Die Vampirschwestern – Bissgeschick um Mitternacht. Franziska Gehm
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Franziska Gehm
Die Vampirschwestern – Bissgeschick um Mitternacht
Arktischer Poker
Ein rauer arktischer Wind wehte über die kleine Insel Stumpbjergen. Es klang, als würde Sandpapier über die karge Felslandschaft hinwegschleifen. Stumpbjergen lag wie ein versteinerter Pottwal im arktischen Ozean, nördlich des Polarkreises. Die Küste war zerklüftet und von Fjorden durchsetzt. Der Großteil der Insel war von Gletschern bedeckt. Nur tief in ihrem Inneren brodelte es.
Es war 12 Uhr Mittag und stockdunkel. Auf Stumpbjergen war Polarnacht. Drei Monate lang wagte sich die Sonne nicht über den Horizont. Es gab noch nicht einmal eine Dämmerung.
Es war herrlich. Das fand zumindest Zezcilia Morta Dentiba Tepes.
Zezcilia Morta Dentiba Tepes war 25 445 Jahre alt. Sie war die Mutter von Mihai Tepes, die Schwiegermutter von Elvira Tepes und die Oma von Daka und Silvania Tepes.
Und sie war ein Vampir.
Oma Zezci, wie sie von den Vampirschwestern genannt wurde, flog gerne in der Welt herum. Dabei vergaß sie die Lieben daheim nie und schickte regelmäßig Postkarten. Vor ein paar Nächten war Oma Zezci auf Stumpbjergen gelandet. Sie liebte die endlosen schwarzen Polarnächte. Und das endlose Pokerspielen mit Blodtørst.
Der Vampyr Blodtørst war der einzige Bewohner von Stumpbjergen. Ansonsten verirrten sich nur Eisbären, Robben, Wale und Eismöwen auf die Insel. Menschen mochten das arktische Klima nicht sonderlich. Meistens schneite es auf Stumpbjergen. Wenn es nicht schneite, regnete es. Und wenn es weder schneite noch regnete, hüllte ein dichter Nebel die Insel ein wie eine Duschhaube.
Blodtørst und Oma Zezci kümmerte es nicht, ob es regnete, schneite oder die Insel in einer Nebelsuppe versank. Sie saßen im Trockenen. Vor 1677 Jahren hatte Blodtørst eine Höhle auf der Insel bezogen. In bester Lage. Die Höhle reichte weit ins Innere der Insel. Darin war es trocken, das ganze Jahr über dunkel und warm. Denn 4000 Meter unter dem Meeresspiegel, direkt unter der Höhle, brodelte ein kleiner Vulkan. Er war Blodtørsts Heizung.
Oma Zezci und Blodtørst saßen auf Eisbärenfellen an einem Sarg. Oma Zezci auf der einen Seite, Blodtørst auf der anderen. Das Holz des Sargs schimmerte dunkel im Kerzenschein. Auf dem Sargdeckel lag ein Stapel Spielkarten.
Blodtørst musterte seine Mitspielerin über den Rand der Karten, die er in der Hand hielt. Er trug einen Helm wie ein Wikinger. In seinem rotbraunen langen Bart blitzten zwei gewaltige Eckzähne auf. Seine krausen Haare hatte er mit Möwenfedern zu zwei Zöpfen gebunden. „Was ist? Gehst du mit?“, fragte er. Seine Stimme hallte durch die Höhle wie ein Donnergrollen.
Oma Zezci spitzte den Mund und musterte ihr Blatt. Dann schielte sie darüber hinweg zu Blodtørst. Ihre dunkelroten Augen glänzten wie frische Bluttropfen. „Ich erhöhe um fünf Chips“, sagte sie, griff mit der knochigen blassen Hand nach einem Chipsstapel und hob fünf ab. Es waren Chips mit der Geschmacksrichtung „Salz & Blut“. Oma Zezci leckte sich die Finger ab, nachdem sie die Chips zur Mitte des Sargdeckels geschoben hatte.
Blodtørst zog mehrmals abwechselnd die linke und die rechte Augenbraue hoch. Über seine Stirn glitt eine Welle des Unglaubens. „Bist du dir sicher, Zezcilia?“
„So sicher wie der Donner nach dem Blitz kommt“, erwiderte Oma Zezci. Der Schönheitsfleck auf ihrer Wange zuckte nur ganz kurz.
Abermals starrte Blodtørst auf die Karten in seiner Hand. Er schob den eisernen Helm nach hinten und kratzte sich an der Stirn. Er hatte ein gutes Blatt. Er war sich sicher, dass er diese Runde gewinnen würde. So wie alle Runden. Fast alle. Er musste allerdings zugeben, dass Zezcilia Morta Dentiba Tepes eine ehrwürdige Gegnerin war.
Blodtørst hatte schon viele Pokerrunden hinter sich. Er hatte gegen Vampire des Nordens, Südens, Ostens und Westens gespielt. Gegen tieffliegende Vampire und gegen schlängelfliegende. Einmal hatte er gegen einen Eisbären gespielt. Und einmal gegen einen Menschen. Aber beide waren am Ende der Pokerrunde nicht mehr ganz bei der Sache gewesen. Dabei hatte er nur mal kurz an ihnen genippt.
Zezcilia Morta Dentiba Tepes war da schon ein anderes Kaliber. Bei ihr musste man auf der Hut sein. Mit ihr machte das Pokern Spaß. Natürlich nur, wenn sie nicht zu oft gewann. Und sie hatte an diesem finsteren Polartag schon viel zu oft gewonnen, fand Blodtørst. Sie konnte unmöglich schon wieder ein besseres Blatt haben als er. Er war der unangefochtene Vampir-König des Pokers. Er würde diese Runde gewinnen, so wahr er Blodtørst hieß!
„Na schön, meine Liebe“, sagte er und griff zu seinem Chipsstapel. „Ich gehe mit.“ Er hob fünf Chips ab (Geschmacksrichtung „Blutwurst“) und schob sie zur Mitte des Sargdeckels. Dann sah er seine Mitspielerin herausfordernd an.
Oma Zezci zupfte an der kleinen roten Fliege, die sie um den hochgeschlossenen Blusenkragen gebunden hatte. Sie hatte ein dunkelblaues Kleid an und um den linken Arm hing ein schwarzer Regenschirm. Wäre sie nicht so blass gewesen und hätte sie nicht so lange, spitze Eckzähne gehabt, hätte man sie für Mary Poppins halten können. Oma Zezci wackelte einen Moment unentschlossen mit den schneeweißen Fingern. Dann wanderten ihre Finger zum Chipsstapel. „Ich erhöhe um zehn Chips!“
„Um ZEHN?“ Beinahe hätte Blodtørst seine Karten fallen lassen. Um so viele Chips, wie jetzt auf dem Sarg lagen, hatte er noch nie in seinem Leben gespielt. Nicht nur das. Die Chips, um die er heute mit Zezcilia spielte, waren auch noch seine beiden Lieblingsgeschmacksrichtungen. Bei dem Gedanken daran, dass er gleich alle Chipsstapel einsacken würde, sammelte sich ein Speicheltropfen an seinem linken Eckzahn.
Allerdings … Zezcilia Morta Dentiba Tepes musste wirklich ein Traumblatt haben, wenn sie so hoch pokerte. Was, wenn nicht er, sondern sie alle Chips einsackte? Nein, das durfte, das konnte, das würde nicht passieren!
Blodtørst musterte die Karten in seiner Hand. Sie waren gut. Aber waren sie gut genug? Er zögerte einen Moment, dann verkündete er: „Ich nehme noch eine Karte.“ Er legte eine Karte ab und nahm eine neue vom Stapel. Vorsichtig hob er die Karte hoch. Als er erkannte, was er gezogen hatte, grinste er so breit, dass man sein braunes Zahnfleisch sehen konnte. Es war das Herzass. Genau die Karte, die ihm zum großen Pokerblatt „Full Moon“ noch gefehlt hatte. Mit diesem Blatt konnte Blodtørst jetzt nur noch gewinnen. Es bestand kein Zweifel mehr: Er war der größte Poker-Vampir aller Zeiten, er würde all die köstlichen Chips einsacken und Zezcilia würde leer ausgehen. Vielleicht, überlegte Blodtørst, würde er seiner Mitspielerin einen Trost-Chip gönnen. Aber nur vielleicht.
„Ich verdreifache meinen gesamten Einsatz“, sagte Blodtørst und schob einen gewaltigen Berg aus Chips über den Sargdeckel.
„Eine hervorragende Idee, mein lieber Blodtørst“, sagte Oma Zezci.
„Für dich, unübertroffen modrige Zezcilia, wäre es eine hervorragende Idee, jetzt zu passen“, erwiderte der Vampyr. „Ich will schließlich nicht, dass du noch deinen letzten Chip verspielst, beleidigt bist und nie wieder auf Stumpbjergen landest. Also, decken wir auf?“
Oma Zezci hielt sich ihr Blatt wie einen Fächer vors Gesicht. Dahinter lächelte sie genüsslich. Einen Moment erwiderte sie nichts. Doch sie schien nicht zu zögern, vielmehr wirkte sie, als wolle sie die Sekunden der Vorfreude auskosten. „Ganz wie du willst“, sagte sie schließlich und legte die Karten entschlossen auf den Tisch. Sie sah ihren Pokerpartner triumphierend an. „Ein Prunk-Patt. Das höchste Pokerblatt.“
Blodtørst klappte erst der Mund auf, dann klappten seine Karten auf den Sargdeckel. „Nö, oder?“, sagte er dumpf.
„Und damit“, fuhr Oma