Scepter und Hammer. Karl May
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SCEPTER UND HAMMER
Erstes Kapitel: Die Zigeunerin
Auf der breiten Chaussee, welche durch das Dorf nach der Residenz führte, schritt ein junger Mann dahin.
Er mochte kaum mehr als zweiundzwanzig Jahre zählen, obgleich über seinem ganzen Wesen der Ausdruck des Charaktervollen, des innerlich und äußerlich Vollendeten lag. Seine hohe, kräftige Gestalt, die elegante Sicherheit seiner Bewegungen, die männlich schönen Züge seines von der Röthe der Gesundheit überhauchten Angesichtes konnten gewiß nur einen angenehmen Eindruck hervorbringen, und selbst das kleine, wohlgepflegte Bärtchen, welches seine vollen Lippen beschattete und in jedem anderen Antlitze stutzerhaft erschienen wäre, schien hier zur Gesammtwirkung unbedingt nothwendig zu sein. Er trug einen feinen, gewiß von einem besseren Tailleur gefertigten Promenadenanzug, und der goldene Zwicker, welcher den Blick seines Auges verschärfte, hatte seinen Sitz sicher nicht durch die schädliche Mode erhalten, durch das Tragen von Augengläsern ein vornehmes oder gelehrtes gewinnen.
Zu beiden Seiten reihte sich, hinter schattigen Vorgärten halb verborgen oder anspruchsvoll bis an die Straße tretend, Villa an Villa. Zwischen zweien derselben lag, frappant von ihrer Architektonik abstoßend, ein kleines einstöckiges, schwarz geräuchertes Häuschen, durch den hohen Schornstein, das über der Thür angebrachte Wetterdach und mehrere umherliegende, der Reparatur harrende Geräthschaften deutlich als Schmiede bezeichnet.
Vor derselben hielt in diesem Augenblicke ein leichter Wagen. Es fehlte ihm der Kutscherbock; er mußte also wohl aus dem Fond gelenkt werden, und dies war heut jedenfalls nicht ganz fehlerlos geschehen, denn es zeigte sich die hintere Achse zerbrochen, und ein reich gallonirter Diener stand zu Häupten des dampfenden Gespannes, äußerst bemüht, dasselbe zu beruhigen. Die Insassen waren ausgestiegen. Es war nur ein Herr und eine Dame. Der Erstere trug Generalsuniform, obgleich er kaum das fünfundzwanzigste Jahr zurückgelegt haben konnte. Er hatte jenes Exterieur an sich, welches man sich nur in den höheren Kreisen anzueignen ruhig:
»Keine Sorge, Durchlaucht! Ich wußte mich mitten in der Gefahr unter dem starken Schutze eines Ritters, dessen ausgezeichneter Rang ja schon genügt, das höchste Vertrauen zu beanspruchen.«
Der General verbeugte sich dankend, aber sein Blick ruht unklar und forschend auf ihrem Angesichte. War es Wahrheit, was sie sagte, oder hatte sie sich trotz ihrer Jugend schon jene feine Schärfe angeeignet, welcher es leicht wird, den Verweis nur für die Ahnung auszusprechen? Sie sah ihm so offen in das vornehm blasirte Gesicht, und doch spielte ein Lächeln um ihren kleinen Mund, welches er fast geneigt war ironisch oder gar sarkastisch zu nennen. Er entschloß sich zu einer weiteren Vertheidigung:
»Ein ächter Ritter, auf sich selbst angewiesen, wird stets ohne Furcht und Tadel sein; hat er aber mit den Eigenschaften unvernünftiger und schlecht erzogener Wesen, wie diese beiden Rappen sind, zu rechnen, so kann er allerdings in die höchst fatale Lage kommen, auf Verzeihung rechnen zu müssen.«
»Excellenz haben jedenfalls ein kompetenteres Urtheil als mein Stallmeister, welcher allerdings behauptet, daß die Rappen eine ausgezeichnete Schule besitzen. Jedenfalls fürchtete er dieses Urtheil, als er bat, einen anderen Wagen zu nehmen und ihm die Führung desselben zu überlassen. Übrigens war das Intermezzo mehr amüsant als gefährlich, und selbst die Fatalität, den Schmied nicht anwesend zu finden, hat die angenehme Folge, mich auf eine verlängerte Frist auf die Dienste meines edlen Ritters angewiesen zu sehen.«
Wieder hatte sein Auge jenen forschenden, beinahe stechenden Blick wie vorhin. Hatten ihre Worte vielleicht den Zweck, ihm die Überlegenheit eines Stallmeisters begreiflich zu machen? Dann war das zarte Frauengebild vor ihm allerdings mehr erwachsen und gereift, als er angenommen hatte. Seine äußern Augenwinkel zeigten einige leichte Fältchen, als er fortfuhr:
»Könnten diese Dienste doch von ewiger Dauer sein, meine gnädige Prinzeß! Aber man wird in Angst um Euer Hoheit sein. Ich muß den Wagen hier zurücklassen und einen anderen requiriren.«
Er wandte sich an die Frau des abwesenden Schmiedes, welche, Auskunft ertheilend, bisher unter dem Eingange gestanden hatte.
»Also der Meister kommt erst am Abende zurück?«
»Ja.«
»Und Sie haben Niemand, der die sofortige Reparatur ausführen könnte?«
»Nein. Der Lehrjunge, welcher beim Nägelschlagen ist, bringt das nicht fertig.«
»So giebt es vielleicht in der Nähe einen anständigen Wagen, den man sich leihen kann?«
»Allerdings. Aber – Grüß Gott, Herr Doktor!« unterbrach sie sich. »Prächtiges Wetter zum Spazieren. Nicht?«
Diese Worte waren an den mittlerweile herangekommenen Fußgänger gerichtet, welcher im Begriffe gestanden hatte, grüßend vorüberzuschreiten, jetzt aber, den Hut ziehend, näher trat. Die Frau streckte ihm halb vertraulich, halb respektvoll die Hand entgegen.
»Der Herr Pathe wollte wohl gar vorübergehen?«
»Um nicht zu stören.«
»Stören? Es findet ja das gerade Gegentheil statt! Diese Herrschaften haben die Achse zerbrochen; mein Mann ist nicht da, und drüben der Sommergast, der Engländer, borgt seinen Wagen keinem Menschen als nur dem Herrn Doktor. Da könnte der Herr Pathe helfen, wenn er so gut sein wollte.«
»Mein Freund, Lord Halingbrook, ist leider nach der Stadt gefahren; er begegnete mir, und in der Nähe wird es einen Wagen weiter nicht zur Verfügung geben. Doch wenn Herzogliche Hoheit« – er verbeugte sich höflich aber gemessen vor dem Generale – »gestatten, werde ich Dero Wagen in kurzer Zeit gebrauchsfähig herstellen. Hat der Herd Feuer?«
»Ja; der Junge braucht es zum Nägelmachen.«
»So mach die Frau Pathe es den Herrschaften bequem. Ich werde sofort an die Arbeit gehen.«
Er trat an die Schmiede, zog den Gehrock aus, streifte die Wagens.
»In einer halben Stunde werden Durchlaucht fahren können,« lautete seine Entscheidung.
Beide, sowohl der General als auch die Dame, hatten den Vorgang mit sichtlicher Verwunderung verfolgt. War dieser so distinguirt aussehende Mann, welcher den Doktortitel führte, wirklich im Stande, eine zerbrochene Wagenachse zu repariren? Die Schmiedin hatte ihn Pathe genannt; er konnte also von keinem ungewöhnlichen Herkommen sein, und doch war er Freund des Lord Halingbrook, eines stolzen, exklusiven Engländers, welcher als Gesandter seiner Königin Zutritt beim Hofe hatte. Das war ein Räthsel, für welches sich besonders die Dame zu interessiren schien.
Sie beobachtete jede seiner Bewegungen mit Aufmerksamkeit und machte dabei die Bemerkung, daß er eine ungewöhnliche Körperstärke besitzen müsse. Die Pferde waren im Nu aus gespannt, und dann hantirte, hob und schob er an dem Wagen, als ob er ein leichtes Kinderspielzeug in den Händen habe. Dann ertönten aus der Schmiede mächtige Hammerschläge, so daß die Funken durch den Eingang auf die Straße stoben.
Die Schmiedefrau hatte ein Tischchen mit zwei Stühlen, auf welchen die Herrschaften Platz nahmen, vor das Haus gesetzt.
»Wie nennt sich der Herr, welcher sonderbarer Weise Arzt und Schmied zu gleicher Zeit ist?« frug die Dame.
»Arzt? Nein, das ist er nicht, sondern Doktor der Jurisprudenz,« antwortete die Gefragte mit sichtlichem Stolze.
»In seinem Alter? Welche Stellung bekleidet er?«
»Keine; er hat das nicht nothwendig und sagt, es hindere ihn am Weiterlernen. Er ist der Sohn vom Hofschmied Brandauer; ich habe mit dem König und dem Lord