Bissula. Felix Dahn
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»Beim Sunnwendfest war es. Der Weststurm blies wütend, wie Wodans Atem. Sie vermaß sich, allein, in eurem morschen Schelch, — dem alten Einbaum! — mit Seitenwind den rasenden See zu kreuzen. Die andern höhnten: — ich bat. Umsonst. Sie sprang in den Nachen und stieß ab: sie war verloren, kam sie über den Schilfhaken hinaus in den Weitsee. Ich lief nach, watete, schwamm und fing sie aus dem Kahn, gerade wie er umschlug. Ich trug sie ans Ufer. Sie wandte und wehrte sich, fauchend wie eine Fischotter, und biß mir zum Dank in den Finger.«
»Da erfand aber,« sprach die Alte verweisend, »ein böser Singemund den Spruch:
»Arg kratzt die Eichkatz, —
Bittrer beißt Bissula.«
Der Spruch ging um im Gau, ja in allen Gauen am See. Wohin meine Enkelin kam, zum Beerenlesen im Sommer, zum Flachsbrechen, zum Stoppelreigen, zur Sichelhenk, zur Drischelleg:— überall scholl ihr entgegen der höhnische Spruch im Rundgesang. Das war nicht wohlgethan! — Nicht klug!« fügte sie leiser bei. — »Mutter Waldrun — nun ja: — es war nicht wohlgethan — aber nicht böse gemeint.« — »Ja, ja, Wodan hat dir das Lied auf die übermütige Lippe gelegt und das beflügelte Wort, den Witzspruch. — Du kannst es nicht lassen! — Siehst du ein ladendes Ziel, — der Pfeil der Neckrede saust dir vom Munde!« — »Aber unvergiftet, sonder Widerhaken! Ein stumpfer, kleiner Bolz, mit dem man das herzige Rotkehlchen trifft, Donars elbischen Liebling, nicht, es zu wunden, nein, ungesehrt es zu fangen und in das Gehöft zu tragen, an unsern Herd, auf daß es uns lieblich singe Jahr für Jahr.« — »Hüte dich! Heißzornig, leichträchend und langrächend ist, was rote Farbe trägt.« »Jawohl,« lachte der Jüngling. »Wie geht ein andrer Spruch?«
»Reizt dich das Rothaar?
Rette dich, rat‘ ich!
Scheue die Schöne!
Falsch ist sie und fauchend,
Wie Feuer und Fuchs!«
Kaum war der letzte Stabreim gesprochen, als sich hoch oben aus dem Wipfelgeäst des gewaltig ragenden Baumes seltsame Töne vernehmen ließen. Zu höchst oben ein Fauchen und Kollern, aber tiefer unten ein anderes Geräusch, wie wenn etwas an dem Stamme sich rutschend herabließe. Die ersten Laute kamen zweifellos von einem Eichhörnlein, das, aufgeschreckt durch irgend eine Störung, blasend und zischend vor Angst oder Zorn, in weitem Bogen und doch in sicherem Sprung von dem obersten Gipfel des Baumes auf die ziemlich fern stehende Nachbareiche hoch durch die Luft sich schwang.
Fünftes Kapitel
Adalo folgte mit dem Blick dem flugähnlichen Sprung des Tierleins. — Aber einstweilen war aus dem dichtesten Mittelgezweig an dem Stamme behende herabgeglitten ein junges Geschöpf, das Mädchenkleidung trug, die es sofort, wie es auf den Füßen stand, von Knie zu Knöchel sorgsam glättend niederstrich. — In seiner zierlichen und leuchtenden Schöne, in der fast kindlichen Kleinheit seines ganzen Gliederbaus glich das Wesen weniger einer Menschenmaid, als einer Lichtelbin. Sie trug keinen Mantel. Das weiße Linnengewand mit kirschrotem Saum und gleichfarbigem, handbreitem Gürtel ließ Hals und Arme frei: blendend weiß wie Elfenbein leuchtete alles, was man von dem fast allzufein modellierten Leibe sah; dunkelrot dräuten die auffallend starken, in der Mitte beinahe zusammenstoßenden, sehr edel geschwungenen Brauen; aus den hellblauen Augen sprühten jetzt helle Blitze des Zorns. Mehr noch durch lebhafteste Anmut des Ausdrucks und durch die vollendete Zierlichkeit des kleingliedrigen Leibes fiel die Erscheinung auf, als durch regelmäßige Schönheit.
Denn — es kann nicht verschwiegen werden! — das reizend schnuppernde, neugierige Näslein ragte zwar nicht etwa in die Höhe, — gewiß nicht! — aber es war ein klein wenig zu kurz ausgefallen. Und da es nun auch an der Spitze jäh nach unten abfiel, war der Raum zwischen dem Näslein und der Oberlippe etwas lang geraten: so erhielt das ovale Gesicht in der Ruhe den Ausdruck eines halb wachsam erstaunten, halb schelmisch-übermütigen Ausblicks in die Welt.
Alles war an dieser zierlichen Libelle so zart und duftig gehalten, daß man das Mädchen fast noch ein Kind erachten mochte; aber die lieblich schwellenden Formen verkündeten anmutvoll das junge Weib. Und von höchstem, auch die Sinne berückendem Reiz war der, obzwar so kleine, doch sehr üppige, wie in scherzendem Schmollen aufgeworfene Mund: — so kirschrot, wie der Saum ihres Gewandes. — Ein Grübchen im Kinn, ja der ganz leise Ansatz sogar zu einem Doppelkinn verliehen dem Antlitz jene holdselige Weichheit, ohne welche Weibesschönheit kalt läßt. Das Auffallendste jedoch an dem wundersamen Elbengebilde war das Haar, das ganz lichthell-rote, dem Brandgelb der Flamme gleichende Haar, das Stirn und Schläfe umspielte in tausend mutwillig krausen, ganz kurzen Ringelchen: — je aus einem für sich allein gelockten Haar. Wie ebensoviele Dornen ein Röslein schienen sie das Gesicht schützend zu umhegen. Das übrige Haar war, nach suebischer Sitte, gegen den Wirbel hinaufgekämmt, hier zusammengeschnürt und flutete von da in prachtvollem, bedeutend dunkler gefärbtem Rot, wie ein Purpurstrom, über den blendend weißen Nacken bis tief über die Hüften herab.
Das trotzig übermütige, dann auch wieder neugierig Erstaunte, ja sogar überlegen Besserwissende des naiven Ausdrucks, durch diese emporgekämmte Haartracht noch verstärkt, erhielt manchmal den Anflug des Komisch-Gestrengen durch die Angewöhnung des Geschöpfleins, die ohnehin fast zu stark gezeichneten Augenbrauen, wie erstaunt und zugleich verweisend, in die Höhe zu ziehen. Das zum Lächeln Ladende lag dann in dem Reiz des Widerspruches, daß dieses fast ohne Körperlichkeit schwebende Wesen die ganze Welt mit seinem klugen Näslein, mit den hellblau blitzenden Äugelein scharf auszuwittern und — nötigenfalls — sofort scharf zurechtzuweisen bereit schien. Ein äußerst starker Wille, ein heißes, ungebändigtes Temperament und die Lieblichkeit einer kaum geöffneten Knospe: — diese Gegensätze forderten zum Lächeln, sie forderten fast zu dem Versuch heraus, was wohl das heftige kleine Insekt alles anstellen werde, wenn man seinen leicht entzündbaren Zorn reize. Aber schlug sie in sanfterer Empfindung das leuchtende Auge auf, — dann war sie so hinreißend schön, so rein, so innig warm und seelengütig, daß man über der Begeisterung, sie zu bewundern, die Neigung vergaß, sie zu necken. —
Jetzt freilich sah das kleine Elbengebild durchaus nicht gütig,