Das blaue Mal. Hugo Bettauer

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Das blaue Mal - Hugo  Bettauer

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jungen Leuten bestand, ging es bald sehr lebhaft und heiter zu. Bis Frau Harriett, die außergewöhnlich erregt schien, mit einem Schlage das Gespräch an sich riß und sich darüber beklagte, daß in der letzten Zeit das farbige Gesindel im Auftreten, in Blicken und Gebärden frech und herausfordernd geworden sei. Das bildete das Signal zu einer Negerhatz in Worten und zu wütenden Drohungen, die die jungen Herren ausstießen. Sie wetteiferten förmlich in Verwünschungen gegen die Schwarzen, jeder einzelne nahm sich vor, demnächst einem Neger das Fell zu gerben, vergebens warnte Oberst Stoddard und bat, den Frieden nicht zu stören. Die Studenten erklärten übereinstimmend, daß endlich etwas geschehen müsse, um den schwarzen Gesellen wieder den Herrn zu zeigen. Einer der jungen Leute, der Frau Harriett ostentativ den Hof machte, erklärte mit Emphase, die Züchtigung einiger Neger wäre unbedingt notwendig, weil sonst, wenn die Ferien vorüber und alle jungen Männer weg wären, die Damen frechen Blicken oder gar noch Schlimmerem der Neger preisgegeben wären. Diese Behauptung fand allgemeinen Beifall, sogar bei einzelnen der jungen Mädchen, während Frau Harriett dem Beschützer der weißen Unschuld die Hand entgegenstreckte.

      Schweigend, aber mit bangen Empfindungen hatte Zeller dem Gespräch zugehört, und seine Gedanken flogen zu dem lieben, braunen Naturkind, das in seinem Herzen unschuldiger und reiner war, als alle diese männerbeherrschenden, flirtenden Frauen und Mädchen. Er hatte das Gefühl, daß Unheil in der Luft liege, und nahm sich vor, Karola zu warnen und die nächtlichen Begegnungen mit ihr auf das äußerste einzuschränken. Und wieder tauchte die Idee in ihm auf, Karola im Herbst mit sich nach Europa zu nehmen.

      Von da an brodelte Irvington und Umgebung in Unruhe. Täglich wurden von den jungen Amerikanern unter irgendeinem Vorwande Neger ergriffen und gepeitscht, täglich aber wurde die Haltung der jungen Neger, die auf den Baumwollpflanzungen arbeiteten, trotziger und drohender. Und immer war es Frau Harriett, die abends die Männer durch Beifall und durch die Erzählungen, daß dieser oder jener Neger sie frech angegrinst habe, aufreizte und zu neuen Negerhatzen anspornte. Zur gleichen Zeit wurde sie gegen ihren Gast kälter, längst hatte sie weiteres Flirten mit ihm aufgegeben, und Zeller empfand, daß nur ihre gute Erziehung sie abhielt, gegen ihn schroff zu werden. So sehr er den stillen, liebenswürdigen Oberst Whilcox schätzte, so wenig lag ihm an der schönen koketten Frau; immerhin begann er sich aber unbehaglich zu fühlen, und er war entschlossen, noch früher als er beabsichtigt hatte, seinen Aufenthalt im Staate Georgia abzubrechen und schon im September nach New York und von dort nach Europa zurückzufahren.

      Bis ein Ereignis eintrat, das alle seine Vorsätze und Pläne über den Haufen warf.

      Eines Tages, zu Ende August, erschien Frau Harriett im Reitkostüm mit allen Zeichen der Erregung spät nachmittags in der Halle des Georgiaklubs, wo sich um diese Zeit die ganze Jeunesse dorée von Irvington beim Poker und Bridge unterhielt, und ließ einige bekannte Herren herausrufen. Auch ihren Gatten und Doktor Zeller, die sich im Bibliothekszimmer aufgehalten hatten. Fliegenden Atems teilte sie mit, daß ihr soeben furchtbarer Schimpf widerfahren sei. Gerade vor dem Hause des Niggers Sampson sei der Sattelgurt ihres Gaules gerissen, und Sampson, der vor dem Hause herumgelungert, habe den Schaden rasch repariert. Als sie wieder aufgesessen sei, da habe die schwarze Bestie, unter dem Vorwande, den Steigbügel zurecht zu rücken, sich einen schamlosen Handgriff gegen sie erlaubt. Und als sie vor Empörung einen Hieb mit der Reitgerte gegen ihn richtete, habe das Mulattenmädel, das nicht nur seine Stieftochter, sondern auch seine Dirne sei und den Vorfall beobachtet hatte, händeklatschend gerufen: »Pack sie nur, Pa, und zwick sie tüchtig.« Sie, Frau Harriett, sei einer Ohnmacht vor Kränkung nahe gewesen, im Galopp hergeritten, und nun frage sie die Männer von Irvington, was geschehen müsse, um Sampson und seine Tochter entsprechend zu züchtigen.

      Während Zeller, der seine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte, daß die Geschichte, wenigstens soweit sie Karola betraf, erlogen war, fassungslos dastand und entgeistert war, entstand ein furchtbarer Tumult. Die Herren schrien erregt durcheinander, Pistolen wurden gezogen, selbst Oberst Whilcox ballte die Fäuste und schrie: »Die Brut muß ausgerottet werden!« Der junge Kurmacher der Frau Harriett aber trat, als sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte, vor, und bat Mrs. Whilcox, sich jetzt ruhig nach Hause zu begeben, da ihre Ehre in guten Händen sei. Sofort werde ein Tribunal gebildet werden, um die notwendigen Schritte zu beschließen.

      Zeller war über alles das so fassungslos, daß er die ruhige Überlegung verlor. Statt unverzüglich zum Blockhaus des Sampson zu fahren, versuchte er zu beschwichtigen, und er wandte sich, da sich die jungen Leute sofort in einem Raum eingeschlossen hatten, an Mrs. Harriett, die ihn jedoch nur mit schneidender Kälte anhörte, um schließlich achselzuckend zu erklären:

      »Ihre Bemühungen, als Negeranwalt aufzutreten, werden Ihnen kaum etwas nützen, da unsere Jungens in solchen Dingen sich nichts dreinreden lassen.«

      Vergebens wandte sich nun Zeller an Oberst Whilcox, an Doktor Dobbs, der hinzugekommen war, an den Apotheker und andere alte Herren. Auch sie lehnten es rundweg ab, zu intervenieren. Es liege hier ein ganz krasser Fall eines Negerangriffs gegen eine Lady vor, da müsse sofort Justiz geübt werden, wie es eben Landesbrauch ist. Das war der Tenor ihrer Erwiderungen.

      Bei diesen zeitraubenden Diskussionen hatte Zeller nicht bemerkt, daß inzwischen die jungen Leute von Irvington, zwanzig Mann hoch, mit Wagen und Pferden davongestürmt waren, um die Ehre der Mrs. Harriett an dem Neger und seiner Tochter zu rächen. Als er es erfuhr, fand er keinen Mietwagen, keinen Gaul, um ihnen nachzueilen, und es blieb ihm in seiner rasenden Angst um Karola nichts anderes übrig, als zu Fuß den langen Weg in glühender Sommerhitze zurückzulegen. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis er, schweißbedeckt, atemlos, vollkommen erschöpft, vor der Blockhütte ankam. Schon lange vorher witterte er aber beißenden Rauch, und er ahnte, daß Schreckliches geschehen war. Nun stand er endlich vor der Hütte – nein, vor dem Platz, auf dem vor einer Stunde noch die Hütte gestanden hatte! Nur noch ein paar rauchende und schwelende Balken lagen inmitten des kleinen zertrampelten Gartens auf dem Erdboden.

      Zeller sah um sich, und das Blut wollte ihm in den Adern gerinnen: da, dicht vor ihm, baumelte von dem Ast eines alten Apfelbaumes herab die Leiche des gelynchten Negers. Nicht schwarz war aber seine Gesichtsfarbe, sondern seltsam graugrün, und aus dem weitaufgerissenen breiten Mund hing die Zunge heraus, daß es schien, als würde der Gehängte eine Grimasse schneiden. Der kalte Schweiß rann Zeller über die Stirne, wie geistesabwesend starrte er die Leiche an. War das möglich? Hätten zivilisierte junge Menschen, Studenten, die dereinst Ämter und Würden bekleiden sollten, wirklich einen Menschen ermordet, der im schlimmsten Fall sich etwas zuschulden hatte kommen lassen, was mit einer Tracht Prügel genügend bestraft worden wäre? Lebte er zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts oder im Mittelalter? Unwillkürlich erinnerte sich Zeller der Judenverfolgungen in vergangenen Jahrhunderten, der Hexenprozesse, der Inquisitionsgerichte.

      Pferdegetrappel riß ihn aus seinem Grauen. Querfeldein, über die Baumwollfelder, kamen die Richter aus eigener Machtvollkommenheit angeritten. Als sie den Deutschen erblickten, riefen sie ihm fröhlich, als sei nichts geschehen, ihr Hallo zu, sprangen ab und einer von ihnen sagte lachend:

      »Was, Professor, so etwas gibt es in eurem alten, gemütlichen Deutschland nicht! Sie müssen uns dankbar sein, daß wir Ihnen gezeigt haben, wie man hierzulande ohne Gerichtshof gute Justiz macht.«

      Mühsam beherrschte sich Zeller. Er wußte, daß er, würde er diesen Leuten seine Verachtung zeigen, sich nur lächerlich und verhaßt machen, Karola, die liebe, kleine Karola aber nicht retten würde – vorausgesetzt, daß sie überhaupt noch am Leben war. Und so ersuchte er die jungen Herren denn, ihm zu erzählen, wie sich alles abgespielt habe.

      Der neue Seladon der Frau Harriett tat dies.

      »Nun, wir sind alle im raschesten Galopp hergeritten und fanden richtig das ganze Gesindel beisammen. Ohne lange zu fackeln, griffen wir zuerst den Sampson und banden ihn mit Stricken. Dann wollten wir das kleine Biest, seine Tochter, fassen, aber sie war leider flinker als wir, sie bückte sich blitzschnell, rannte

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