es Ihnen denn, Liebste? Haben Sie manchmal Heimweh nach unserem Köln? Aber Sie befinden sich hier ja in einer so glänzenden Position! Und wie geht es Fräulein Josy, dem lieben Kind? Vor allem: Was macht Hendrik – Ihr großer Sohn! Himmel, was ist aus ihm alles geworden! Er ist ja fast so bedeutend wie ein Minister! Ja ja, liebste Frau Bella, wir in Köln haben alle Sehnsucht nach Ihnen und Ihren herrlichen Kindern!«
In Wahrheit hatte sich die Millionärin niemals um Frau Bella Höfgen gekümmert, als diese noch in Köln gelebt und ihr Sohn die große Karriere noch nicht gemacht hatte. Die Bekanntschaft zwischen den beiden Damen war nur eine flüchtige gewesen; niemals war Frau Bella eingeladen worden in die Villa des Fabrikanten. Nun aber wollte die lustige und gemütvolle Reiche die Hand der Frau, deren Sohn man zu den nahen Freunden des Ministerpräsidenten zählte, gar nicht mehr loslassen.
Frau Bella lächelte huldvoll. Sie war sehr einfach, aber nicht ohne eine gewisse ehrbare Koketterie gekleidet; auf ihrer schwarzen, glatt fließenden Seidenrobe leuchtete eine weiße Orchidee. Das graue, schlicht frisierte Haar bildete einen pikanten Kontrast zu ihrem ziemlich jung gebliebenen, mit dezenter Sorgfalt hergerichteten Gesicht. Aus weiten, grünblauen Augen schaute sie mit einer reservierten, nachdenklichen Freundlichkeit auf die geschwätzige Dame, die den lebhaften deutschen Kriegsvorbereitungen ihr wundervolles Collier, ihre langen Ohrgehänge, die Pariser Toilette und all ihren Glanz verdankte.
«Ich kann nicht klagen, es geht uns allen recht gut«, sprach mit stolzer Bescheidenheit Frau