Das blaue Mal. Hugo Bettauer
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»Und was wird mit ihr geschehen?« fragte Zeller, scheinbar ganz ruhig, während er sein Herz schlagen fühlte.
Die jungen Leute sahen einander schmunzelnd an, dann erwiderte der, der als Jimmy bezeichnet worden war:
»Na, sie ist ja ein verflucht hübsches Luder und jung! Und da wir auch jung sind, werden wir nach dem Los unseren Spaß mit ihr haben und sie nachher auspeitschen und mitten in der Stadt an den Pranger binden.«
Zeller nickte und ging. Er hätte sich nicht einen Augenblick länger beherrschen können, im nächsten Augenblick würde er die Pistole, die auch er nach Landesbrauch immer bei sich hatte, gezogen und den erstbesten von den Lynchern niedergeknallt haben; er war schon einige Schritte gegangen, als er sich wieder umwandte:
»Well, meine Herren, ich werde vielleicht an der Jagd nach dem Mädchen wenigstens von der Ferne teilnehmen. Wann geht es los?«
Die Burschen berichteten kurz:
»Wir reiten jetzt zurück nach der Stadt, machen dem Scherif Meldung, begießen ein gutes Abendessen mit einem tüchtigen Schluck Claret und gehen von hier so gegen neun Uhr mit dem Hund los. In der Nacht nimmt ›Tiger‹ am besten die Spur auf.«
Zeller ging und legte den kurzen Weg zum »großen Haus« zurück.
Er begann wieder ruhig, klar, nüchtern und methodisch zu denken, als würde es sich um ein wissenschaftliches Problem handeln. Karola mußte gerettet werden; um jeden Preis, auch um den seines eigenen Lebens. Er fühlte, wie es warm und liebevoll in ihm aufstieg. Sein Denken an Karola war voll Zärtlichkeit und Sehnsucht. »Das liebe Mädel,« sagte er in sich hinein, »eher stirbt sie durch meine Hand, als daß ich sie diesen brutalen Bestien überlasse.«
Im Hause angelangt, sah er auf seine Uhr. Fünf – also Zeit genug. Rasch wusch er sich kalt, ließ den schwarzen Diener kommen, der einen verstörten, haßerfüllten Eindruck machte, befahl ihm, so schnell als möglich den Koffer zu packen. Seine in Georgia angelegten Herbarien schloß er selbst sorgfältig ein. Dann begab er sich hinunter auf die Terrasse, wo der Oberst ihn aufgeregt und irgendwie verlegen begrüßte.
»Oberst Whilcox, ich war fast vier Monate Ihr Gast und werde die Freundschaft und vornehme Gastlichkeit, die Sie mir bewiesen haben, nie im Leben vergessen. Aber nun ist meines Bleibens nicht länger. Was ich heute hier miterlebt habe, ist für meine deutschen Nerven zu viel, es müßte bei nächster Gelegenheit zwischen mir und den jungen Leuten, die es unternahmen, ein Geschöpf Gottes zu vertilgen, zu bitteren Worten kommen, und das muß ich vermeiden. Wenn Sie die Güte haben wollten, mein Gepäck jetzt nach dem Bahnhof zu schicken, so würde ich noch mit dem Nachtzug nach Macon und von dort nach Atlanta fahren. Dort bleibe ich einen Tag und fahre dann mit dem Expreß nach New York, um mit dem nächsten Dampfer nach meiner altmodischen Heimat zurückzukehren.«
Betroffen, aber mit vollendeter Würde schüttelte Oberst Whilcox dem deutschen Gelehrten die Hand und versicherte ihm, daß er den vorzeitigen Abschied tief bedauere, doch die Beweggründe des Professors vollkommen zu würdigen verstehe. Es galt nun, nur noch Abschied von Frau Harriett zu nehmen, aber dazu kam es nicht. Die schöne Frau ließ sich entschuldigen, denn sie fühlte sich infolge der Aufregungen dieses Tages nicht wohl und habe sich zu Bett begeben. So fuhr denn Zeller eine Stunde später, als die Sonne glühend rot untergegangen war, allein nach Irvington, da er die Begleitung des Obersten Whilcox freundschaftlich, aber entschieden abgelehnt hatte.
Unweit der Stelle, an der sich vor wenigen Stunden noch die armselige Hütte Sampsons befunden hatte, ließ Zeller den Kutscher halten, stieg aus und gab den Auftrag, den Koffer auf dem Bahnhof zur Aufbewahrung zu übergeben und hierauf zurückzufahren, da er Kopfschmerzen habe und den Weg zu Fuß zurücklegen wollte. Es schien aber, als wenn der schwarze Kutscher ahnen würde, daß Außergewöhnliches vorgehen sollte; er sah den Deutschen mit treuherzigen Augen tief an und sagte kopfschüttelnd:
»Gott möge Euer Ehren behüten und segnen, denn Ihr seid nicht so, wie die Herren hierzulande, die die Neger wie schmutziges Vieh hassen!«
In fiebernder Erwartung begab sich Professor Zeller nach dem Eichenhain, in dem er nächtlich so viele seltsam romantische Stunden mit der kleinen Karola verbracht hatte. Vergebens durchdrang sein Auge das Halbdunkel; die Naturbank, auf der Karola eng an ihn geschmiegt zu sitzen pflegte, war leer. Totenstille umfing ihn, und die Luft schien heiß wie Dampf zu brodeln. Als aber Zeller angsterfüllt laut »Karola« rief, da raschelte es, und aus dem dichtesten Gestrüpp löste sich die Gestalt des Mädchens, das im nächsten Moment schluchzend an seinem Halse hing.
Während er sie küßte und streichelte und tröstete, erzählte Karola, daß die Mutter in die Stadt zu Verwandten geflüchtet sei, sie sich aber nun schon stundenlang hier im Gestrüpp verborgen gehalten habe, fest entschlossen, sich mit den Zähnen die Pulsadern aufzubeißen, wenn ihre Verfolger sie entdecken würden. Aber eine innere Stimme habe ihr gesagt, daß ihr großer blonder Freund kommen und sie retten würde. Die kleine Mulattin versicherte und beschwor es bei ihrem Seelenheil, daß sie von einer Begegnung zwischen ihrem Stiefvater und Mrs. Whilcox überhaupt keine Ahnung habe, und sie erfuhr überhaupt erst durch Zeller, warum man Sampson auf so grauenvolle Art habe sterben lassen.
Nun galt es, keine Minute zu verlieren, Zeller hatte alles genau voraus überlegt. Das Mädchen durfte unter keinen Umständen die nach der Stadt führende Landstraße betreten, weil sie dort sofort von einem der Lynchrichter ergriffen werden könnte. Sie mußte unverzüglich quer durch die Plantagen nach der ersten Haltestelle eilen, an der der von Irvington um neun Uhr abends nach Macon abgehende Lokalzug hielt, und mit diesem Zug, in dem sich Zeller befand, in dem für das farbige Volk angehängten Wagen nach Macon fahren, wo sie auf dem Bahnsteig Zeller finden würde. Zeller gab dem Mädchen, das mit allem einverstanden war, Geld, küßte es zärtlich, dann eilte er der Landstraße entlang nach Irvington, während Karola durch Gestrüpp und Baumwollstauden sich auf den mehr als zwei Stunden weiten Weg nach der Haltestelle außerhalb der Stadt schlich.
Alles verlief glatt. In dem Städtchen Macon fanden sich Zeller und Karola, und beide bestiegen, er freilich den Pullmanwagen, sie den Negerwagen benutzend, den Schnellzug nach Atlanta; es war fast Mitternacht, als sie dort auf der Straße vor dem Bahnhof standen.
Was aber nun? Der Expreßzug nach New York ging um acht Uhr morgens ab, und Zeller hätte das junge zitternde Mädchen allein in einer schmutzigen zweifelhaften Negerherberge unter keinen Umständen absteigen lassen. In sein Hotel konnte er sie aber nicht mitnehmen, denn sie war farbig, also hatte sie kein Anrecht auf Unterkunft in einem Hause, in dem die Weißen wohnten. Doch Zeller wußte Rat.
»Karola, uns beiden ist nicht nach Schlafen zumute, wir werden also etwas essen und dann den Zentralpark aufsuchen, den ich in meinem Führer verzeichnet finde, und dort den Anbruch des Tages abwarten. Weg von mir lasse ich dich nicht, du armes, kleines Ding du.« Sie erwiderte nichts. Stumm preßte sie seine Hand an ihre fiebernden Lippen, während