Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
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Das Tularetal, das seinen Namen von der mexikanischen Bezeichnung »Tule« für die an den Seen massenhaft wachsenden Binsen herleitet, kann in mancher Beziehung als die südliche Fortsetzung des großen Tals angesehen werden, das Kalifornien, fast der ganzen Länge nach, zwischen der Sierra Nevada und den Küstengebirgen durchschneidet und das der San Joaquin und der Sacramento von ihren Quellen bis zu ihrer Mündung durchströmen. Bei genauer Untersuchung stellt es sich indessen heraus, daß das Tularetal durch eine geringe Erhebung des Bodens von dem Flußgebiet des San Joaquin getrennt wird. Die Flüsse und Seen im Tularetal haben ihr eigenes System, wodurch allein schon die Absonderung bestimmt wird, wenn auch wirklich in sehr nassen Jahreszeiten der San Joaquin Wasser aus den überfließenden Seen in sich aufnimmt. Das Tularetal würde demnach mit Recht ein Becken genannt werden können, dessen nördliche Grenze mit dem 37. Breitengrad zusammenfällt und das sich von dort gegen Süden bis zum 35. Grad oder den Tejon-Gebirgen erstreckt. Die Breite wechselt zwischen fünfzig und siebzig Meilen, wodurch ein Flächenraum von ungefähr 7500 Quadratmeilen hergestellt wird. Diese weite Ebene ist indessen keineswegs eine horizontale Fläche, denn die Erhebung der Talränder nahe der Basis der Gebirge wechselt zwischen 1400 und 1600 Fuß über dem Meeresspiegel, während der Spiegel des Kern Lake, des südlichsten der Seen, nur 398 Fuß hoch liegt. Selbst ohne diesen Höhenunterschied zu kennen, der sich gleichmäßig auf so weite Strecken verteilt, ist doch die allmähliche Senkung des Bodens nach der Mitte zu dem bloßen Auge wahrnehmbar. Eine Reihe flacher Seen durchzieht von Norden nach Süden dieses Tal; die bedeutendsten sind der Tularesee, der Buena Vista und der Kern Lake, die in dortiger Gegend auch unter den indianischen Namen Tache, Cholam und Tolumne bekannt sind. Alle stehen durch natürliche Kanäle miteinander in Verbindung und empfangen ihr Wasser durch zahlreiche, nie versiegende Bäche und Flüsse, besonders aus der schneebedeckten Sierra Nevada. Der Charakter aller Seen ist immer derselbe, die Ufer sind niedrig und morastig, und weithin ist das Gebiet des Wassers an den dunkelgrünen, schlanken Binsen, die eine Höhe von 10 bis 15 Fuß erreichen, erkennbar. In trockenen Jahreszeiten bieten diese dichten Binsenwälder dem Elk sowie dem schwarzschwänzigen HirschDiese beiden verschiedenen Arten sind lange und vielfach für eine und dieselbe gehalten worden, wozu die Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung Veranlassung gegeben hat. Es bedarf auch in der Tat einer genauen Untersuchung, um diese beiden schwarzschwänzigen Hirsche mit gleicher Geweihbildung voneinander zu trennen. Professor J. S. Baird in Washington hat nach langem Forschen die beiden Spezies als abgesondert voneinander hingestellt, und zwar als Mule deer und Black-tailed deer. einen sicheren Zufluchtsort, wohin ihnen der Jäger nur schwer nachfolgen kann. Unglaubliche Wassermassen werden den Seen während des ganzen Jahres zugeführt, und es ist auffallend, wie stark die VerdunstungDie schnelle Verdunstung des Wassers in den Tulareseen beträgt in den Sommermonaten durchschnittlich an jedem Tag [1/4] Zoll der ganzen weiten Wasserflächen. Da diese Seen keinen Abfluß haben, dagegen durch zahlreiche, schnelle Flüsse und Bäche genährt werden, so kann man annehmen, daß zur heißen Jahreszeit die Masse des verdunstenden Wassers den durch den schmelzenden Schnee vermehrten Zufluß weit übersteigt und ein Fallen der Wasserspiegel erzeugt. Die Ursachen für diese auffallende Erscheinung liegen nahe: Die Seewinde, die fast beständig landeinwärts wehen, setzen ihre Feuchtigkeit in den Küstengebirgen ab, und erst nachdem sie über weite, erhitzte und Wärme ausstrahlende Flächen hingeeilt sind, erreichen sie die von keinen erhöhten Ufern geschützten breiten Wasserspiegel. Die Temperatur der sehr flachen Gewässer, die Tag für Tag den glühenden Strahlen der vom wolkenlosen Himmel niederscheinenden Sonne ausgesetzt sind, trägt auch zur ungewöhnlich schnellen Absorbierung bei, und hier mag auch der von den Ebenen senkrecht aufsteigende warme Luftstrom, der die Dunstbläschen hindert, sich zu zersetzen, Grund der verhältnismäßig geringen Vegetation in der nächsten Umgebung sein. durch die Luft dort sein muß, da nur bei anhaltendem Regen oder im Frühling beim Schmelzen des Schnees in den Gebirgen die Gewässer austreten, dann aber bei der Niedrigkeit der Ufer weite Flächen des Tals überschwemmen und dasselbe auf kurze Zeit mit dem Flußgebiet des San Joaquin verbinden. Von diesen Überschwemmungen rühren auch die Süßwassermuscheln her, die in weiter Entfernung von den Seen den Boden bedecken.
Fröhlichen Mutes zogen wir unsere Straße weiter; Meile auf Meile legten wir zurück, doch schienen wir uns dem See nicht zu nähern. Wir unterhielten uns, wir sangen, aber der Weg wollte dadurch nicht kürzer werden; wir wechselten jeden Augenblick unsere Stellung, um den heftigen Stößen des schnell rollenden, federlosen Wagens zu entgehen, doch vergeblich; Louis pfiff mit eigentümlicher Negerfertigkeit Hunderte von Melodien, und auch diese nahmen trotz unserer Lobeserhebungen ihr Ende. Nur die Flaschenkörbe, die Louis fast zu nahe in unseren Bereich gestellt hatte, schienen gleichgültig gegen alles zu bleiben und sich jede beliebige Handhabung gern gefallen zu lassen. Die armen Flaschen — wenn sie Gefühl hatten, mußten sie empfinden, daß sie leichter wurden, denn der Staub des Weges machte die Gaumen trocken.
Der tiefblaue Himmel hatte sich mit seinem funkelnden Sternenheer überzogen, und ein rötlicher Schimmer am nördlichen Horizont erinnerte nur matt an den hellen Sonnenschein des Tages, als wir am Kern Lake nahe einer Öffnung in den Binsen anhielten und unser Nachtlager aufschlugen. Louis, unser sorglicher Louis, den Mangel des Holzes vorhersehend, hatte sich vom Fort aus einen Vorrat mitgenommen, wodurch er in die Lage gesetzt war, uns an diesem Abend schon seine Kunstfertigkeit als Koch zu beweisen; er pflegte uns vortrefflich, wofür er von allen Seiten mit Lobeserhebungen überschüttet wurde, die er auf seine eigentümlich herablassende Weise hinzunehmen wußte.
Es war schon zu spät, um den herrlichen Abend noch lange genießen zu können; ein früher Aufbruch am folgenden Morgen war verabredet worden, weshalb denn auch jeder sich zur nächtlichen Ruhe bald in seine Decken wickelte. Die Stimmen im Lager verstummten, die gesättigten Tiere standen regungslos umher, einige Kohlen glimmten noch matt in der Asche, und leise spielte der Wind mit den beweglichen Binsen. Tiefe Ruhe herrschte überall, nur vom See herüber schallte mitunter das abgebrochene Geschnatter einer träumenden Ente oder der heisere Ruf eines wachsamen Kranichs, wenn vielleicht vertrocknete Binsen unter dem schleichenden Tritt raubgieriger Wölfe kaum hörbar knackten.
In vollster Pracht entstieg am 17. November die Sonne den eisgekrönten Gipfeln der Sierra Nevada; belebend schossen die ersten Strahlen hinter den geröteten Gebirgszacken hervor und eilten, Wärme verkündend, über die weißbereifte Ebene. Tausende von Stimmen wurden laut und erfüllten mit ihrem Jubelruf die Atmosphäre, die wie ein duftiger Schleier über der ganzen Landschaft zu schweben schien. Lange Reihen von Gänsen erhoben sich von dem breiten Wasserspiegel und eilten den grasreichen Ufern zu, Scharen von Enten kreisten mit pfeifendem Flügelschlag über dem See, während weißgefiederte Pelikane und Schwäne majestätisch die stille Flut durchschnitten und kurzbeschwingte, schwerfällige Taucher wie neidisch zu dem regen Leben in den Lüften emporschauten.
Ich feuerte einen Schuß durch die Öffnung in den Binsen auf eine Herde der harmlosen Schwimmer; der Schall rollte in Schwingungen über die weite, glatte Fläche und vermischte sich mit dem lufterschütternden Geräusch, das durch Tausende von Vögeln erzeugt wurde, die sich in dichten Schwärmen nach allen Richtungen hin erhoben und je nach ihren Eigentümlichkeiten kleine oder große Kreise über dem See beschrieben.
Nur kurze Zeit dauerte diese Aufregung, die Schwärme senkten sich, das Wasser mit den Flügeln peitschend glitten die verschiedenartigen Vögel eine kurze Strecke auf demselben fort, ließen sich dann nieder, schauten sich wie verwundert um und putzten und ordneten ihre Federn, als ob nichts vorgefallen wäre.
Ich gab nach dem ersten Versuch diese Art von Jagd auf, denn vergeblich spürte ich auf dem sumpfigen Boden nach einer festen Stelle, um zu meiner Beute zu gelangen; und so blickte ich denn traurig zu den Geschöpfen hinüber, denen ich aus Laune das Leben geraubt hatte. Ein verwundeter, schön gefiederter Pelikan wurde langsam vom Wind der Mitte des Sees zugetrieben; einige seiner Gefährten schwammen wie teilnehmend um ihn herum, und als sie sich augenscheinlich von dem Sterbenden nicht trennen wollten und dieser, wie Hilfe erflehend, den langen Hals seinen Freunden entgegenreckte, da war es mir,