Das blutige Blockhaus. Charles Sealsfield
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Doch Howard wurde seinen Gedanken entrissen. Die Unterhaltung begann wieder aufzuleben. Es entstand ein Gesumse, aus dem man noch nicht so eigentlich klug werden konnte. Der Chambertin und Chateau Margôt taten ihre Wirkung bei den Franzosen, bei den Amerikanern der Madeira. Doughby hatte seinen Platz am Ende der Tafel, und er war in eifriger Debatte mit d‘Ermonvalle und Vergennes begriffen. Doughby parlierte französisch, Vergennes radebrechte englisch, d‘Ermonvalle gab ein Quodlibet beider Sprachen zum besten. Bald erscholl lautes Gelächter durch den Speisesaal ob der Mißverständnisse, die dabei herauskamen.
Mit dem funkelnden Champagner wurden die Geister noch lebendiger, stürmischer. Vergennes ließ etwas von seinem französischen Liberalismus, seiner weltbeglückenden Philanthropie hören und fand es grauenhaft, daß in einem Land der Freiheit, das sich mit seiner Aufklärung, seiner Humanität brüstete, die Sklaverei bestünde. Monteville bemerkte dagegen ziemlich gelassen, obwohl ihm die Lippen bereits zuckten, daß die Sklaverei ein altes, seit anderthalb Jahrhunderten eingeführtes und eingewurzeltes Übel wäre, das nur mit der Zeit behoben werden könnte.
Das gab wieder Vergennes nicht zu. Ein so ungeheures Übel, das die Moral der bürgerlichen Gesellschaft von Grund aus zerstöre, sollte auf der Stelle ausgerottet werden. Die Regierung sollte sogleich eingreifen, die Sklaven freigeben, ihnen Ländereien anweisen, Schulen für sie errichten und so fort.
»Wir geben unsere Neger frei, sobald ihr uns für die Summen, die unsere Eltern ihr Ankauf und ihre Erhaltung gekostet haben, entschädigt!« erklärte Monteville. »Wir haben notgedrungen, gezwungen durch Frankreichs und Englands Regierungen, unser Kapital, unser Alles in sie hineingesteckt. Wir haben in den südlichen Staaten über zwei Millionen Sklaven bei einer Bevölkerung von etwas über vier Millionen Weißer, in Louisiana allein auf weniger denn hunderttausend Weiße mehr denn hundertundzwanzigtausend Schwarze und Farbige. Die zwei Millionen Schwarzen der elf sklavenhaltenden Staaten — der Kopf im Durchschnittspreis nur zu dreihundert Dollar gerechnet — erforderten eine Entschädigungssumme von sechshundert Millionen Dollar! Wo ist die Nation, die sich und die kommenden Geschlechter mit einer so ungeheuren Schuldenlast beladen würde? Aber selbst wenn die acht Millionen unserer nordischen Mitbürger — denn sie allein müßten die Entschädigung leisten — ihren fünf nachkommenden Generationen diese Schuldenlast aufbürden wollten, wäre dann dem Übel abgeholfen? Könnten sie die tierischste, trägste Rasse des Erdbodens, die einzig durch die Peitsche zur Arbeit angehalten wird, durch eine Befreiungsakte zu tätigen Bürgern umwandeln? Würden diese nicht in den ersten Monden ihrer Freiheit das Spielzeug irgendeines schwarzen Spartacus sein und mit uns einen Kampf auf Leben und Tod beginnen?«
So beiläufig lautete die Schlußfolgerung Montevilles. Während seiner sprudelnden Rede war er immer heftiger geworden. Unwillig stieß er das Champagnerglas von sich und maß Vergennes mit einem Flammenblick. Der gute Monteville merkte, daß es eine Unbesonnenheit gewesen war, sich in die Widerlegung einer Frage einzulassen, die nach Howards Meinung nie von einem Fremden in Louisiana hätte gestellt werden sollen, weil sie nur die Einheimischen und sonst niemanden anging. Was würde ein französischer oder englischer Fabrikbesitzer sagen, an dessen gastlicher Tafel ein Fremder das Ungeheuerliche der Sklaverei seiner Arbeiter, die riesige Ungleichheit zwischen dem Verdienst des Taglöhners und dem Gewinn des Fabrikherrn aufs Tapet bringen wollte? Weil die nordamerikanischen Staaten frei sind, erlaubt sich jeder Fremde Freiheiten, die er sich in seinem Land herauszunehmen wohl hüten würde.
Eine unheimliche, ja bange Stille herrschte im ganzen Saal, eine schweigsame Spannung. Keine Silbe war zu hören, alle schienen den Atem anzuhalten. Es war die Windstille, die dem Tornado vorhergeht. Alle Zungen waren wie gelähmt, die Augen der Kreolen auf Vergennes und Monteville geheftet, einige waren bleich vor Zorn. Die allgemeine Heiterkeit war verschwunden, die Damen waren nicht weniger aufgeregt.
Auf einmal ließ sich die Stimme des Grafen de Vignerolles vom oberen Ende der Tafel herab hören, freundlich und wohlwollend.
»Sind Sie schon lange in unserem Louisiana, lieber Vergennes?«
»Bereits zehn Wochen, Monsieur de Vignerolles.«
»Schon zehn Wochen? Da haben Sie freilich unser Land kennenzulernen Gelegenheit gehabt!«
Und die Miene des Grafen überflog ein ungemein fein ironisches Lächeln. Alle sahen ihn erwartend an. Er wandte sich an Papa Menou.
»Gedenkst du noch der Zeiten von 1788? Du warst damals freilich noch sehr jung, bist fünf Jahre jünger als ich. Welcher Unterschied zwischen dem alten und dem jungen Frankreich!«
»Es hatte viel Aufrichtigkeit und Feingefühl, das gute alte Frankreich«, murmelte Lassalle.
»Les extrêmes se touchent«, bemerkte der Graf. »Wir hörten in unserer Jugend die Nachklänge der alten, in unserem Alter hören wir die Anklänge der neuen Herrschaft.«
»Ich halte es mit der neuen!« rief Vergennes mit beinahe herausfordernder Heftigkeit. Der gute Junge hatte etwas zu viel Chambertin eingenommen.
»Ich glaube nicht, daß der gesellschaftliche Zustand im ganzen bei den großen Umwälzungen verloren hat«, erwiderte Vignerolles im selben freundlichen Ton. »Wir haben verloren, soviel ist ausgemacht, aber das Volk hinwieder gewonnen.«
»In fünfzig Jahren wird Europa republikanisch oder kosakisch sein!« behauptete Vergennes kurz und bestimmt.
»So hat Napoleon gesagt«, entgegnete der Graf in seinem gefällig leichten Ton. »Ich wieder bin der festen Meinung, daß die Throne der alten Welt so ruhig fortbestehen werden wie in der neuen Welt Republiken entstehen und fallen werden. An ihrem Glanz mögen sie allenfalls einbüßen, aber ihr Dasein ist zu tief in der menschlichen Natur begründet, als daß sie gestürzt werden könnten. Als Napoleon die berühmten prophetischen Worte sprach, hatte er noch keine Ahnung von der großen Macht, die seit seinem Fall entstanden ist, der Macht der Geldaristokratie, die als Mittlerin zwischen Völkern und Thronen beide in der Waagschale hält und kosakischer Willkür nie den Eingang in das eigentliche Heiligtum europäischer Zivilisation gestatten wird. Ihr Losungswort ist Sicherheit des Eigentums.«
»Aber Sie geben doch zu, Monsieur de Vignerolles«, wandte Vergennes ein, »daß die Welt seit den letzten zwanzig Jahren demokratischer geworden ist, als sie es je war.«
»Ohne Zweifel haben die materiellen, oder was dasselbe sagen will, demokratischen Interessen seit zwanzig Jahren gewonnen. Aber eben weil sie materiell sind, werden sie, wenn sie bis zu einem gewissen Punkt gelangen, konservativ. Denn merken Sie wohl, Individuen wie Staaten sind nur demokratisch, solange sie arm sind. Reich geworden zeigen sie sich konservativ, aristokratisch. Die Interessen ...«
»O diese Interessen, diese Interessen!« unterbrach Vergennes.
»Für uns Europäer ist es ungemein schwer, lieber Vergennes, das Wesen des republikanischen Charakters zu erfassen, und noch schwerer, Geschmack daran zu finden. Wir sind in zu künstlichen Formen auferzogen, um an der natürlichen Ungezwungenheit — einer philosophischen Ordnung der Dinge Gefallen zu finden. Die Menschen erscheinen uns nicht nur zu ungeniert, sondern auch zu selbstsüchtig im Vergleich mit der Ergebenheit der alles aufopfernden Treue rein monarchisch beherrschter Nationen. Die Ursache ist wohl diese, daß in reinen Monarchien die Interessen aller, der allgemeine Egoismus, wenn ich so sagen darf, in der Hand eines einzigen Mannes und seines Kabinetts konzentriert, in Republiken hingegen dieser Egoismus über die ganze Masse der Bürger zerstreut ist. Daher die Erscheinung, daß je republikanischer eine Regierung wird, desto selbstsüchtiger und geldsüchtiger das Volk. Ich zweifle, ob Napoleon, wenn er heute in all seiner