Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
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Wenn ich in der Nähe von Fort Yuma einem betrunkenen Soldaten begegnete, dann ließ ich stets den Revolver in meine Hand gleiten, um eine brutale Beleidigung sofort bestrafen zu können; betrunkenen Indianern ging ich stets aus dem Wege und bedauerte tief die Erbarmungslosigkeit von Leuten, die sich in der Wildnis vor einer strafenden Kritik sicher wissen und daher ihrem Vaterland so wenig Ehre machen.
Außer den Yumas, Cocopas und den anderen Nationen im Tal des Colorado findet man in Fort Yuma auch einzelne Mitglieder von kalifornischen Indianerstämmen, die einst von den Jesuiten unterworfen und belehrt wurden. Diese mögen mit den Cohuilla-IndianernDer Name dieses Stammes kann nicht in Verbindung gebracht werden mit der Provinz Coahuila im nördlichen Mexiko; er dürfte — auf der mutmaßlichen Straße der Völkerwanderung — mit den Azteken in Zusammenhang stehen. der Gebirge, die bekanntlich teilweise den Missionaren entgingen, verwandt oder auch eine Nebenlinie der Yumas sein, als welche Captain A. W. Whipple namentlich die Diegeno-Indianer bezeichnet. Alle diese Eingeborenen, wenn auch zuweilen dieselbe Mundart redend, legen sich in der Regel den Namen ihres Geburtsortes bei, welchem Umstand es zuzuschreiben ist, daß man auf der Straße von San Diego nach Fort Yuma so vielen kleinen Indianerstämmen zu begegnen vermeint, während Namen für Stämme wie »Pasqual, Santa Isabella, San Felipe« usw. doch nur das einzige sind, was den Eingeborenen von dem segensreichen Einfluß der Jesuiten geblieben ist.
Was nun die Offiziere der Garnison betrifft, so kann ich nur sagen, daß wir abermals in ihnen lauter freundliche, aufmerksame Leute kennenlernten. Zu gleicher Zeit beobachtete ich aber auch die Eifersucht, die in der Armee der Vereinigten Staaten zwischen den Offizieren der Linienregimenter und denen vom Ingenieurcorps herrscht und die einen so verderblichen Einfluß, besonders auf Unternehmungen wie die unsrige, ausübt. Ich bin überzeugt, daß uns als den Mitgliedern der Expedition manche Unannehmlichkeit und dem Lieutenant Ives mancher Ärger erspart worden wäre, wenn letzterer bei einem Linienregiment oder die Offiziere der Fort-Yuma-Besatzung beim Ingenieurcorps gestanden hätten.
Nach dieser flüchtigen Berührung von Verhältnissen, die einen leicht zu beseitigenden Schatten auf das Militärwesen der Vereinigten Staaten werfen, meine Hochachtung vor den einzelnen Persönlichkeiten dabei aber nicht im geringsten erschütterten und den freundschaftlichen Gefühlen, die ich für meine dortigen Bekannten hege, durchaus keinen Abbruch tun, begebe ich mich wieder in das Geleise meiner Erzählungen und in diesem auf das Ufer des lehmfarbigen Colorado noch unserem zwischen herbstlich gefärbten Baumgruppen versteckten Lagerplätzchen. Wenn ich alsdann beschreibe, wie wir dort einen Tag unter dem wolkenlosen Himmel zubrachten, so ist auch zugleich ein Bild von der ganzen Zeit unseres Aufenthalts gegeben, und es ist mir dadurch erleichtert, auf verständliche Weise kleine herausragende Begebenheiten, die uns während des einfachen Lagerlebens als von größter Wichtigkeit erschienen, ohne genaue Angabe des Wie, Wo und Warum zu schildern.
Ich beginne mit Grizzly: Grizzly war ein Hund, halb Dachs- und halb Wolfshund und zugleich das häßlichste Exemplar seiner Rasse, das ich jemals gesehen habe. Der Umstand, daß mein Freund Mr. King ihn sich in Pueblo de Los Angeles nach Bezahlung seiner Rechnung von unserem gemeinsamen Wirt ausborgte, ohne indessen vorher darüber Rücksprache genommen zu haben; ferner, daß das erst vier Monate alte Tier auf der Reise von Los Angeles nach Fort Yuma ermüdete und einen großen Teil des Weges von uns abwechselnd vorn auf dem Sattel mitgeführt wurde; besonders aber das tragische Ende, das es später in den Felsenwüsten am oberen Colorado fand, dient vielleicht zur Entschuldigung, daß ich einem Hund, der aber ein treuer Reisegefährte war, soviel Raum und Worte in meinen Beschreibungen gönne. Grizzly hatte allmählich den Körper eines kleinen Kalbes bekommen; seine Beine, obgleich nur wenige Zoll hoch, entsprachen in der Stärke vollkommen der kräftigen Gestalt, nur daß sie, ähnlich einem Pfropfenzieher, einige Windungen zeigten. Die Form des Kopfes war die eines Bärenschädels, auch die kleinen, schielenden Augen des Gebirgsbären fehlten nicht; und um den eigentümlichen Ausdruck des Tieres noch mehr hervorzuheben, war ihm in der frühesten Jugend ein Ohr viel kürzer als das andere weggeschnitten worden. Sobald die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne in den wirbelreichen Fluten des Colorado glitzerten und verstohlen durch die kleinen Ritzen des Zeltes spielten, schüttelte Grizzly, von der kalten Morgenluft geweckt, seinen betauten Pelz, warf noch einen triumphierenden Blick nach den dichten Weidengebüschen hinüber, zwischen denen er während der Nacht zahlreiche diebische Wölfe in die Flucht geschlagen hatte, und kroch zu uns ins Zelt, wo wir uns noch alle im tiefsten Schlaf befanden. Gewissenhaft machte er dann die Runde bei allen Schläfern, und seiner kalten Schnauze sowie seiner warmen Zunge gelang es leicht, in kurzer Zeit die schnarchende Gesellschaft zu wecken und in Bewegung zu bringen. Nach einigen rauhen Begrüßungen, die Grizzly mit ewig freundlichen Mienen hinnahm, begab er sich in die Küche, um dort gleichsam die Zubereitung des Frühstücks zu überwachen.
Unsere Toilette war in der Regel schnell beendet, denn da wir uns des Abends nicht entkleideten, so waren wir auch der Mühe des Ankleidens in der Frühe überhoben; doch lange ehe wir fertig waren, rief schon unser Aufwärter zu uns herüber: »Breakfast is ready.«
Das Leben in der freien Natur ist reich an Genüssen; oft sprachen wir dies aus, wenn wir uns an dem damals noch reich besetzten Tisch niederließen; nur scherzweise erwähne ich hier die Genüsse, welche die Erhaltung eines ungeschwächten Körpers bedingt, und erinnere mich noch lebhaft der schönen frischen Morgenstunden, wenn noch kein Lufthauch die sterbenden Blätter erzittern machte, wenn die verschiedenartigsten Vögel um uns herum jubelnd ihr Morgenlied zwitscherten oder scharenweise dem Fort zuflogen, um auf dem geräumigen Hof und in der Umgebung ihren Lebensunterhalt zu suchen; wenn die fleißigen Spechte an den morschen Baumstümpfen laut hämmerten und die schönen Rebhühner sich auf dem Sand des Ufers sonnten oder lieblich spielend leise Locktöne ausstießen. Es waren schöne Morgenstunden, und wenn wir an unserem Tisch uns einer lauten Fröhlichkeit hingaben, so war diese Stimmung, bei manchem freilich unbewußt, hervorgerufen worden durch die Natur, die selbst in der Mitte einer traurigen Wildnis in einem verstohlenen Winkelchen anmutig zu lächeln wußte. Nach Beendigung des Frühstücks trennten wir uns gewöhnlich, um unseren verschiedenen Beschäftigungen nachzugehen; Egloffstein wanderte zum Fort hinauf, wo man ihm eine Stube zu seinen topographischen Arbeiten eingeräumt hatte; Peacock unterrichtete sich vom Zustand der Maultierherde oder veranstaltete als echter Kalifornier Wettrennen und Preisschießen; King beobachtete die Barometer und baute zu gleicher Zeit einen Damm ins Wasser hinein, der Toilettenzimmer getauft wurde; Taylor beschäftigte sich mit Nichtstun, wobei ihm Brakinridge getreulich half; ich selbst ergriff meine Jagdgerätschaften und durchforschte die Umgegend nach Exemplaren zu meinen Sammlungen. Die reichste Ausbeute boten mir die Vögel, und ich war überrascht, hier die meisten Arten wiederzufinden, die ich vier Jahre früher weiter nördlich an Bill Williams Fork beobachtet und gesammelt hatte.
Des Nachmittags gegen fünf Uhr fanden wir uns wieder im Lager zusammen. Jeder hatte sein Tagwerk vollbracht, und ein wohlbesetzter Tisch erwartete uns. Nach dem Essen wanderten wir gemeinschaftlich nach einer lichten Stelle der Waldung, wo Massen von trockenem Treibholz umherlagen, beluden mit demselben unsere Schultern und schleppten einen solchen Vorrat vor unser Zelt, daß wir nicht nur den ganzen Abend, sondern auch noch während eines Teils der Nacht ein tüchtiges Feuer unterhalten konnten. Wenn dann die Schatten der Bäume sich mit zunehmender Geschwindigkeit auf dem unruhigen Spiegel des Colorado verlängerten und endlich auf dem östlichen Ufer mit den unbestimmten Umrissen der Weidengebüsche ineinander verschwammen, dann rückten wir um unseren Scheiterhaufen zusammen und unterhielten uns wie Menschen, die noch nie in ihrem Leben Sorge kennengelernt haben. Wir musizierten, wir sangen, wir schmiedeten Pläne für die Zukunft; und wenn die Kühle der Nacht uns auf der einen Seite zu sehr belästigte, auf der anderen dagegen die Flammen uns durchglühten, dann kochten wir mitunter, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, einen starken, heißen Punsch und ließen fröhlich die Becher kreisen. Der eine oder der andere erzählte noch eine Geschichte, die übrigen horchten, rauchten ihr Pfeifchen und schürten dabei das Feuer, und zwar geschah alles mit einem Ernst, als ob das Wohl von Nationen davon abhängig gewesen wäre.
Da ich mich jetzt der eigenen Erlebnisse besser entsinne als der von anderen vorgetragenen