Im Herzen von Afrika. Georg Schweinfurth

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Im Herzen von Afrika - Georg  Schweinfurth

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gutem Wind ging es rasch stromaufwärts, solange die nordwestliche Richtung des Fahrwassers anhielt. Allein der immer mehr sich verschmälernde Hauptkanal beschrieb außerordentlich häufige und kurzabgebrochene Bogenlinien, die durch Stoßen und Schieben der Barken vermittels Stangen überwunden werden mußten. Die scheinbaren Ufer bestehen auch hier aus schwimmenden Grasdecken, weiter landeinwärts dagegen verraten weidende Herden der Dinka das Festland.

      Der Bahr-el-Ghasal hat sein Widerspiel in Europa: an manchen Stellen vermittelt die Havel zwischen Potsdam und Brandenburg mit ihrer Unmasse schwimmender Gewächse eine sehr gute Vorstellung von ihm; auch die Mehrzahl der Pflanzengattungen, nicht Arten, hat die Havel mit dem afrikanischen Fluß gemein. Häufig beträgt die Breite des offenen Wassers nur die einer Barkenlänge, die große, von den längsten Stangen nicht erreichte Tiefe verrät aber den Wasserreichtum, den rechts und links ein paar hundert Schritt weit die Grasdecke verbirgt. Zur Zeit des Hochwassers dagegen ist alles, was jetzt als Land erscheint, ein unermeßlicher See.

      Das, was die Schiffer Bahr-el-Ghasal nennen, bezeichnet nur die Wasserstraße bis zum Ende ihrer Schiffbarkeit, nicht einen Strom in wissenschaftlichem Sinn, denn ihn müßte man eher Bahr-el-Arab oder Bahr-el-Djur nennen, da diese beiden Flüsse zu seiner Entstehung Veranlassung geben, beide auch über ein weitverzweigtes Netz stattlicher Nebenflüsse verfügen.

      Ich habe im »Ssudd« noch erträgliche Bedingungen gefunden. Welche Schrecken aber hier lauerten, hat etwa ein Jahrzehnt später ein grausiges Ereignis gezeigt. Als 1880 der Gouverneur der Provinz Bahr-el-Ghasal, der Italiener Romolo Gessi, nach Chartum zurückkehrte, blieb seine Flottille in der Sumpfvegetation fast vier volle Monate lang hilflos stecken. Hunderte von Menschen, abgeschnitten von aller Verbindung mit dem festen Lande, versuchten sich von den Wurzelstöcken der Seerosen zu ernähren und mußten elendiglich verhungern. Nur mit einem Bruchteil seiner Leute ist Gessi diesem Schicksal entgangen, aber wenige Monate darauf starb auch er infolge der ausgestandenen Entbehrungen.

      Allmählich wurde das Fahrwasser besser, und am 22. Februar landete ich bei der sogenannten Meschra-el-Rek, dem Rek-Hafen, nach einem benachbarten Negerstamm benannt. Die Meschra ist der Halteplatz aller den Bahr-el-Ghasal befahrenden Barken und liegt in einem Gewirr von kleinen Inseln. Diese einzige Ausschiffungsstelle aller vom Bahr-el-Ghasal ausgehenden Expeditionen war damals von 18 Chartumer Barken besucht, die, halb vergraben in Schlamm und Ton, in den Uferdickichten von Papyrus fest eingekeilt lagen. Es fehlte dieser Inselwelt nicht an landschaftlichen Reizen, und mit den Dinkanegern der Umgebung bestand ein friedliches Verhältnis.

      Eine der einflußreichsten Personen des benachbarten Dinkastamms der Lao war eine bereits bejahrte Frau namens Schol, die in der Meschra eine Art Häuptlingsrolle spielte. Eine solche Stellung knüpft sich bei dem patriarchalischen Zuschnitt des Lebens der Hirtenvölker stets an den Reichtum. Worte reichen nicht aus, die Häßlichkeit der Schol zu schildern: ein nacktes, von runzlig zäher Negerhaut umhüllten, wackelndes und geknicktes Beingerüst, zahnlos, mit dünnen, schmierigen, fettgetränkten Haarstränen, um die Hüften einen Schurz von gleichfalls fettgetränktem Schafleder, dessen Kanten mit weißen Glasperlen und Eisenringen umsäumt waren, an Hand- und Fußgelenken ein Arsenal von Eisen-, Messing- und Kupferringen, stark genug, um Verbrecher damit an die Mauer ihres Gefängnisses zu schmieden, am Hals behangen mit Ketten von Eisen, mit Lederriemen, mit Schnüren von Holzkugeln und Gott weiß welchem Plunder aus alter Rumpelkammer — das war die alte Schol.

      Am 26. Februar erschien sie in meinem Zelt, da sie erfahren hatte, daß die für sie bestimmten königlichen Geschenke bereitlägen. Sie trug ein völlig verändertes Kostüm. Sie hatte aus ihrem unerschöpflichen Vorrat von Ringen, Ketten und Stricken lauter neue Gegenstände hervorgesucht, um sich vor mir zu schmücken. Ich hatte alles zum festlichen Empfang hergerichtet: da sind Glasperlen, wie große Eier, noch nie gesehen in diesen Landen, schwere Steinkugeln, grüne und blaue aus Indiens märchenhaften Gefilden, für wen sind sie? Für die Schol! Da eine Stahlkette, wem wird sie gehören? Der Schol! Dieser königliche Stuhl von Strohgeflecht, wer wird auf ihm thronen? Die Schol! Als Krone des Ganzen übergab ich ihr ein Riesenmedaillon von Bronze, an goldglänzender Messingkette um den Hals zu tragen. Es machte einen besonders tiefen Eindruck auf ihr dankbares Herz, und sie wurde in diesem Schmuck von allen Schiffern und Soldaten bewundert.

      Meiner alten Freundin war ein Jahr darauf ein trauriges Los beschieden. Ein Trupp Männer eines benachbarten feindlichen Stammes war zu ihrer Hütte vorgedrungen. Als sie die Tür öffnete, fiel sie unter den tödlichen Streichen ihrer Feinde, die sofort alle Hütten in Brand steckten und einen großen Teil der vorhandenen Viehbestände mit sich forttrieben.

      Auf der Heimreise führte mich nach zweieinhalb Jahren unser Weg an der Stelle vorüber, wo ehemals die gastlichen Hütten gestanden hatten. Von dem Wohnsitz der alten Schol waren nur Kohlen übriggeblieben, und die Scherben zersprungener Schnapsballons zeugten von verschwundener Pracht.

      3. Das Land, wo Milch und Honig fließt

      Erst am 12. März langte die zweite Barke des Kaufmanns Ghattas in der Meschra an. Der begleitende Agent stellte mir in kürzester Frist siebzig Träger zur Verfügung, so daß ich noch vor Beginn der Regenzeit nach dem Innern aufbrechen konnte. Am 25. März setzte sich die Karawane in Bewegung. Sie zählte an 500 Köpfe, da sich dem Ghattasschen Zug noch kleinere Gesellschaften mit 200 Bewaffneten angeschlossen hatten. Der Marsch ging ohne größere Schwierigkeiten bald durch bewohntes und bebautes, bald durch menschenleeres, parkartiges und bewaldetes Flachland und führte schon am 31. März zu der großen, mit Palisaden umgebenen Niederlassung oder Seriba Ghattas, von der Meschra etwa 150 Kilometer entfernt. Hier schlug ich für länger als sieben Monate mein Standquartier auf.

      Die große Seriba, der sich noch neun kleinere anreihen, liegt auf dem Grenzpunkt der Dinka, Djur und Bongo. Eine Menge Gellaba, wie die wandernden Sklavenhändler hier genannt werden, hatte sich in geräumigen Gehöften eingerichtet. Es sind Leute aus Nubien, zum Teil auch aus Darfur, die hier ihre Sklaven einkaufen, um sie nach und über Darfur und Kordofan weiterzuschleppen. Die fast ausschließlich aus Nubiern gebildete Besatzung und die vielen Angestellten des Ghattas bringen die bewaffnete Macht auf durchschnittlich 250 Mann, und Hunderte von Sklaven vermehren die Einwohnerschaft auf mindestens 1000 Köpfe. Vier Kilometer im Umkreis ist alles mit Äckern bedeckt, eine große Anzahl kleiner Dörfer der Dinka, Djur und Bongo sind in der nächsten Umgebung zerstreut. Das unmittelbare Gebiet der Herrschaft des Ghattas besitzt zwischen den sechs Seriben des nördlichen Bongolandes eine Ausdehnung von ungefär 700 Quadratkilometern, von denen mindestens 160 Ackerland sind. Die Bevölkerung beträgt gegen 13 000 Seelen.

      Der Oberverwalter Idris, daheim der Sklave seines Herrn, war hier unumschränkter Machthaber. Mit aller Zuvorkommenheit empfangen, sah ich mich in den ersten Tagen mit Geschenken an Lebensmitteln und mit Aufmerksamkeiten jeder Art förmlich überhäuft. Zwei mittelgroße, hübsch gebaute Hütten waren innerhalb der Palisaden für mich errichtet; sie reichten jedoch, des vielen Gepäcks wegen, zu meiner Bequemlichkeit lange nicht aus. Meine Diener mußten in andern Hütten untergebracht werden.

      Nun begannen meine täglichen Streifzüge in die Umgegend, und die Verarbeitung der gesammelten Gegenstände nahm den größten Teil der Zeit in Anspruch. Bei stets ungeschwächter Gesundheit verlebte ich die ersten Wochen in einem Taumel von Freude, wahrhaft ergriffen von den Schönheiten einer unvergleichlich zauberhaften Natur. Die ersten Regen hatten begonnen und kleideten die aus einem parkartigen Gemisch von Grasflächen, Gebüschen und Bäumen gebildete Landschaft in das zarte Grün unseres Frühlings. Dem Boden entsproßten in Fülle die prächtigsten Zwiebelgewächse, und Bäume von unglaublich verschiedener Form mengten unter das frische Laub ihrer Zweige die Pracht lebhaft gefärbter Blüten.

      Meine Aufnahme bei einem Ausflug nach Westen war überall die gastlichste. Die Verwalter der kleinen Seriben behandelte mich mit der größten Aufmerksamkeit; sie sorgten für gute Kost und stellten alles zu meiner Verfügung. In den Seriben hatten meine Leute gute Tage. Ströme

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