Brehm’s Thierleben: Die Säugethiere 1. Alfred Edmund Brehm
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Alfred Brehm
BREHM’S THIERLEBEN: DIE SÄUGETHIERE 1
Einleitung
»Wir hatten unweit des linken Ufers Asrat einen Regenteich aufgefunden, welcher vom Strome während seines Hochstandes gefüllt worden und noch bei unserer Ankunft im Februar ziemlich wasserreich war. Außer einer Menge von Vögeln lebten in ihm auch Krokodile und mehrere Flußpferde mit ihren Sprößlingen. Wahrscheinlich hatten letztere die noch ihre kleinen und verhältnismäßig niedlichen Jungen in ihm zur Welt gebracht; wenigstens schien mir der stille, ruhige, rings von Wäldern und an einer Seite sogar von Feldern eingefaßte See zu einem Wochenbette für Nilpferde wohl geeignet. Unsere Aufmerksamkeit und Jagdlust fesselten vorzüglich die Schlangenhalsvögel, obgleich wir, um auf diese geschickten Taucher feuern zu können, oft bis tief an die Brust in das Wasser waten mußten – trotz der Krokodile und Nilpferde, um welche wir uns heute gar nicht kümmerten. Mein Jäger Tomboldo, welcher die Jagd in Vater Adams Kleidung ausführte, hatte eben den vierten Schlangenhalsvogel glücklich durch den Hals getroffen und watete auf ihn zu, um ihn aufzufischen. Da schreit plötzlich vom anderen Ufer her ein Sudaner laut auf und winkt und geberdet sich wie toll; Tomboldo schaut sich um und sieht ein wuthschnaufendes Nilpferd mit mächtigen Sätzen auf sich losstürmen. Das Vieh hat bereits festen Grund unter den Füßen und jagt wie ein angeschossener Eber durch die Fluten; der Nubier ergreift in Todesangst die Flucht und erreicht, bis zum Uferrande von seinem furchtbaren Feinde verfolgt, glücklich den Wald. Ich war mit meiner trefflichen, leider aber bloß leichte Kugeln schießenden Büchse dem treuen, höchst brauchbaren Diener zu Hülfe geeilt und fand ihn im Gebete und stöhnend auf der Erde liegen: ›La il laha il Allah, Mahammed rassuhl Allah! – Es gibt nur einen Gott, und Mahammed ist sein Prophet! – Nur bei Allah, dem Starken allein ist die Stärke; allein nur bei Gott, dem Helfenden, ist die Hülfe! – Behüte, o Herr, deinen Gläubigen vor den aus deinen Himmeln zur Hölle hinabstürzenden Teufeln! – Du Hund, du Hundesohn, Hundeenkel und Hundeurenkel, du von einem Hund Erzeugter und von einer Hündin Gesäugter – du willst einen Muslim fressen –! Verdamme dich der Allmächtige, und werfe er dich in das Innere der Hölle!‹ Diese und ähnliche Stoßseufzer und Flüche entrangen sich seinen bebenden Lippen. Dann aber sprang er wütend auf, lud eine Kugel in sein Gewehr und sandte sie dem Nilpferde nach, welches noch immer vor uns tobte und lärmte. Die Kugel tanzte lustig auf dem Wasser hin und – an dem Ungethüme vorüber.
›Bei dem Barte des Propheten, bei dem Haupte deines Vaters, Effendi‹, bat er mich, ›sende du dem nichtswürdigen Gottesleugner aus deiner Büchse eine Kugel zu; – denn auch mein schöner Taucher ist ja verloren!‹
Ich willfahrte seiner Bitte, schoß und hörte die Kugel auf den Schädel einschlagen. Das Nilpferd brüllte laut auf, tauchte einige Male unter und schwamm nach der Mitte des Sees zu, wie es schien, ohne durch den Schuß wesentlich gestört zu sein. Nur seine Wuth nahm von Stunde zu Stunde zu. Freilich ließ uns unsere Rachsucht fortan die hier und da erscheinenden Köpfe als Scheiben ansehen, nach denen wir ja, so oft es anging, eine Kugel entsendeten. Ich wußte aus Erfahrung, daß meine schwache Büchsenkugel selbst bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht versagen, dem ›Abgesandten der Hölle‹ unseren Ärger fühlen zu lassen«.
Diese Zeilen könnten einem Abenteuerroman entnommen sein. Doch sie stammen aus der Feder Brehms, aus seinem Lebenswerk, dem »Thierleben«. Die Lektüre dieses Werkes wäre unbefriedigend, würde man nicht wenigstens in groben Zügen auf die Personen von »Altvater Brehm« eingehen.
Alfred Edmund Brehm wurde am z. Februar 1829 in Renthendorf bei Neustadt an der Orla in Thüringen geboren. Sein Vater war Pastor des Ortes und gleichzeitig einer der bedeutendsten Ornithologen des damaligen Deutschlands. Schon früh begleitete Alfred Brehm seinen Vater auf vogelkundliche Exkursionen im Thüringer Land. Als er 1847 im Alter von 18 Jahren das Gymnasium verließ, wollte er Naturwissenschaften studieren.
Doch dazu kam es nicht. Er erhielt von Baron W. von Müller aus Württemberg eine Einladung, an einer naturwissenschaftlichen Jagdreise über Griechenland nach Ägypten und Kleinasien teilzunehmen. Am 6. Juli 1847 verließen die beiden Triest an Bord des Postdampfers »Mamuhdie«, der sie nach Griechenland brachte, und setzten von hier aus nach Alexandrien über. Am 29. Juli betrat Brehm dort zum erstenmal afrikanischen Boden: »Das Märchenland der tausend und einen Nacht liegt vor uns.« Doch schon bald mußte er erfahren, daß die Wirklichkeit anders aussah. Am 12. Januar 1848 schrieb er in sein Tagebuch: »Heute kam ein Transport Dingasklaven hier an. Gott! Welch ein trauriger Anblick! Sie sangen, weil man sie dazu zwang; wie hätten sie wohl sonst singen können, die Hälse in Holzgabeln gepreßt. Die im Kreise sitzenden Männer und Weiber mochten bei sechzig sein; Kinder waren auch dabei, und unter ihnen ein Säugling, dessen Haut in großen Falten auf dem Knochengerippe lag; seine Mutter war krank und mit Tränen in den Augen sah sie das arme zu sich herangekrochen kommen, das die Mutterbrust verlangte, die jetzt ohne zu laben, schlaff am Körper herabhing. Viele der Männer, die man alle in Gabeln gepreßt hatte, waren verwundet und ihre Wunden nicht verheilt; – kurz es war eine Scene des tiefsten und schrecklichsten Elends, die sich nicht beschreiben läßt.«
Obwohl einige europäische Staaten die Sklaverei bereits verboten hatten, blühte der Menschenhandel nach Übersee. Allein nach Brasilien wurden in jenem Jahr 1848 60000 Sklaven transportiert, die höchste Zahl in der Geschichte des Landes.
Es war die Zeit, in der der »große alte Mann der Afrikaforschung«, der damals erst 35jährige schottische Missionar David Livingstone zu seinen Forschungsreisen durch Zentralafrika aufbrach, die ihn in das noch weitgehend unerforschte Innere des schwarzen Kontinents führten und bei denen er als erster Europäer Zentralafrika von West nach Ost durchquerte.
Brehm bereiste kein Neuland. Ägypten, das damalige Nubien und der Sudan waren längst von Europäern besiedelt. Für einen Naturforscher aber gab es immer noch genug zu entdecken. Wie in jener Zeit üblich, wurde möglichst viel »gesammelt«, das heißt geschossen und präpariert. Nur der ausgestopfte Balg besaß wissenschaftlichen Wert.
Brehms Sammeleifer kannte kaum Grenzen. In seinem Tagebuch beschreibt er die Begehung einer Höhle am 23. Oktober 1848: »Wir . . . schickten unseren Diener in die Stadt, um Einkäufe zu machen, die wir zu unserer bevorstehenden Fahrt in die Krokodilhöhlen nötig hatten, teils auch um zu fragen, wo denn eigentlich Ababdi liege...
Nach manchem Schweißtropfen kamen wir auf der Spitze der ersten Hügelreihe an . . . Unser Führer zeigte uns einen schwarzen Punkt – die Mündung der Höhlen. Nach einer halben Stunde kamen wir dort an. Es war ein kleiner senkrechter Schacht von ungefähr 12 oder 15‘ Tiefe und von einem großen Stein größtenteils überdeckt. Ringsumher lagen eine Menge Knochen, Mumienbrocken, alte Fetzen Leinwand, Dattelbast und Datteläste. Unsere Führer entkleideten sich und stiegen den Schacht hinunter. Wir folgten ihnen und zündeten unsere Lichter an.
Ein scharfer, widerlicher Geruch kam uns entgegen. Der eine der Führer legte sich jetzt auf den Boden und begann in ein staubiges Loch hineinzukriechen. Obgleich wir fast von Staub erstickten, mußten wir doch seinem Beispiel folgen. – Der Gang war sehr niedrig, und wir stießen uns öfter an den Ecken des Gesteins. Doch hörte der Staub bald auf, und wir kamen in einen zweiten Gang, der höher und breiter war. Alle Steine waren mit einer schmierigen Substanz überzogen, und der erwähnte Gestank nahm furchtbar zu.
Tausende und Tausende von Fledermäusen bewohnten diese Räume und verursachten ein Geräusch, das sich wie leiser Donner durch die ganze Höhle verbreitete. Wir erbeuteten mehrere von ihnen, mußten aber die meisten wieder frei lassen, die wehrhaft um sich bissen. Sie löschten uns mehrere Male die Lichter aus. Unser Gang mündete in ein ungeheures Gemach, welches wir mit unserer dürftigen Beleuchtung nicht zu erhellen vermochten und in das viele andere Gänge einmündeten. Das Ende des Gewölbes erreichten wir nicht, sondern traten vielmehr in einen Nebengang ein und begannen unserm Kriechmarsch von Neuem. Dieser Gang war sehr eng. Wir blieben mehrere Male stecken und wurden nur mit großer Mühe wieder frei. Doch auch er wurde weiter,